Vor dem Hintergrund kürzer werdender Renndistanzen in Europa, sollte für die deutsche Population des Englischen Vollbluts untersucht werden, ob durch züchterische Maßnahmen eine Selektion nach Distanzklassen möglich ist, um sich den ändernden Marktansprüchen anpassen zu können. Zur Beantwortung dieser Frage wurden mit Hilfe eines BLUP-Tiermodells genetische Parameter für die Rennleistungen (Platzierungen) aller zwei- bis vierjährigen deutschen Vollblüter geschätzt, die zwischen 1996 und 2005 an Flachrennen zwischen 1000 m und 2400 m teilgenommenen haben. Die
Parameterschätzung erfolgte getrennt nach Altersklassen (zwei-, drei- und vierjährig) für die vier Distanzbereiche Sprint, Meile, Intermediate und Steher. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wurden erstmalig mit Hilfe von Modellkalkulationen Zuchtfortschritte für unterschiedliche Selektionsstrategien vorausgeschätzt. Der Arbeit wurde eine Status-quo-Analyse vorangestellt, um
zu überprüfen, ob sich die Tendenz zu kürzeren Renndistanzen statistisch absichern lässt. Die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
- Der Trend zu kürzeren Renndistanzen in Europa konnte durch die Auswertung der zwischen 1991 und 2005 in Deutschland, Frankreich, Italien und England gestarteten Flachrennen statistisch
Signifkant nachgewiesen werden.
- Die auf der Grundlage der Rennleistungsergebnisse von 4.527 zweijährigen, 11.067 dreijährigen und 9.179 vierjährigen Rennpferden geschätzten Heritabilitäten für die vier Merkmale Sprint, Meile,
Intermediate und Steher sinken mit zunehmendem Alter der Pferde. Sie bewegen sich auf einem niedrigen bis moderaten Niveau und nehmen für die einzelnen Merkmale Werte von 0,08 – 0,19 (Sprint), 0,04 – 0,16 (Meile), 0,04 - 0,14 (Intermediate) und 0,05 – 0,13 (Steher) an.
- Die genetischen Korrelationen zwischen den Rennleistungen der vier Merkmale Sprint, Meile, Intermediate und Steher liegen innerhalb der Altersklassen der Zwei- und Dreijährigen im mittleren (0,64) bis sehr hohen Bereich (0,99) und sinken mit zunehmender Entfernung voneinander. Die genetischen Beziehungen zwischen den Merkmalen sind für vierjährige Pferde ebenfalls positiv, sinken jedoch mit größer werdendem Abstand sehr viel deutlicher und weisen außerdem hohe
Standardfehler (0,107 bis 0,267) auf.
- Die für vierjährige Rennpferde geschätzten niedrigen Heritabilitäten und die hohen Standardfehler der genetischen Korrelationen gaben den Ausschlag, Zuchtfortschritte ausschließlich für dreijährige Vollblüter auf der Grundlage von Eigenleistungen zwei- und dreijähriger Pferde zu berechnen.
- Die Modellkalkulationen lassen Zuchtfortschritte erwarten, die für das Merkmal Meile am größten und für das Merkmal Steher am geringsten sind. Eine Spezialisierung auf einen bestimmten Distanzbereich durch die Definition eines entsprechenden Zuchtwertes führt jedoch nicht zu
nennenswert mehr Fortschritt für dreijährige Rennpferde als ein konservatives Zuchtprogramm, bei dem der Zuchtwert die gleichzeitige Verbesserung aller Merkmale vorsieht. Eine Spezialisierung stellt unter den momentanen Gegebenheiten keine echte Alternative dar, um den genetischen Fortschritt innerhalb einer bestimmten Distanzklasse zu erhöhen.
- Die für dreijährige Rennpferde geschätzten Zuchtwerte auf der Grundlage von 10 Eigenleistungen zwei- und dreijähriger Pferde lassen bereits relativ hohe Genauigkeiten von über 0,7 für alle Merkmale erwarten. Der Reifegrad der Pferde hat einen deutlichen Einfluss auf die Genauigkeiten der geschätzten Zuchtwerte der Merkmale Sprint und Meile. Um die Rennleistung über diese Distanzbereiche zu verbessern, sollten Pferde bereits zweijährig leistungsgeprüft werden, da die
fehlenden Informationen im Alter von drei Jahren nicht kompensiert werden können.
- Eine Selektion ausschließlich auf Basis der Eigenleistungen zweijähriger Rennpferde ist nicht zu empfehlen, da die Zuchtwerte noch sehr ungenau geschätzt werden. Ein zweites Prüfungsjahr lässt deutliche Steigerungen der Genauigkeiten um bis zu 29,3 % erwarten.
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