4.1 Warum ein Pass-Puzzle®?
„Barca macht das Spiel so einfach wie möglich, zerlegt es in seine Bestandteile, in die Elementarteilchen des Fußballs, die fein verzahnten Bewegungen von Ball und Beinen – unendlich viele, kleine, präzise Pässe, gespielt im richtigen Moment, mit dem richtigen Tempo, dem richtigen Drall, auf den richtigen Fuß, auf die richtige Seite des Fußes. Und all das eingebettet in die Kollektivbewegung eines Schwarms, in dem jeder Einzelne immer den richtigen Abstand zu allen anderen hat.“
(Christian Eichler, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, o.J. und o.S.).
Das Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache definiert den Begriff Puzzle als „Ein aus Einzelteilen zusammengesetztes Bild“ (Kluge 1999, S. 656). Die Herkunft des Begriffs ist jedoch nicht sicher geklärt. Er findet sich heute in dem Neuenglischen wieder und steht für „Verwirrung“ (dto.). Umgangssprachlich wird er in Deutschland mit dem Puzzeln in Verbindung gebracht und steht in diesem Kontext synonym für „Geduldsspiel“ (Duden 1996, S. 597).
Was hat nun das Puzzle mit dem gewählten Pass-Puzzle® zu tun? Schaut man sich zum Beispiel das Tiqui-Taca des FC Barcelona genauer an, kommt dieses einem Geduldsspiel mit zum Teil verwirrenden Passkombinationen, bestehend u.a. aus den Einzelteilen One-Touch-Pässe in Kombination mit Dreiecks-Pässen, Winkel-Pässen und Patsch-Patsch-Pässen, sehr nahe. Diese werden wettkampfspezifisch so eingesetzt, dass die Spieler sich auf engem Raum und ohne Ballverlust gemäß der eignen oder gegnerischen Spielabsicht entsprechend verhalten können: den Gegner zermürben oder mit Ball ausruhen oder Vorbereitung einer Spielverlagerung oder eines Weglaufens etc.[8]:
Die Situation ist die Frage, die Bewegung (hier die Passarten) die Antwort.
Die Verbindung der einzelnen Passsarten (die „Details“ = Puzzles; vgl. Abb. 3 mit unterer Folie des Puzzles) mit taktischen Gesichtspunkten („Was ist meine/unsere Spielabsicht und wie will ich diese umsetzen?“) wird nicht nur durch die Wahl der Begrifflichkeiten überaus deutlich und plausibel:
Je größer die Qualität der einzelnen und im Team (abgestimmten) Lösungsmöglichkeiten (im Sinne wirksamer Verhaltensmaßnahmen) ist, desto höher ist das Spielniveau!
Begriffe, die dem Trainer/Lehrer und den Spielern im Training und Spiel helfen sollen, das situative Coaching der Übungs- oder Spielform mit Hilfe von fußballspezifischen, schnell verständlichen Sprachbildern und Codes (z.B. dem „Last-Moment-Pass“) zu erleichtern. Das setzt voraus, dass die Trainer/Lehrer die Inhalte und Methoden des Coachings intensiv mit den Spielern besprechen und ihnen die Notwendigkeit dieser konkreten Absprachen erklären und verständlich machen.
Die Autoren erfüllen hierdurch eine zentrale Forderung der Fußball-Lehrer-Ausbildung des Deutschen Fußball-Bundes: „Technik unter taktischen Gesichtspunkten trainieren.“ und: „Entscheidend. Coaching!“ (Wormuth 2011, S. 46; vgl. auch Kap. 4.5). Aber wie? Beispiele für situatives Coaching könnten wie folgt benannt werden:
„Kein Gegner im Rücken? Aufdrehen!“
„Gegner im Rücken? One-Touch-Pass!“
„Hinter dem Gegner? Voraktion: Raus aus dem Deckungsschatten!“
„Raum-Pass? Nachaktion: Ball begleiten!“
„Enger Raum, Gegner presst? Tiqui-Taca, Patsch-Patsch-Pässe und Kaatsen oder „enge“ Dreiecks-Pässe!“
„Aus dem „engem Raum“ herausspielen? Wechsel-Pässe in Tiefe und Breite!“
Wie die Autoren bereits in Kap. 1 hervorheben konnten, kann sich ein situatives Coaching nicht nur auf die Bewertung von Lösungen beschränken, die „Wenn-dann-Regeln“ zur Grundlage haben, weil diese dann zumeist „Mache/Macht-es-so-oder-so-richtig/besser!-Hinweise“ des Trainers/Lehrers zur Folge hätte. Kollektive Handlungsstrukturen, wie sie im komplexen Passspiel genuin vorkommen, bilden sich auch in Form unbewusster, aber (hoch-)intelligenter Verstehensprozesse aus, sodass die von Spielern als sehr beanspruchend empfundenen Bedingungen (z.B. enormer Wettkampfstress und neuartige und schwierige Aufgabenstellungen) vom Spieler/von den Spielern präzise, schnell, variabel und situationsadäquat in Spielformen „gelöst“ werden kann/können.
Das ganze Puzzle stellt das Wettspiel (das Bild) dar, aus diesem sind die Einzelteile (die „Details“) als Puzzles von den Autoren nach intensiven Videoanalysen abgeleitet worden (vgl. Abb. 2)[9]. Hierdurch begründet sich die Wahl des Begriffspaars Pass-Puzzle®.
Abb. 2:Der „Hyballa/te Poel-Pass-Puzzle-IQ®“ mit „unterer und oberer Folie“
Die Abbildung 2 verdeutlicht, dass die ausgewählten 20 Puzzles in ihrer Gesamtheit als „obere durchsichtige Folie“ auf der „unteren Folie“ (vgl. Abb. 3), bestehend aus den wesentlichen leistungsbestimmenden Faktoren für das Wettspiel Fußball und ebenfalls wie ein Puzzle dargestellt, aufliegen.
Abb. 3:Die „untere Folie“ des „Hyballa/te Poel-Pass-Puzzle-IQ®“.
Der Trainer/Lehrer kann aus den 20 Puzzlen, ob auf Kreisliga- oder internationalem Spitzenniveau, für das Training seiner Mannschaft/Gruppe auswählen und die entsprechenden Inhalte übernehmen (vgl. Kap. 4.3). Er kann aber auch die gewählten Begrifflichkeiten ändern und diese an die Team- und Coachingsprache „seiner“ Mannschaft/Gruppe anpassen.
In der Regel steht der Pass, Standardsituationen einmal ausgenommen, nie isoliert im Zentrum des Trainings- und Spielgeschehens. So kann der „Tödliche-Pass“, der zumeist als „letzter Ball“ in die torgefährliche Zone des gegnerischen Spielfelds gespielt wird, ebenfalls als ein „Über-die-Abwehr-Pass“ interpretiert werden. Der Unterschied beider Passarten liegt zumeist im führenden technischen Merkmal des Passes: Der „Tödliche-Pass“ wird sehr häufig als „Flach-Pass“, als sogenannter Schnittstellenball, gespielt und der „Über-die-Abwehr-Pass“, wie der Begriff schon „sagt“, technisch als halbhoch oder hoch gespielter „Lupfer-Pass“ oder „Wechsel-Pass“. Ein weiteres Beispiel für die engen Verbindungen zwischen den einzelnen Puzzles stellt das Spielen über den „dritten Mann“ dar. Hierzu benötigt man in Training und Spiel den „Dreiecks-Pass“ oder den „Kombi-Pass“ oder den verzögerten „Doppel-Pass“. Die Begründung hierfür liegt für uns Trainer/Lehrer auf der Hand: „Wir benötigen Lösungsoptionen, Puzzles, für das Spielen im engen Spielraum, und diese sollten wir regelmäßig trainieren!“
Führen wir diesen Handlungsgedanken weiter, dann werden die Spieler zur weiteren Spielfortsetzung dieser Kombination „One-Touch-Pässe“ und „Raum-Pässe“ einsetzen, weil sie vielleicht nur somit den in einer guten Ordnung stehenden Gegner noch ausspielen können. Sie müssen möglichst schnell in Raum und Zeit handeln. Man erkennt somit als Leser sehr schnell: Im Training und im Spiel steht nichts für sich allein: Die ausgewählten 20 Passarten (Puzzles) sind Teile eines Bildes, das die Autoren Wettspiel nennen. Diese können zwanglos kombiniert und verbunden werden. Die erwünschte spielerische Kreativität im Umgang mit dem Pass-Puzzle®, die Trainer/Lehrer und Spieler leisten sollen, bezeichnen die Autoren als IQ (Pass-Intelligenz)[10].
„Aber im Top-Fußball entscheiden über die wichtigen Siege und Niederlagen oft Kleinigkeiten, die man von außen meist gar nicht wahrnimmt. Da geht es darum, gedanken- und handlungsschnell zu sein. Diese Kleinigkeiten zu beherrschen, finde ich faszinierend.“
(Der 100-fache deutsche Nationalspieler Bastian Schweinsteiger, FC Bayern München, im kicker-Interview von Hartmann, O. & Wild, K., vom 14. Oktober 2013, S. 11).
In der Abbildung 2 findet man die Pass-Intelligenz auf der unteren Folie wieder. Unter der Abkürzung IQ verstehen die Autoren keine festzustellende intellektuelle, sondern eine pointierte Kennzeichnung intelligenter Lernprozesse durch Training, Spiel und Coaching im Fußball, in denen die Spieler mithilfe des Passspiels wettspielgemäß aufeinander Bezug nehmen und die Ideen der Mit- und Gegenspieler gewissermaßen „lösungsgenau“ zu lesen lernen (vgl. Kap. 2 und insbesondere Guilford (1967) zur menschlichen Intelligenz).
Das Pass-Puzzle® wäre jedoch auf der Folie der Komplexität unseres Wettspiels Fußballs in wesentlichen Teilen nicht vollständig, wenn, neben den bereits angesprochenen, weitere, leistungsbestimmende Faktoren nicht genannt und einbezogen würden, die im Trainingsprozess und speziell bei der Trainingsplanung dem „Passauge“ des Trainers/Lehrers nicht entgehen sollten: die Pass-Mentalität, die Pass-Fitness, die Pass-Philosophie (vgl. Abb. 3; Kap. 4.3, 4.4 und 4.5):
„Ein herausragendes Balltalent, das denkt, ihm fliege alles zu, wird garantiert überholt von weniger Begabten mit sehr starker Eigenmotivation und Mentalität. Und der allesentscheidende Unterschied ist oft die mentale Stärke.“
(Norbert Elgert, U19-Fußball-Lehrer des FC Schalke 04 und Trainer des Jahres 2014, im kicker-Interview mit Müller, T. vom 28. April 2014,...