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'Minimal Music'. Aspekte ihrer Entstehung, Entwicklung, Faktur, Ästhetik und Rezeption

AutorKatrin Reiners
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl63 Seiten
ISBN9783656121626
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Bachelorarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Soziologie - Medien, Kunst, Musik, , Sprache: Deutsch, Abstract: 'Minimal Music ist wie wenn man an einem Sommertag auf einer Wiese in der Sonne liegt und den Himmel betrachtet- er verändert sich laufend und bleibt doch immer gleich' (Wagner, Christoph) Diese Arbeit versucht zunächst, die musikalische Vielseitigkeit und Auslegungsvarianz (Unterspezifizierungen) des Begriffes 'Minimal Music' darzulegen (Teil 3 der Arbeit). In einem Exkurs werden eine etymologische und linguistische Analyse vollzogen. Desweitern wird im ersten Teil der Arbeit untersucht, in welchen Bereichen der Minimalismus Einzug hielt und welche Querverbindungen sich zu anderen Kunstbereichen ziehen lassen. Im Einzelnen werden Facetten der Kunst, des Tanzes, der Literatur und der bildenden Kunst näher beleuchtet, um einen Gesamtzusammenhang herstellen zu können und eine generelle Tendenz der 60er/70er Jahre aufzuzeigen. Wenngleich sich die meisten Bereiche unabhängig voneinander entwickelten, scheinen sie ein verbindendes Element zu haben, das seinen Ursprung offenbar in der Ästhetik der 'Minimal Music' hat. Weiterhin wird im zweiten Teil die Thematik unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit betrachtet, also die Frage gestellt, was genau zu der Entwicklung der 'Minimal Music' geführt hat. Im Einzelnen: Worin bestand die Notwendigkeit des Einzugs des Minimalismus in die Musik, wie genau vollzog sich die Entwicklung, und durch welche Einflüsse wurde sie begünstigt. In diesem Zusammenhang werden im vierten Teil der Arbeit die vier wichtigsten Vertreter der 'Minimal Music' (Young, Riley, Glass und Reich) jeweils mit einer kurzen - auch werkbezogenen - Biografie dargestellt und ihr Beitrag zur Gesamtentwicklung der 'Minimal Music' unter Einbeziehung der Ästhetik der 'Minimal Music' untersucht. Diese Vorgehensweise der in die Biografie integrierten Ästhetik erhält den Vorzug, da hierdurch individuelle Entwicklungen der Künstler und ihr Einfluss auf eben das ästhetische Handeln dargelegt werden können. Schließlich werden im fünften Teil Stilparallelen der Bereiche Musik und bildende Kunst sowie Musik und Film (bewegte Bilder) aufgezeigt. Am Beispiel des Films 'Koyaanisqatsi' der QATSI-Trilogie von Godfrey Reggio wird das Zusammenwirken von Film und der Musik von Philip Glass ausgewertet.

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Leseprobe

2. Geschichte der „Minimal Music“


 

2.1 Vorgeschichte der „Minimal Music“


 

Um die (Heraus)Entwicklung der „Minimal Music“ kann nur unter Betrachtung des historischen Kontextes und der musikalischen Veränderungen der 1940/50er Jahre nachvollzogen werden. Einhergehend mit der Zwölftonmusik, über die musikalische Entwicklung hin zur Seriellen Musik und den Nachkriegsjahren, wandten sich die Musiker von ihrem traditionellen Musikgut ab. Da die Musik der Romantik zu überladen war, musste man nun auf ein völlig neues System greifen. Somit stellte der Zustand der „tabula rasa[25]“, wie er um 1950 betitelt wurde, ein neues Fundament dar. „Man kann von Grund auf neu anfangen ohne Rücksicht auf Ruinen und „geschmacklose“ Überreste!"[26], wie Stockhausen die Ausgangslage beschrieb. Erneuerungen seien möglich, ohne dass man sich an konventionelle und traditionelle musikalische Vorgaben halten müsse. Durch „die Befreiung von den Resten der musikalischen Vergangenheit“[27] stand der Realisierung der musikalischen Grundidee des Minimalismus nun nichts mehr im Wege. Die von Arnold Schönberg ab 1922 verwendete Zwölftontheorie stellte in der Musik einen Bruch dar. Nach dem Philosophen Theodor W. Adorno[28] waren Schönbergs Stücke „die ersten, in welchen in der Tat nichts anderes sein kann: Sie sind Protokoll und Konstruktion in einem. Nichts ist in ihnen von den Konventionen geblieben, welche die Freiheit des Spiels garantieren.“[29]

 

Durch die Übertragung des Reihenprinzips entstand daraus 1948 eine neue musikalische Strömung, die „Serielle Musik“. Wie auch in der Zwölftonmusik unterlag die Komposition strengen Regeln, die allerdings in der Seriellen Musik auf weitere Parameter übertragen wurden. Somit wurde nicht nur der Tonhöhenverlauf als solches festgelegt, sondern es wurde auch der Versuch unternommen Tondauer, Dynamik, Artikulation, Spielart, Klangfarbe etc. nach vorab ermittelten Zahlenproportionen zu konstruieren. In der Seriellen Musik gab es exakte Vorgaben zur Darbietung, die ein Mensch in der nötigen Genauigkeit kaum vollziehen kann.

 

Zu den Serialisten gehörten mitunter Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen, Karel Goyvaerb und György Ligeti. Für den Hörer jedoch war die Serielle Musik zu überladen und konnte aufgrund der musikalischen Komplexität kaum nachvollzogen werden. Oft wurde serielle Musik als chaotisch und ungeordnet empfunden, was daher rührte, dass der Hörer nicht in der Lage war, musikalische Schichten zu durchhören. Zu komplex war das Erscheinungsbild und der Ruf zur Rückkehr zur Einfachheit der Musik wurde laut. Philip Glass sagte hierzu:

 

"Die bekannteste musikalische Bewegung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist sicherlich die Serielle Musik, [...] Diese Bewegung zeichnete sich durch eine geschlossen historische Perspektive aus, und sie erstarrte sehr schnell im Formalen,  [...]. Die minimalistische Bewegung [...] war gar keine Bewegung im eigentlichen Sinne. [...] Die Grundidee war, dass die Musiksprache übermäßig intellektualisiert war; sie war so obskur geworden, dass das Publikum keinen unmittelbaren Zugang mehr zu ihr finden konnte - und gerade die Kommunikation mit dem Publikum war für uns sehr wichtig. Als wir sahen, wie wütend und hysterisch viele Leute reagierten, wussten wir, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen hatten. Das zweite, was diese Komponistengeneration tat: Sie wurden alle Performer. Performances waren eine weitere Möglichkeit, sich deutlich von der 'akademischen' Musik abzusetzen." [30]

 

Die Elektronische Musik und die Aleatorik entwickelten sich aus dieser Problematik heraus. Stockhausen sah erstmals die Möglichkeit gegeben, mit einmaligen und assoziationsfreien Klängen und Klangfarben arbeiten zu können[31]. In der Aleatorik lag der generelle Verlauf des Stückes fest, im Einzelnen hing es allerdings vom Zufall ab. Wobei hierunter nicht der unkontrollierte Zufall zu verstehen war, vielmehr ging es um den Versuch, den Zufall zu rationalisieren und fest in die Musik einzuplanen. Auch hier lagen klare Verbindungen zur „Minimal Music“ vor. Obwohl die Pattern vorgegeben waren, verlief jede Aufführung anders. Kleinste Unterschiede konnten eine Varianz in der Performance darstellen, wenngleich der grobe Ablauf festgelegt war. Durch die Technik war ein exaktes Ausführen der Angaben möglich. In der „Minimal Music“ spielten elektronische Mittel eine wichtige Rolle (Beispiel „It’s gonna rain“), dementsprechend waren hier bereits beeinflussende Aspekte der „Minimal Music“ zu erkennen.

 

2.2 Geschichte der „Minimal Music“


 

Im Prinzip dürfte es von einer Musik, deren Prämisse es war, sich von Vorläufern/ Vorbildern ästhetischer, kompositorischer und stilistischer Art losgelöst zu haben, keine Geschichte geben.

 

„Es schien mir besser, eine Musik zu schreiben, über die niemand etwas wusste“[32] (Terry Riley) „Ich dachte immer daran, eine Musikrichtung zu finden, die ganz bewusst nichts- nicht ein einziges Element- hatte, was ich studiert hatte“[33] (Philip Glass) „Ich war fasziniert von einem kompletten System, Musik zu komponieren, das in der westlichen Musik kein direktes Gegenstück hat.“[34] (Steve Reich)

 

Als Pionier der eigentlichen „Minimal Music“ galt La Monte Young. Während seines Studiums der Kompositionstechnik begegnete er Schönberg und wurde von dessen Zwölftonmusik geprägt. Er wurde vom „Musician Magazine“ als „The acknowledged father of minimalism“[35] bezeichnet und Terry Riley sagte: „Ohne La Montes Arbeit wäre die ganze Bewegung Reich, Glass- nicht passiert, oder jedenfalls nicht in der Art.”[36] Es ist nicht nachvollziehbar, wer den Begriff „Minimal Music“ und damit einhergehend eine Definition der neuen Musikrichtung- als Erster geprägt hat. John Schäfer brachte die Uneinigkeit über diesen Punkt durch sein Zitat deutlich zum Ausdruck:

 

„Steve Reich attributes the label to British composer/author Michael Nyman. Philipp Glass Claims that Tom Thomson is the culprit.“[37]

 

Aus diesem Zitat kann entnommen werden, dass der Begriff „Minimal Music“ nicht den Vorstellungen aller Anhänger entsprach. Steve Reich fasste diese ablehnende Haltung vieler Künstler zusammen:

 

„Ich glaube nicht, daß ein solches Label gut für das musikalische Denken ist, weil es einem meistens sagt, wer man ist und einen definiert, und das ist eigentlich das letzte, was man als Komponist will, [...] weil man wachsen will hin zu etwas, was man nicht kennt.“[38]

 

Sowohl John Schäfer (USA) als auch Michael Nyman (Großbritannien) schrieben für Zeitschriften bzw. Zeitungen und verfassten Musikkritiken. Anhand dieses Zitates wurde eine gewisse Gleichzeitigkeit bzw. der gegenseitige Einfluss der unterschiedlichen Komponisten dargestellt. La Monte Young, Terry Riley, Philip Glass und Steve Reich begegneten sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten, haben aber alle direkt oder indirekt Einfluss aufeinander genommen. Wenngleich nicht ganz klar zu sehen ist, welcher Komponist wen beeinflusste, steht ihr Kontakt für die (weitergehende) Entwicklung der „Minimal Music“ außer Frage. Die Zeit ließ die vier Komponisten Reich, Glass, Riley und La Monte Young miteinander in Verbindung treten:

 

„Der allererste Komponist, der im Minimalismus, wie es heute genannt wird, arbeitete, war La Monte Young. Er traf Terry Riley in Berkeley, Kalifornien in den 60ern. Riley schrieb damals serielle Musik, Young hatte einen großen Einfluss auf ihn. Ich traf Riley, als er gerade an ’In C’ arbeitete. Ich half ihm, die Aufführung zu organisieren und spielte auch mit. Sicherlich lernte ich auch mit. Sicherlich lernte ich viel von ’In C’. Philip Glass traf auf mich/ als er gerade aus Paris nach New York zurückkam. Damals war er noch im Übergang zwischen Zwölftonmusik und Repetition. [...] Er fand meine Musik fantastisch. Das [ist] die Geschichte der minimal-music!“[39]

 

Allen gemein ist eine generelle Tendenz, etwas neues und unbefangenes in der Musikgeschichte zu schaffen.

 

Mit den frühen 60er Jahren sowie den ersten Fluxus-Konzerten unter Young, Riley und Cage (ca. 1960) begann die Entstehungsphase der „Minimal Music“. Die Werke “Two Sounds”, “Composition 1960 No.7” und “Arabic Numeral (any interger) for Henry Flynt“ markierten die Geburt der „Minimal Music“. Riley und Young studierten gemeinsam an der University of California und teilten sich ein gewisses Außenseiterdasein:

 

„Wir wurden damals als Verräter angesehen, und deshalb wurden wir noch rebellischer und machten so etwas wie musikalische Happenings.“[40]

 

Das Studium der Komposition in den USA der 50er Jahre brachte in der Folge auch eine unumgehbare Auseinandersetzung mit der europäischen Musikkultur mit sich. Die

 

Komponisten mussten in ihrem Studium serielle oder Zwölftonmusik komponieren, worin die Ablehnung der Musiker begründet lag. Somit setzten sich die Musiker mit der eigenen amerikanischen (Jazz)Musik sowie mit der östlichen und außeramerikanischen Musik auseinander.[41] Der Ursprung der Fluxus-Bewegung (neodadaistische Bewegung) liegt im Jahre 1951 bzw. im Jahr 1952 mit dem...

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