Konzeption des Mini-KiSS-Manuals
Ob sich Eltern professionelle Hilfe für die Behandlung ihrer schlafgestörten Kinder suchen, hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab. Natürlich spielt einerseits die wahrgenommene Dauer und das Ausmaß der Beschwerden eine große Rolle (Sarimski 2004). Auch werden die Eltern aktiv, wenn mehrere Personen betroffen sind und wünschen sich dann eine adäquate Behandlung (Schlarb 2010).
Das Mini-KiSS-Manual basiert auf den bisher erprobten und validierten Therapien von Schlafstörungen bei jungen Kindern. Die Konstruktion des therapeutischen Vorgehens wird daher durch eine Vielzahl an Untersuchungen unterstützt. Im Folgenden werden die einzelnen Behandlungsstrategien dargstellt, die Eingang in das Mini-KiSS-Training gefunden haben, damit für den Therapeuten die Basis des Vorgehens hinsichtlich des Trainings transparent wird. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass das Mini-KiSS-Therapieprogramm ein ressourcenorientiertes Verfahren ist – neben verhaltenstherapeutischen Vorgehensweisen wurden auch imaginative bzw. hypnotherapeutische Techniken und die Methode der positiven Psychologie implementiert. Da von den Eltern immer wieder auch nach Möglichkeiten der pharmakologischen Behandlung von Schlafstörungen bei Kindern gefragt wird, wird am Ende dieses Abschnitts kurz darauf kurz eingegangen.
1 Elterntrainings
Da bei Kindern im sehr jungen Alter die Eltern die primären Bezugspersonen sind, bieten sich in diesem Alter auch Elterntrainings an. Sie sind meist verhaltenstherapeutisch orientiert und basieren auf lerntheoretischen Grundannahmen (Warnke et al. 2001). Bei solchen Elterntrainings wird durch die systematische Arbeit mit den Eltern versucht, Veränderungen in der Eltern-Kind-Interaktion herbeizuführen. Ziel ist hierbei vor allem der Erwerb adäquater Erziehungskompetenzen. Gerade bezüglich der Schlafsituation und den -gewohnheiten werden die Eltern als Akteure gesehen, die den Kindern in verantwortungsvoller Weise Unterstützung und Hilfe zur Selbstberuhigung geben (Morrell und Cortina-Borja 2002; Warnke et al. 2001). Aus den oben dargelegten Forschungsergebnissen, in denen die Zusammenhänge elterlicher und kindlicher Faktoren aufgezeigt wurden, kann geschlossen werden, dass ein Elterntraining bei der Behandlung frühkindlicher Schlafstörungen sinnvoll ist. Daher beinhaltet das Mini-KiSS-Training zu einem großen Teil erziehungsorientierte Inhalte.
2 Einbeziehung beider Elternteile
Es ist sehr sinnvoll und hilfreich, beide Elternteile, soweit es möglich ist, in die Behandlung mit einzubeziehen. Werden beide Eltern in die Behandlung eingeschlossen, so erhöht sich der Effekt bezüglich der Reduktion der kindlichen Problematik deutlich (Lundahl et al. 2008).
3 Psychoedukation
Damit Eltern am Schlafverhalten des eigenen Kindes erkennen können, ob und wie eine Schlafproblematik vorliegt und wie diese mit ihrem Erziehungsverhalten zusammenhängt, erfolgt bei Mini-KiSS zu Beginn der Behandlung ein Psychoedukationsteil (Mindell et al. 2009; Steinberg et al. 2000), der folgende Themen beinhaltet:
- physiologische Grundlagen des Schlafes,
- Funktionen des Schlafes,
- altersbedingte Entwicklung des Schlafes sowie des Schlafbedürfnisses,
- mögliche Ursachen von Schlafstörungen,
- schlafstörende und -aufrechterhaltende Faktoren und
- schlafförderliche Faktoren.
Durch die Informationen hinsichtlich dieser Faktoren werden die Eltern in ihrer Wissenskompetenz über das Schlafbedürfnis und die Wichtigkeit der Einflüsse geschult. In der Regel erhöhen sich durch dieses Wissen die elterlichen Kompetenzüberzeugungen (Hiscock und Wake 2002). Die Beachtung der Schlafhygieneregeln bezüglich des kindlichen Schlafverhaltens ist Teil der Psychoedukation und wird bei der Durchführung betont.
4 Verhaltenstherapie
Im Kleinkindalter werden am häufigsten verhaltenstherapeutische Interventionen zur Veränderung der kindlichen Schlafproblematik verwendet (Kuhn und Elliott 2003; Mindell et al. 2006; Ferber 2006). Gerade für Schlafprobleme, bei denen ein hoher Anteil erlernten Verhaltens maßgeblich an der Entstehung der Störung beteiligt ist, erweist sich eine Verhaltenstherapie als besonders wirksam (Tikotzky und Sadeh 2010). Diese verhaltenstherapeutischen Interventionen beruhen auf der Annahme, dass elterliches Verhalten bei der Entstehung und Aufrechterhaltung kindlicher Schlafstörungen von großer Bedeutung ist (Adair et al. 1991; Schlarb 2008, 2010). In der schlafbezogenen Verhaltenstherapie werden mit den Eltern ungünstige elterliche sowie kindliche Verhaltensweisen anhand der Kenntnis von Lernprinzipien zu verändern und durch günstigere zu ersetzen versucht. Fokussiert wird vor allem auf klare und auch für die Familien erreichbare Ziele. So werden im Mini-KiSS-Programm mit den Eltern die folgenden verschiedenen verhaltenstherapeutischen Techniken besprochen und in ihrer familienbezogenen Anwendbarkeit diskutiert und von den Eltern entsprechend umgesetzt (Richman et al. 1985; France, Henderson und Hudson 1996; Schlarb 2010, 2011, 2012; Stores 1996):
- Löschung,
- Verhaltensformung und graduelle Annäherung,
- positive Verstärkung,
- Berücksichtigung von Antezedenzien und Diskriminationslernen sowie
- »positive Routine« im Sinne des Einschlafrituals.
4.1 Löschung
Bei der Löschung oder Extinktion werden positive Verstärker für problematisches Verhalten entfernt. Eltern sollen unterscheiden, ob ihr Kind nachts aus Angst oder aus Gewohnheit oder gar aus dem Gefühl von Macht schreit. Ist der Grund eher Gewohnheit oder das Erlangen eines Machtgefühls, so soll dieses Verhalten nicht durch elterliche Zuwendung oder Aufmerksamkeit belohnt werden. Der Therapeut sollte hierbei betonen, dass die Kinder durch das Nicht-Reagieren der Eltern ihre eigenen selbstregulatorischen Kompetenzen einsetzen oder ausweiten lernen. Diese Strategie erwies sich in verschiedenen Studien als erfolgreich (Rickert und Johnson 1988; Reid und Walter 1999; Seymour et al. 1989).
Der Therapeut sollte betonen, dass die Extinktion nur dann erfolgreich verlaufen wird, wenn sich die Eltern einig sind, wenn sie an einem Strang ziehen und gemeinsam konsequent sind. Auch sollte den Eltern verdeutlicht werden, dass die Umsetzung der Extinktion gerade zu Beginn zu erschwerten Belastungen der Familie führen kann, da das Kind die elterliche Zuwendung für sein Verhalten vermissen wird, was sich dann wiederum nicht selten in Schreien oder Widerständen beim Zubettgehen äußert. Die Bereitschaft vieler Eltern ist oft eingeschränkt, da sie befürchten, dies schade ihrem Kind (Tikotzky und Sadeh 2010). Von diesen Eltern wird die graduelle Annäherung in der Regel eher umgesetzt.
4.2 Graduelle Annäherung
Die graduelle Annäherung ist eine schrittweise Annäherung an das erwünschte Verhalten. Bei diesem Vorgehen ist zum einen ein genauer Plan der einzelnen Schritte nötig (Steinhausen 1999) und zum anderen ist hinsichtlich der Schlafsituation meist auch eine kreative Lösungsstrategie notwendig. So können beispielsweise Eltern, die die Hand des Kindes halten mussten, in einem ersten Schritt einen Handschuh anziehen (Entfremdung), dann eine Handpuppe und schließlich die Puppe als Ersatz nehmen, um dann zu einem vom Kind selbstgesteuerten Prozess übergehen zu können. Jedoch ist auch bei dieser Vorgehensweise zu berücksichtigen, dass hierfür ein strukturiertes Vorgehen notwendig ist und ein Handlungsplan erstellt werden sollte. Die elterliche Konsequenz und Konsistenz sind auch bei diesem Vorgehen unabdingbare Bestandteile und stehen in direktem Zusammenhang zum Erfolg (Schlarb 2008; Mindell und Durand 1993).
4.3 Positive Verstärkung
Bei der positiven Verstärkung wird erwünschtes Verhalten durch eine Belohnung verstärkt. Wichtig bei der Belohnung ist, dass sie dem Kind und dem Alter des Kindes angemessen ist. Gerade jüngere Kinder brauchen eine zeitnahe Belohnung, damit diese wirkt. Auch sollte sie dem Kind visuell dargestellt werden oder der Gegenstand dem Kind gezeigt werden, damit die Motivation entsprechend gesteigert werden kann. Dabei können verschiedene Arten von Belohnungssystemen eingesetzt werden (Spielzeiten, Gegenstände), die sich nach den individuellen Präferenzen des Kindes richten. Die Strategie der positiven Verstärkung wirkt nicht, wenn die zu erwartende Belohnung einen geringeren Wert für das Kind hat als das Zeigen des Problemverhaltens (Schlarb 2008, 2011). Dies bedeutet z. B. dass ein Kind möglicherweise nicht für einen Kakao am nächsten Morgen alleine schläft, da der Kakao für das Kind keinen größeren Anreizcharakter als das Schlafen im Elternbett hat. Auch ist es für das Kind wichtig, dass das erwünschte Verhalten und die darauf folgenden Konsequenzen genau definiert sein müssen und dass die Eltern Positiv-Formulierungen verwenden sollen, um ihrem Kind das gewünschte Verhalten zu erklären (Steinhausen 1999). Indirekte Anreize können geweckt werden, indem mit dem gewünschten Schlafverhalten assoziierte Einschlafgeschichten vorgelesen werden, in der z. B. zwei Jungen immer, wenn sie ohne Widerstände ins Bett gegangen sind und durchgeschlafen haben, am nächsten Morgen ein kleines Geschenk erhalten, das die Schlaf-Fee nachts unter ihre Kissen gelegt hat (Schlarb 2010, 2011). Durch ein solches Vorgehen wird die Compliance und Motivation des Kindes gefördert und das...