TEIL 1
Einführung ins Microdosing
Die Praxis des Microdosings – die Einnahme von winzigen, unterhalb der regulären Wahrnehmungsgrenze liegenden Dosierungen LSD als mentales Tonikum – ist der letzte Schrei in der Tech-Gemeinde.
MICHAEL POLLAN 2018: 175
Was ist Microdosing?
Allerorten ist von Microdosing die Rede. Man hört das Schlagwort im Gespräch zwischen Freunden psychoaktiver Substanzen, liest in Fachzeitschriften für Drogenkunde davon, inzwischen findet man aber auch in renommierten Mainstream-Magazinen Abhandlungen über diese Modeerscheinung, über die wir noch so wenig wissen, weil sie in der öffentlichen Wahrnehmung noch so jung ist (obwohl die Praxis, winzige Mengen Psychedelika zu nehmen, seit vielen Jahrzehnten punktuell erprobt ist).
Microdosing, zu Deutsch: Mikrodosierung, ist eine Form der Einnahme kleinster oder geringer Mengen psychoaktiver Moleküle, die zurzeit immer mehr im Trend liegt. Zahlreiche Psychonauten, aber auch nicht drogenaffine »ganz normale« Leute beschäftigen sich mit Microdosing, also dem zielorientierten Konsum von minimalen Dosierungen psychoaktiver Substanzen, deren pharmakologische Effekte und Wirkungen häufig nichts mit den klassischen Wirkweisen der verwendeten Substanzen zu tun haben.
Wieso aber praktizieren immer mehr Menschen diese mikrodosierte Applikation von Psychedelika? Die Antwort ist einfach: Weil sie nach Einschätzung der User zahlreiche Vorteile bietet, die auch und gerade im Alltag von großem Nutzen sein können, wie zum Beispiel die Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit und Wahrnehmung, antidepressive Effekte, Leistungssteigerung im Sport, auch Doping und so weiter. Diese Vorzüge werden jedenfalls von Anwendern regelmäßig beschrieben – in vielen Fällen kann aktuell allerdings niemand belegen, dass es sich bei den wahrgenommenen Veränderungen nicht um Placebo-Effekte handelt. Diesen Punkt werden wir im Verlauf des Buchs noch behandeln.
Bezeichnungen
Microdosing | Neuerer englIscher Begriff für Anwendung von Mikrodosierungen von Drogen |
Micro-Dosing | Andere Schreibweise des Begriffs |
Sub-Dosing (sub-dose, sub-dosing) | Alternative zu Microdosing |
Low-Dosing (low-dose, low-dosing) | Alternative zu Microdosing, kann aber auch Minidosing bezeichnen |
Tener | Englischer Jargon für Mikrodosis, abgeleitet von 10 = ten (»Zehner«) für (ein Zehntel) einer Substanz-Dosis als durchschnittliche Microdosing-Menge. |
Chipping | Angeblich US-amerikanischer Szeneslang für Microdosing |
Das Zauberwort im Zusammenhang mit Microdosing heißt Optimierung oder Leistungssteigerung. Nicht ohne Grund wird das Mikrodosieren von Psychedelika in Büchern und Artikeln immer wieder mit den Tech-Nerds des Silicon Valley (in der südlichen San Francisco Bay Area) in Verbindung gebracht. Die dort ansässigen Macher und Visionäre verwenden Psychedelika ohnehin fürs Hirndoping und als Inspiratoren; auch die Anwendung von Mikrodosen psychoaktiver Drogen gehört zum Alltag des Silicon Valley. Es existieren darüber hinaus »inoffizielle Berichte von erfahrenen Leistungssportlern, die Mikrodosen [LSD] beim Klettern, Skifahren, Fallschirmspringen oder Tauchen einnehmen. Dies könnte ein Gebiet sein, das in naher Zukunft weitere Anwendungen finden wird« (METZNER 2017: 81).
Das Microdosing mit LSD hat niemand Geringeres als der Entdecker des Acid selbst schon praktiziert. Der Naturstoffchemiker Albert Hofmann aus der Schweiz hat nach Aussage von diversen Zeitgenossen öfters mikrodosiertes LSD eingenommen, um, wie er sagte, besser denken zu können. Mike Jay, ein US-amerikanischer Historiker, veröffentlichte 2018 Informationen über gering dosierte LSD-Versuche von Albert Hofmann, die er im persönlichen Archiv des Schweizer Chemikers entdeckt hatte. »Das Archiv enthält unbekannte Berichte über eine Reihe von Trips, die Hofmann zwischen 1943 und 1946 unternommen hat, über die er aber später nie geschrieben hatte« (JAY 2018). In den Unterlagen fand Jay die Reports von gering dosierten LSD-Experimenten, so zum Beispiel einen Erfahrungsbericht aus der Zeit, in der Hofmann seinen Wehrdienst ableistete und einmal 20 Mikrogramm Acid in der Kaserne genommen hatte. Unter der Dosierung zog er sich fast vollständig in sich selbst zurück, war »in meine eigenen Gedanken« versunken und ging ins Bett mit »warmen, behaglichen Gefühlen« und bunten Bildern hinter den geschlossenen Lidern. Ein später durchgeführter Versuch mit derselben Dosis verlief hingegen mit »verstörenden Träumen« von einer »verrückten verstümmelten Frau mit abgeschnittenen Armen und ausgebrannten Augen«.
Albert Hofmann im Labor (1945)
Mit einer LSD-Dosis von 30 Mikrogramm spürte Albert Hofmann eine »leichte Benommenheit, Schüttelfrost, Übelkeit, einen schwachen metallischen Geschmack im Mund« und eine »Stimulation im Genitalbereich« sowie »verstörende, unheimliche Phantasmen« und »teils sinnliche Visionen«. Bei einem anderen Versuch mit 30 Gamma LSD im Jahr 1946 war Hofmann »beeindruckt von den schönen Farben der Tischplatte … den wunderbar warmen Tönen, die von orange über blutrot bis violett wechselten« und hatte »großen Spaß mit Rorschach-Bildern« (ebd.).
Microdosing mit Psychedelika wurde bereits seit den 40er Jahren ausprobiert, meist im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen von bewusstseinsverändernden Stoffen (bei denen mikrodosierte Moleküle beispielsweise als »aktive Placebos« im Vergleich zu normal dosierten Substanzen eingesetzt wurden); flächendeckend etabliert hat es sich dabei offensichtlich jedoch nicht.
Erst Ende der 90er, Anfang der 2000er Jahre (mit der Welle von Patienten, die das Microdosing zur Behandlung von Migräne und Clusterkopfschmerz entdeckten) und vor allem in den 2010er Jahren kam die Praxis der mikrodosierten Anwendung von LSD und anderen Psychoaktiva in der Szene vermehrt auf, insbesondere durch die Arbeit des US-amerikanischen Psychologen, Psychedelika-Forschers, Autors und Microdosing-Pioniers James Fadiman, der 2011 sein beeindruckendes Werk The Psychedelics Explorer's Guide (Park Street Press) herausgab und darin über sub-psychoaktive Dosierungen von Psychedelika berichtete (im Kapitel »Can Sub-Perceptual Doses of Psychedelics Improve Normal Functioning?«).
Seitdem haben sich zahlreiche Eingeweihte an Versuche mit Minimaldosierungen von LSD und anderen Psychedelika oder Psychoaktiva gewagt und zum Teil Positives berichtet. Nachdem Fadiman 2015 in einem US-Podcast des Autors und Unternehmers Tim Ferriss erstmals öffentlich über mikrodosierte Psychedelika gesprochen hatte, vervielfachte sich in den Vereinigten Staaten das Interesse an der Konsumform schlagartig.
»Mikrodosierung ist ein Konzept, über das in der Pharmakologie seit über einem Jahrzehnt gesprochen wird. Es wurde die Auffassung vertreten, dass Vorstudien der Phase I mit sehr niedrigen und damit ungiftigen sowie unterhalb des Schwellenwerts für die pharmakologische Aktivität liegenden Dosierungen am Menschen durchgeführt werden könnten, um Wirkstoffkandidaten in einem frühen Entwicklungsstadium zu testen und damit Kosten, Zeit und Aufwand zu sparen.«
(PASSIE 2019)
Definition & Dosierung
»There is no peak and no comedown …«
VIRGINA HAZE ET K. MANDRAKE, 2016: 332
Microdosing ist nicht gleich Microdosing. Es gibt zwar die Faustformel für mikrodosiertes LSD und andere Psychedelika, jeweils 10 (bis 20) Prozent der psychoaktiv wirksamen Menge zu verwenden. Jeder muss aber dennoch – wie bei psychoaktiven Substanzen üblich – seine individuelle Dosis finden. Wenn eine Person bereits mit 5 Mikrogramm LSD erreicht, was sie sich wünscht, muss eine andere eventuell schon bis zu 20 Mikrogramm einnehmen, um die erwünschten Effekte herbeizuführen. Schon wenige Gamma mehr können, je nach Empfänglichkeit des Gebrauchers, die Wirkung potenzieren und einen psychoaktiven Schleier aufs Bewusstsein legen. Dann ist eine Alltagstauglichkeit eventuell nicht mehr gegeben – und das Ziel des Microdosings vereitelt.
In diesem Buch sollen nur wirkliche Mikrodosierungen von Psychoaktiva besprochen werden, da das Feld des Minidosings ein weites Spektrum aufweist und bereits in Richtung der...