2. Möglichkeiten und Grenzen standardisierter Leistungsmes- sungen für die Überprüfung fachspezifischer Kompeten- zen im Deutschunterricht
2.1 Zum Kompetenzbegriff
In diesem Gliederungspunkt ist es das Ziel, den Kompetenzbegriff im bildungspolitischen Sinne präzise zu bestimmen. Dabei soll auf die Entwicklung des Begriffes eingegangen werden. Darüber hinaus wird die Beziehung der Begriffe Bildungsstandards sowie Kompetenz dargestellt und problematisiert.
Im Jahre 2007 erschien in der Zeitschrift Praxis Deutsch ein Artikel, in dem sich die Autoren wie folgt über den Kompetenzbegriff äußerten:
„Einerseits ist die Kompetenz das Fahnenwort der gegenwärtigen Bildungsdiskussion, hinter dem sich alle versammeln. Und auch als Herausgeber dieser Zeitschrift würden wir, falls wir das fachdidaktische Wort des Jahrzehnts zu wählen hätten, sicher eher die Kompetenz […] wählen.“[29]
In der Tat gilt der Begriff der Kompetenz, laut Eckhard Klieme, seit ungefähr 50 Jahren als Modewort in der Sozial- und Erziehungswissenschaft.[30] Dabei kann zwischen zwei Forschungsansätzen unterschieden werden. Neben Noam Chomsky, der in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts seine Theorie im Hinblick auf sprachliche Kompetenzen veröffentlichte, entwickelten sich parallel dazu eher pragmatisch-funktionalistische Kompetenzkonzepte in der Psychologie. Laut Klieme überlagern und widersprechen sich diese beiden Richtungen der Kompetenzforschung teilweise.[31]
In der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft wurde der Begriff ambivalent verwendet, einerseits im Kontext traditioneller Konzepte der allgemeinen Bildung, andererseits in Bezug auf arbeitsplatz- oder berufsbezogene Qualifikationsziele.[32] Vor allem in berufsbezogenen und auch allgemein bildenden Lehrplänen fanden sich ab den 70er Jahren zunehmend Verweise auf Zieldimensionen, wie zum Beispiel die Fähigkeit zum kritischen Denken, Problemlösefähigkeit und Kooperationsfähigkeit, welche den fächerübergreifenden Handlungskompetenzen heutiger Lehrpläne ähneln.[33] Die Jugendlichen sollten durch die Aneignung so genannter life skills befähigt werden, gegenwärtige und zukünftige Problemfelder zu lösen.[34] Der Aspekt der „Wirtschaftlichkeit“ hat darüber hinaus seit den 90er Jahren einen hohen Stellenwert in beinahe allen Teilbereichen der Gesellschaft erlangt. Zu Recht stellt der Literaturdidaktiker Carsten Gansel die Frage, ob mit der Festlegung auf Kompetenzen eine einseitige Orientierung des deutschen Bildungssystems am „System Wirtschaft“ erfolgte.[35] Dieser neue Kompetenzbegriff, der sich in den 1990erJahren herausbildete, wird von Klieme als „sehr stark »funktional«, d. h. von den Anforderungen der Lebens- und Arbeitswelt ausgehend“[36] beschrieben.
In der Tat nimmt der Begriff der Kompetenz auch in der Bildungspolitik seit den Untersuchungen von Franz Weinert einen zentralen Platz ein. Dieser stellte in einem Gutachten für die OECD[37] zur Auswahl und zur Definition von Kompetenzen im Rahmen von internationalen Schulleistungstests im Jahre 1999 verschiedene Bedeutungsmöglichkeiten des Begriffes zusammen.[38] Bezogen auf den schulischen Bereich entschied er sich nach Abwägung verschiedener theoretischer Standpunkte für folgende Begriffsbestimmung:
„Kompetenzen als funktional bestimmte, auf bestimmte Klassen von Situationen und Anforderungen bezogene kognitive Leistungsdispositionen, die sich psychologisch als Kenntnisse, Fertigkeiten, Strategien, Routinen oder auch bereichsspezifische Fähigkeiten beschreiben lassen.“[39]
Zu erkennen ist, dass sich Weinert damit für die Begriffsbestimmung aus der Expertiseforschung entschied. Diese beschäftigt sich laut Klieme „mit der Untersuchung von leistungsfähigen Experten in einem bestimmten Fach bzw. Gegenstandsbereich […]“[40]. Der dort verwendete Kompetenzbegriff ließe sich nach Weinert gut auf den schulischen Bereich übertragen. In seiner letzten Veröffentlichung vor seinem Tode im Jahr 2002 präzisierte er den Begriff der Kompetenz wie folgt:
„[D]ie bei Individuen verfügbaren oder von ihnen erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, [um] bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“[41]
Laut Weinert lässt sich die individuelle Ausprägung der Kompetenz anhand folgender Facetten erkennen: Fähigkeit, Wissen, Verstehen, Können, Handeln, Erfahrung und Motivation.[42] Diese Facetten wurden von Klieme anhand der Fremdsprachenkompetenz noch einmal exemplarisch dargestellt und zwar:
„wie gut man kommunikative Situationen bewältigt (Handeln und Erfahrung),
wie gut man Texte unterschiedlicher Art versteht (Verstehen) und
selbst adressatengerechte Texte verfassen kann (Können),
aber unter anderem auch in der Fähigkeit, grammatische Strukturen korrekt aufzubauen und bei Bedarf zu korrigieren (Fähigkeit und Wissen),
oder in der Intention und Motivation sich offen und akzeptierend mit anderen Kulturen auseinander zu setzen (Motivation)“[43].
Diese Begriffsbestimmung ist von Klieme in seiner Expertise zu den nationalen Bildungsstandards übernommen worden.[44] Auf der Basis des Unterrichts unterscheidet er zudem noch hinsichtlich fachlichen und fächerübergreifenden Kompetenzen sowie Handlungskompetenzen. Fachliche Kompetenzen können beispielsweise physikalischer, fremdsprachlicher oder musikalischer Art sein. Fächerübergreifende Kompetenzen beziehen sich hingegen auf allgemeine Lern- oder Problemlösungsstrategien sowie soziale oder kommunikative Fähigkeiten.[45] Diese Handlungskompetenzen erlauben es laut Weinert „erworbene Kenntnisse und Fertigkeiten in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen erfolgreich, aber auch verantwortlich zu nutzen“[46].
Klieme fügt hinzu, dass „von Kompetenzen […] nur dann gesprochen werden [kann], wenn man grundlegende Zieldimensionen innerhalb eines Faches benennt, in denen systematisch, über Jahre hinweg Fähigkeiten aufgebaut werden“[47]. Daher sollten für jedes Unterrichtsfach spezifische Kompetenzmodelle erarbeitet werden. Katharina Maag-Merki definiert diesen Begriff wie folgt:
„Für die Umsetzung von Bildungsstandards braucht es Kompetenzmodelle. In diesen ist festgelegt, über welche Kompetenzen ein Schüler, eine Schülerin verfügen muss, wenn wichtige Ziele der Schule als erreicht gelten sollen. Sie stellen wichtige Dimensionen, Abstufungen und Entwicklungsverläufe von Kompetenzen dar. […]“[48]
Folgende Aufgaben und Ziele lassen sich im Hinblick auf Kompetenzmodelle konstatieren:
„Sie legen fest, welche fachbezogenen Kompetenzen in welcher Dimension auf welchem Niveau gekonnt werden sollen.
Sie formulieren fachbezogene Kompetenzbereiche – die Arbeitsbereiche des jeweiligen Faches.
Sie unterscheiden Teildimensionen.
Sie sollen Kompetenzdimensionen darlegen, also qualitative Unterscheidungen von Kompetenzen vornehmen.
Sie sollen auch Niveau- [sic] oder Progressionsstufen zumindest ansatzweise festlegen, denn sonst bleibt es den Aufgabenbeispielen überlassen, die Festlegung vorzunehmen.[49]“
Im Kontext der Begriffsbestimmung zu den Kompetenzmodellen muss zusätzlich auch noch zwischen dem Stufen- und Komponentenmodell unterschieden werden. Während das Stufenmodell Aussagen über die verschiedenen Niveaustufen der Kompetenzen trifft, beschreibt das Komponentenmodell die Anforderungen, welche die Schülerinnen und Schüler zur Bewältigung einer Kompetenzdisziplin aufbringen müssen.[50]
Weiterhin stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Bildungsstandards und Kompetenzen. Klieme äußert sich wie folgt zu diesem Aspekt:
„Bildungsstandards werden zunächst verbal formuliert. Sie benennen die Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler im jeweiligen Lernbereich erwerben sollen und stützen sich dabei auf Kompetenzmodelle, in denen Teilaspekte und Stufen dieser Kompetenzen (Dimensionen) spezifiziert werden.“[51]
Der Sprachdidaktiker Jakob Ossner vertritt in diesem Zusammenhang die Ansicht, dass die Bildungsstandards sich als „die Performanz der...