3. Wissensmanagement des Individuums
3.1 Das lernende Individuum
Nur wenn der Einzelne seinen eigenen Lernprozess bewusst steuern kann, gelingt es der Organisation daraus zu lernen. Eine Organisation ist insofern abhängig von den Lernleistungen des Einzelnen, denn „der Mensch ist in der Organisation derjenige, der Informationen erkennen und sie in seinem Kopf zu Wissen verarbeiten kann. Er ist der Wissensgenerator, der Wissensverteiler und der Wissensträger.“ (Roumois, S. 113)
Dabei wurde für den Bereich der Erwachsenenbildung eine Wende vom zunächst behavioristischen über das kognitive hin zum konstruktivistischen Lernen Erwachsener vollzogen (vgl. Roumois 2010, S. 123).
„Der Konstruktivismus verarbeitet Teile der behavioristischen wie auch Teile der kognitivistischen Lerntheorie.“ (Roumois, S. 123)
Behavioristische Ansätze gehen von einem sog. Reiz-Reaktions-Schema aus, wonach der Mensch auf einen von außen gesetzten Reiz in einer bestimmten Art und Weise reagiert. Wissen gilt als Abbild der Realität und es existiert die Vorstellung, dass Wissen „wie ein Objekt vom Lehrenden auf den Lernenden übertragen werden“ (vgl. Roumois, S.117) kann.
Demgegenüber steht der kognitivistische Ansatz, der von einem denkenden Menschen ausgeht, der alle Informationen im Kopf verarbeitet. Somit versteht der Kognitivismus
„Lernen als Informationsverarbeitung, als aktiven kognitiven Strukturierungsprozess, und untersucht die verborgenen kognitiven Repräsentationen des Wissens wie Ordnungsmuster, Schemata, Kausalrelationen. [...] Der Kognitivismus unterscheidet kognitives Lernen (lernen aus Einsicht) vom Beobachtungslernen oder Lernen am Modell (lernen als Imitation, Identifikation).“ (Roumois, S. 119)
In einem sogenannten „Integrierten Modell“ des individuellen Lernens, das auf den Sozialpsychologen Kurt Lewin 1963 zurückgeht und von Schüppel 1996 weiterentwickelt wurde, werden nun diese beiden Modelle in ein konstruktivistisches Konzept mit aufgenommen.
Aus einem Lernzyklus wird die Lernspirale. Im Konstruktivismus geht es also um einen aktiven Prozess des Lerners sich mit seinen subjektiven Erfahrungen das Wissen selbst zu konstruieren. Somit werden die Erfahrungen und das Denken zusammengebracht und laufen nicht isoliert voneinander ab. Neues Wissen wird an bereits erworbenes sozusagen „angedockt“ und dieses damit erweitert. Dies bedeutet jedoch auch, dass Wahrnehmung, Analyse, Planung und Handlung selbst zu einer Wissensbasis werden und bei jedem neuen Lerndurchgang sich diese selbst verändert. (vgl. Roumois, S. 123)
Abb. 4: „Lernspirale des Individuums“ Roumois 2010, S. 124
(Darstellung in Ergänzung des Lernzirkels nach Schüppel 1996, S. 70)
Da jeder Mensch seine eigenen Erfahrungen mitbringt und das Denken bei einem Menschen eigentlich nicht abzustellen ist, gilt im Prinzip jede Lebenssituation auch als eine Lernsituation. Das bedeutet jedoch auch, dass ein „Nicht-Lernen“ fast unmöglich erscheint und daher zunehmend die Betrachtung des sog. informellen Lernens an Bedeutung gewinnt, auch wenn sie bislang wenig berücksichtigt wurde. Wird Lernen als „aktiver, selbstgesteuerter, konstruktiver, situativer, sozialer und emotionaler Prozess“ (Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001 in Mandl 2004, S. 20) verstanden, so ist zwar „das Ergebnis des Lernens [nämlich] die Generierung von Wissen“ (Mandl 2004, S.20), dieses jedoch kann nicht wie ein Produkt eins zu eins von einer zur anderen Person weitergegeben werden. „Die aktive und subjektive Wissenskonstruktion ersetzt die reine Reproduktion von Wissen, so dass sich daraus die Schlussfolgerung für die Wissensvermittlung ergibt, dass Wissen nicht mehr lehrer-, sondern lernergesteuert erfolgen muss, was eine Kritik am Instruktionismus impliziert. Lernerfahrungen, Methodenwissen und Reflexionsfähigkeit sind jedoch die unabdingbaren Voraussetzungen, dass solch ein individueller Wissensaneignungsprozess überhaupt funktionieren kann“ (Roumois 2010, S. 123).
Demgegenüber erscheinen die Überlegungen, ob bei der Polizei sog. verpflichtende Seminare mit Zertifizierung eingeführt werden sollen, als zu kurz gedacht. Vielmehr dürfte die Erhöhung der Attraktivität von Fortbildung, sowie Freiräume für den Erwerb von Grundkompetenzen zum eigenständigen Wissenserwerb zu nachhaltigeren und zielführenderen Lösungen führen. Es gibt natürlich Inhalte, die jedem Mitarbeiter von Zeit zu Zeit aktualisiert zur Verfügung gestellt werden sollten, jedoch lässt sich über die Frage der Art und Weise trefflich streiten. Im Vordergrund nachhaltiger Überlegungen zum Thema Lernen des Einzelnen dürfte die Frage von breitgefächerten Lernerfahrungen, Methodenwissen und Reflexionsfähigkeit stehen, da diese in der aktuellen Literatur und Diskussion als Kernkompetenzen eines konstruktivistischen Lernbegriffes gesehen werden.
„Der Konstruktivismus versteht Lernen nicht mehr als Wissensreproduktion, sondern als aktive und subjektive Wissenskonstruktion. Wissen ist kein Objekt und lässt ich nicht vermitteln, jeder Lernende konstruiert sein individuelles Wissen. Die konstruktivistische Lernmethode, das selbstgesteuerte Lernen, ist deshalb nicht mehr lehrer-, sondern Lerner gesteuert und kritisiert den immer noch vorherrschenden Instruktionismus. Selbstgesteuertes Lernen ist aber komplex und anspruchsvoll und verlangt vom Lernenden Lernerfahrungen, Methodenwissen und Reflexionsfähigkeit.“ (vgl. Roumois 2010, S. 123).
Aus den vorgenannten Überlegungen wird ersichtlich, dass der Lernprozess des Einzelnen in der Organisation vielfältig organisiert und unterstützt werden kann. Daneben ist es aber entscheidend, dass der Einzelne die angebotenen Maßnahmen auch selbsttätig wahrnehmen will und kann. Ein verordnetes Lernen würde hier den Zweck verfehlen und gar kontraproduktiv zu sehen sein. Es sei an dieser Stelle jedoch auch erwähnt, dass Motivationsprozesse ihre Steuerung nicht nur über erkennbare Motivinhalte und Anreize erfahren, sondern die eigentlichen Motive oft im Verborgenen bleiben, so dass handlungsauslösende Faktoren nicht immer klar ersichtlich und somit von außen schwer steuerbar sind.
Die Karikatur dürfte nicht ohne Grund die bisher vorherrschende polizeiliche Einstellung zur „Bildung“ darstellen.
So wie auch nachfolgendes Zitat aus dem Buch: „Informationen und Wissen in der Polizei erfolgreich managen“ aufzeigt, wurde der Begriff dort häufig sehr einseitig betrachtet und mit den reinen Verarbeitungsprozessen von Informationen in Verbindung gebracht:
„Aus- und Fortbildung haben
Wissen
Kompetenz zum Umgang mit Wissensbasen,
Kompetenz im Umgang mit Informationsflüssen und
Kompetenzen zur Abwehr von Störungen dieser Prozesse
aktuell zu vermitteln.(Kühne, S. 115)
Abb. 5 „Nürnberger Trichter à la Polizei“, Polizeikurier 3/2009, S.43
Allein die Wortwahl: „vermitteln“ zeigt hier die nicht mehr zeitgemäße Einstellung bezüglich formeller Aus- und Fortbildungsmaßnahmen und widerspricht in gewisser Weise der kompetenzorientierten Aneignung von Wissen, deren Augenmerk auf den zu erzielenden Outputs und damit den anwendungsfähigen Wissensbeständen liegt
Die Entwicklung weg von der Vermittlungsdidaktik hin zur sog. Ermöglichungsdidaktik wurde hier eindeutig noch nicht nachvollzogen. Es dürfte auch hier der Unterschied sein zwischen verordnetem Wissen und der eigenen Auseinandersetzung sowie der eigenen Einsicht, dass die zu erfüllenden Aufgaben im Beruf sich wandeln und dazu auch ein aktuelles Wissen immer wieder neu angepasst werden muss. Es ist dann eine Art innere Notwendigkeit, die einmal erkannt, auch die intrinsische Motivation zur Fortbildung schafft. Fast könnte man hier zu einem Zitat greifen und es als Leitspruch begreifen: „Das Denken tut dem Menschen gut, wenn er es nämlich selber tut“. (Zit. n. Wilhelm Busch)
Alle Unterstützungsmaßnahmen der Organisation können ein solches Lernen und Verschaffen von Wissen immer nur initiieren, verbessern und unterstützen.
Die Einsicht in die Notwendigkeiten zum lebenslangen Lernen zur besseren Bewältigung des Alltagsgeschäftes muss der Einzelne selbst finden und die Entscheidung zum Handeln treffen.
Bei solchen Lernprozessen sind gerade traditionelle Lehr- Lernarrangements nicht mehr ausreichend. Ergänzt werden solche Überlegungen von einer Ermöglichungsdidaktik und dem sog. Deutungslernen, als zeitgemäße Instrumente zur Unterstützung der Lernanstrengungen des Einzelnen.
So wurde in der Erwachsenenbildung dabei eine Wende von der Vermittlungsdidaktik hin zur Ermöglichungsdidaktik vollzogen. Dabei gehen Arnold/Siebert (1995) davon aus, dass Erwachsenen das Lernen nur ermöglicht werden kann und...