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Mitten in der großen Krise. Ein 'New Deal' für Europa

AutorStephan Schulmeister
VerlagPicus
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783711750006
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Mit der 'großen Krise' hat der Übergang von einer finanz- zu einer realkapitalistischen Wirtschaftsordnung begonnen, wie Stephan Schulmeister, einer der profiliertesten österreichischen Wirtschaftsforscher, beschreibt. Dieser wird Jahre dauern: Der in den letzten dreißig Jahren zunehmend dominante Finanzkapitalismus stellt ja eine umfassende 'Spielanordnung' dar. Dazu gehören die neoliberale Wirtschaftstheorie, der Vorrang für den Geldwert, die Liberalisierung der Finanzmärkte und die Schwächung des Sozialstaats. Die große Krise wird den Boden für eine Neuordnung des 'Spiels Wirtschaft' bereiten: Die Triebkraft kapitalistischer Dynamik, das Profitstreben, wird wieder auf realwirtschaftliche Aktivitäten fokussiert, ergänzt und erweitert um die ökologische und soziale Dimension. Die Länder der EU sind in dieser Situation durch das 'Spardogma' und das 'Gefangenendilemma' gelähmt: Betreibt jedes einzelne Land eine expansive Politik, so fließt ein Großteil der Impulse ins Ausland. Machen alle EU-Länder dies gemeinsam, so stärken sie sich wechselseitig. Das wäre jener 'New Deal' für Europa, der die Talsohle im langfristigen Entwicklungszyklus verkürzen würde. Wie könnte er aussehen, und welches politische 'leadership' braucht es zu seiner Durchsetzung?

Stephan Schulmeister, Wirtschaftsforscher; Studium der Rechtswissenschaften und Ökonomie in Wien. Forschungsbereiche: Industrieökonomie, Innovation und internationaler Wettbewerb, Außenwirtschaft und internationale Wirtschaftsbeziehungen, Finanzmärkte und Unternehmensstrategien. Zahlreiche internationale Forschungs- und Lehrtätigkeiten, u.?a. an der New York University, dem Wissenschaftszentrum Berlin und der University of New Hampshire; Lehrbeauftragter an der Universität Wien und an der Wirtschaftsuniversität Wien. Im Picus Verlag erschien in der Reihe Wiener Vorlesungen 'Mitten in der großen Krise. Ein ?New Deal? für Europa' (2011).

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Leseprobe
6. Die große Krise im politökonomischen Entwicklungszyklus (S. 29-30)

Um die Position der gegenwärtigen Krise im letzten langen Zyklus zu skizzieren, möchte ich zunächst zeigen, wie das Lernen aus der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre zur Etablierung realkapitalistischer Rahmenbedingungen und damit zur Prosperitätsphase führte, und wie dieses Wirtschaftswunder durch seinen Erfolg den Boden für einen Wechsel zur finanzkapitalistischen Abschwungsphase bereitete (Schulmeister, 1998, 2004)7:

- Finanzkapitalistische Rahmenbedingungen in den 1920er Jahren (vom Aktienboom bis zur Dominanz der neoklassischen Wirtschaftstheorie) bauten das Potenzial für die Weltwirtschaftskrise auf, ausgelöst durch den Börsenkrach von 1929.

- Die Depression der 1930er Jahre markiert die Talsohle des langen Zyklus. Ihre Folgen waren verheerend. Dementsprechend radikal fiel die Aufarbeitung der Krise aus.

- Diese erbrachte eine neue Wirtschaftstheorie (Keynesianismus) und eine darauf aufbauende Neugestaltung des Verhältnisses von Markt und Staat. Auch das Verhältnis von Güter- und Finanzmärkten wurde neu gestaltet, Erstere liberalisiert, Letztere reguliert. Damit waren die Rahmenbedingungen für die realkapitalistische [46] Phase des langen Zyklus geschaffen. Politisch abgesichert wurde dieses Regime durch den großen Konsens zwischen Arbeit und Realkapital auf Basis der Sozialen Marktwirtschaft.

- Hohes Wirtschaftswachstum, Ausbau des Sozialstaats und anhaltende Vollbeschäftigung zogen in den 1960er Jahren eine langsame, aber stetige Machtverlagerung zugunsten der Gewerkschaften (und der Sozialdemokratie) nach sich. Die damit verbundene Umverteilung von den Gewinnen zu den Löhnen, die massive Zunahme von Streiks, die Forderung nach immer mehr Mitbestimmung, das Jahr 1968 und die drohende Abwanderung der Intellektuellen ins linke Lager, all dies trug wesentlich zur Abkehr der Unternehmer vom Interessebündnis mit der Arbeit bei.

- Mit bewundernswerter Energie und Ausdauer bereiten die (damaligen) Außenseiter Friedman und Hayek schon ab den 1950er Jahren die neoliberale Gegenoffensive vor (Hayek sogar schon früher). Hauptangriffspunkte waren:

- Die Regulierung der Finanzmärkte, insbesondere im Zusammenhang mit der Debatte um flexible versus feste Wechselkurse. Die (langfristige) Ineffizienz bzw. Schädlichkeit von Vollbeschäftigungspolitik (Phillips-Kurven-Debatte).

Mit seiner Presidential Address bei der American Economic Association begann Milton Friedman 1968 mit der Generaloffensive gegen Keynesianismus, Vollbeschäftigungspolitik, Sozialstaat und Gewerkschaften. Sie wurde dadurch gefördert, dass der Erfolg des Realkapitalismus das Bündnis Arbeit–Realkapital unterminiert hatte: Bei Vollbeschäftigung nahmen die Streiks zu, die Lohnquote stieg massiv, immer mehr Mitbestimmung wurde verlangt, links wurde schick unter Intellektuellen, die Sozialdemokratie [47]bekam Aufwind etc. All dies verstörte die Unternehmer immer mehr.
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