Das folgende Kapitel soll einen Überblick über heutige Cross-Selling-Aktivitäten vermitteln und einige grundsätzliche Regeln und Abläufe bei der Einführung von Cross-Selling erläutern. Des Weiteren werden einige Beispiele für erfolgreiche Cross-Selling-Anwendungen ausgewählter Unternehmen aufgezählt und zukünftige Anforderungen beleuchtet.
Wie bereits in dem einführenden Kapitel erwähnt, ist Cross-Selling vor allem im Finanzdienstleistungsbereich bekannt und wird entsprechend systematisch angewandt. Aber mittlerweile gewinnt Cross-Selling in immer mehr Branchen an Bedeutung.[76] Trotzdem wird Cross-Selling in vielen Unternehmen immer noch sehr sporadisch betrieben, weil Vertriebsmitarbeiter oder Kundenbetreuer nur dann die Chancen zum Cross-Selling nutzen, wenn sie sich offensichtlich im Gespräch mit einem Kunden ergibt. Einer Untersuchung von Homburg/Schäfer zufolge konnte bestätigt werden, dass bei der systematischen Umsetzung von Cross-Selling erhebliche Defizite in sämtlichen Branchen bestehen. Da jedoch nur der professionelle und systematische Vertrieb von zusätzlichen Produkten zum Cross-Selling-Erfolg führen kann, sind diese Defizite umso schwerwiegender. Die nachfolgende Grafik verdeutlicht, dass Cross-Selling überwiegend „unsystematisch“ betrieben wird.[77]
Abbildung 9: Systematik des Cross-Selling nach Branchen
Quelle: Vgl. Homburg, Ch./ Schäfer, H.: Profitabilität durch Cross-Selling: Kundenpotentiale professionell erschließen, Institut für Marktorientierte Unternehmensführung, Reihe: Management Know-How, Nr. M 060, Universität Mannheim 2001, Seite 7
Die Ergebnisse der Untersuchung haben ergeben, dass beispielsweise Dienstleister, welche den Ergebnissen nach deutlich systematischer Cross-Selling betreiben als produzierende Unternehmen, die Potentiale der Kunden deutlich besser erschließen.[78] Insgesamt wird jedoch nur ein sehr niedriges Niveau der möglichen Ausschöpfungsmöglichkeiten erreicht.[79]
Cross-Selling kann grundsätzlich zwei Stoßrichtungen verfolgen, einerseits die Verdrängung von Produkten, andererseits die Ergänzung von Produkten.
Ein Anbieter kann seinen Kunden solche Zusatzprodukte anbieten, die die Kunden bisher bei den Wettbewerbern des Unternehmens bezogen haben. Die Kunden würden somit die Produkte ab sofort nicht mehr bei dem bisherigen Anbieter kaufen, sondern bei dem neuen Unternehmen.[80] Ein solcher Fall liegt in einem Wohnungsunternehmen beispielsweise dann vor, wenn ein Kunde, der bisher bei einem anderen Wohnungsunternehmen gewohnt hat, eine neue Wohnung anmietet. Beim Beratungsgespräch oder beim Mietvertragsabschluss stellt sich dann heraus, dass der Kunde auch einen Stellplatz angemietet hatte. Im Sinne des Cross-Selling wird der Kundenbetreuer verdeutlichen, dass die Stellplätze seines Unternehmens dem der Konkurrenz überlegen sind, weil diese beispielsweise eine automatische Schranke haben oder günstiger sind. Im Idealfall schließt der Kunde dann nicht nur einen Wohnungsmietvertrag ab, sondern zusätzlich auch einen Stellplatzmietvertrag.
Bei der zweiten Stoßrichtung des Cross-Selling werden den Kunden Zusatzprodukte angeboten, die sie bisher noch gar nicht bezogen haben. In einem solchen Fall werden die bisher bezogenen Produkte durch das Cross-Selling von Zusatzprodukten ergänzt.[81] Im Beispiel des oben geschilderten Beratungsgespräches könnte sich herausstellen, dass der Kunde auch gerne mit dem Fahrrad unterwegs ist. Daher wird dem Kunden das Angebot unterbreitet, zusätzlich noch eine Fahrrad-Box anzumieten.
Das Ausmaß von Cross-Selling kann aber nicht nur durch den Wettbewerb, also zwischen Verdrängung und Ergänzung, bestimmt werden, sondern man kann das Ausmaß zusätzlich in verschiedene Innovationsdimensionen aufteilen. Hierbei kann unterschieden werden zwischen
- dem Cross-Selling von bereits im Anbieterunternehmen vorhandenen Produkten,
- dem Cross-Selling von ursprünglich nur bei Wettbewerbern vorhandenen Produkten,
- dem Cross-Selling von speziell für den Kunden entwickelten Produkten.[82]
Produkte, die bereits im eigenen Unternehmen verfügbar sind, sollten jedem Kunden zur Verfügung stehen und auch jedem Kunden angeboten werden können, es sei denn, dass nur spezielle Zielgruppen angesprochen werden. Darüber hinaus kann ein Anbieter neue Produkte erst im Zeitverlauf der Geschäftsbeziehung in sein Produktprogramm mit aufnehmen. Da diese Produkte neu sind, sollten sämtliche Informationen über neue Produkte an die bereits bestehenden Kunden weitergeben werden. Vorteilhaft sind in diesem Zusammenhang Aktionsangebote und Vergleiche mit der Konkurrenz, um das eigene Unternehmen positiv darzustellen und möglichst viele Kunden davon zu überzeugen, dass das eigene Angebot dem der Konkurrenz überlegen ist. Beispielsweise haben viele Festnetztelefonanbieter in jüngster Vergangenheit zusätzlich DSL- und Mobilfunktarife mit in ihr Angebot aufgenommen, Mobilfunkanbieter wiederum haben DSL-Anschlüsse angeboten.
Grundsätzlich müssen aber Produkte, die im Verlauf der Geschäftsbeziehung in das Produktprogramm aufgenommen werden, nicht von dem Unternehmen selber erzeugt oder hergestellt werden, sondern können auch von einem externen Anbieter hinzugekauft werden, welcher das entsprechende Know-How besitzt.
Die dritte Möglichkeit, individuelle und innovative Zusatzprodukte speziell für einen Kunden zu entwickeln, wird häufig im Industriegüterbereich betrieben, wenn ergänzende Anlagen für eine bereits fest eingebaute Maschine in enger Zusammenarbeit mit dem Kunden entwickelt werden.[83]
Die beschriebenen Stoßrichtungen des Cross-Selling können in der folgenden Matrix abgebildet werden:
Abbildung 10: Grundsätzliche Stoßrichtungen des Cross-Selling
Quelle: Vgl. Homburg, Ch./ Schäfer, H.: Profitabilität durch Cross-Selling: Kundenpotentiale professionell erschließen, Institut für Marktorientierte Unternehmensführung, Reihe: Management Know-How, Nr. M 060, Universität Mannheim 2001, Seite 10
Wenn sich ein Unternehmen Klarheit darüber verschafft hat, welche Stoßrichtungen des Cross-Selling in Frage kommen, so muss es seine Cross-Selling-Aktivitäten planen und steuern. Wie dieses mögliche Vorgehen aussieht wird anhand eines idealtypischen Cross-Selling-Prozesses im nächsten Kapitel beschrieben.
Hat sich ein Unternehmen dafür entschieden, Cross-Selling einzuführen, so sollte es dieses Vorhaben professionell und systematisch angehen. Wie bereits in Kapitel 2 beschrieben, ist es nur dann möglich, Ausschöpfungspotentiale in vollem Umfang nutzen zu können.
Der erste Schritt und Ausgangspunkt aller Cross-Selling-Aktivitäten ist die umfassende Analyse der Kunden und ihrer Bedürfnisse. Das Unternehmen muss Kunden- und Zielsegmente analysieren um festlegen zu können, welche Cross-Selling-Projekte in Frage kommen. Hier können sowohl strategische Überlegungen der Unternehmensleitung, als auch andere Faktoren den Anlass bewirken, bestimmte Kundensegmente anzusprechen.
Anschließend erfolgt eine Bestandsaufnahme hinsichtlich der bisherigen Produktnutzung durch den Kunden. Von Interesse für das Cross-Selling ist hier vor allem die Frage, bei welchen Anbietern die Kunden mit welcher Intensität einkaufen. Hier wird einer Untersuchung von Homburg/Schäfer zufolge häufig auf die Einschätzung von Mitarbeitern mit häufigem Kundenkontakt, auf Kundendatenbanken und auf Marktforschungsinformationen zurückgegriffen. Komplexere Instrumente wie Data-Mining-Analysen werden eher weniger eingesetzt.[84] Zu den gleichen Ergebnissen kommt Schäfer in einer seiner Untersuchungen, dieser fügt noch hinzu, dass viele Unternehmen, die Cross-Selling erfolgreich umsetzen, die Preis- und Produktbündelung zur Vermarktung zusätzlicher Produkte nutzen.[85]
Als nächstes wird versucht, die Produktnutzung mit dem grundsätzlichen Bedarf eines Kunden abzugleichen. In den Kapiteln 1.3.3 und 1.3.3.5 wurde bereits erläutert, dass im Rahmen dieser Diplomarbeit hauptsächlich die wesentlichen Merkmale des Anbieters dargestellt werden, da es für die Ermittlung des Cross-Selling-Potentials eines Kunden diverse Verfahren gibt, die im Rahmen dieser Arbeit nicht vollständig erläutert werden sollen. Einige Verfahren werden daher im Folgenden kurz dargestellt, jedoch nicht weitergehend erklärt.
Kundenbefragungen oder Mitarbeitereinschätzungen zählen zu den einfachen Methoden....