3. Warum benötigen Logistikprozesse weltweiten Informationsaustausch?
3.1. Zum Begriff der Logistik
Logistik bedeutet mehr als das Transportieren, Umschlagen und Lagern von Gütern. Oder wie es Manfred Hauber, Direktor der Nürnberger Niederlassung des Speditionsunternehmens Dachser salopp ausdrückt: "Nicht mehr der Lkw, sondern die Informatik ist zum wichtigsten Wettbewerbsvorteil geworden."[23]
Doch die Informationsübermittlung ist es nicht allein, die das Bild der Logistik geändert hat. Aus verschiedenen Arbeits- und Entwicklungslinien der Betriebswirtschafts- und Managementlehre entwickelt Klaus seine "dritte Bedeutung" der Logistik, die Logistik definiert als[24]:
„eine spezifische Sichtweise, die wirtschaftliche Phänomene und Zusammenhänge als Flüsse von Objekten durch Ketten und Netze von Aktivitäten und Prozessen interpretiert (bzw. als "Fließsysteme"), um diese nach Gesichtspunkten der Kostensenkung und der Wertsteigerung zu optimieren, sowie deren Anpassungsfähigkeit an Bedarfs- und Umfeldveränderungen zu verbessern.
Dabei werden Ansätze zur Optimierung insbesondere in flußorientierter Gestaltung der Prozeß- und Netzstrukturen, in der Erhöhung des zeitlichen, räumlichen und objektbezogenen Integrationsgrades der Fließsystemelemente, sowie der Anwendung bedarfsorientierter Steuerungs- und Regelungsverfahren gesucht."
Auf dieser Definition basierend, wird der gesamte Wertschöpfungsprozeß untersucht. Dabei wird insbesondere hervorgehoben, wie das Internet zur Optimierung der Fließsysteme beitragen kann.
3.2. Begriff der Logistikkette
Die Logistik wird als Bindeglied im Wertschöpfungsprozeß zwischen Zulieferant, Produzent, Vertrieb und Kunde gesehen[25]. Entsprechend gilt es, die gesamte Wertschöpfungskette eines Produkts zu untersuchen. Zum einen, wie deren Prozesse direkt durch das Internet unterstützt werden können und zum anderen, wie die Flüsse zwischen den Prozessen durch das Internet unterstützt werden können.
Da das Feld der Logistik und somit auch der dazugehörigen Prozesse sehr umfangreich ist, gilt es zu spezifizieren, was im Rahmen dieser Arbeit unter dem Begriff Logistikprozesse verstanden wird. Dabei wird den Überlegungen die Wertschöpfungskette von Porter zugrunde gelegt[26]. Die Logistikkette versucht, die einzelnen Aktivitäten der Wertschöpfungskette unter Berücksichtigung unterstützender Aktivitäten zu verknüpfen.
Da jedes Unternehmen eine andere Wertschöpfungskette hat, gibt es auch keine allgemeingültige Logistikkette. Für die Betrachtungen im Rahmen dieser Arbeit wird die Logistikkette der Siemens AG, wie in Abbildung 3.2. dargestellt, genutzt, da der Bearbeiter dort seit mehreren Monaten an der Realisierung des Intranet beteiligt ist.
Diese Darstellung wird als das "Logistische U" bezeichnet und ist mit dem Begriff Logistikkette gleichzusetzen.
Abbildung 3.1.: Das "Logistische U" der Firma Siemens[27]
Der Vorteil des Prinzips der Wertschöpfungskette für diese Untersuchung ist deren Gliederung des Unternehmens in verschiedene unternehmerische Tätigkeiten. Für jede Tätigkeit können die Einsatzmöglichkeiten des Internet einzeln geprüft werden. Läßt sich mit Hilfe des Internet eine kostengünstigere Abwicklung der Wertaktivität und/oder bessere betriebliche Leistung erreichen, so erlangt das Unternehmen eine verbesserte Wettbewerbsstellung.
Sämtliche Prozesse der Logistikkette können innerhalb eines Unternehmens oder Konzerns ausgeführt werden. Sie können jedoch auch in mehreren, rechtlich unabhängigen Unternehmen ausgeführt werden (vertikale Integration). Auch eine horizontale Integration ist möglich, bei der ein Prozeß gleichzeitig von mehreren Unternehmen ausgeführt wird.
Gerade der erwähnte Trend des Outsourcing bewirkt, daß immer mehr rechtlich eigenständige Unternehmen am Wertschöpfungsprozeß eines Produkts beteiligt sind.
Dem steht entgegen, daß ein konstituierendes Merkmal der Logistik die prozeßorientiert sehr enge Vernetzung aller Funktionen ist. Der Umfang, in welchem die Integration ermöglicht werden kann, bestimmt ganz wesentlich in welcher Qualität die logistischen Ziele erreicht werden[28].
Eine Integration der Funktionen führt demnach zu einer Qualitätsverbesserung. Ob dies durch das Internet möglich ist, wird in Kapitel 4 aufgezeigt.
3.3. Heutige logistische Rahmenbedingungen
Früher konnte der Informationsfluß eines Unternehmens durch firmeninterne Datennetze befriedigt werden, da viele Unternehmen einen Großteil oder alle Aufgaben der Logistik selbst ausführten. Es gab relativ wenig Schnittstellen zu Partnerunternehmen. Diese konnten durch Informationsübertragung im konventionellen Sinne (Telefon, Schriftverkehr, etc.) überwunden werden.
Da aber im heutigen Wettbewerb die schnelle Befriedigung der Kundenbedürfnisse als wichtiger Faktor gilt, kann diese "langsame" Art der Datenübertragung nicht mehr als aktuell gelten. Denn viele Informationen, die per Telefon oder Telefax ausgetauscht werden, müssen anschließend für die Weiterverarbeitung im empfangenden Unternehmen entweder schriftlich oder elektronisch erfaßt werden. Hierbei kann es neben dem Zeitverlust auch zu Fehlern durch die Mehrfacherfassung kommen, welche zu weiteren Zeiteinbußen und Kosten führen.
Es ist daher notwendig, die intraorganisatorischen Logistiksysteme einzelner Unternehmen miteinander zu verknüpfen, um einen reibungsloseren Ablauf der Prozesse zu ermöglichen.
Schon 1973 hat Heskett erkannt, daß die interorganisatorische Gestaltung unternehmensübergreifender Logistiksysteme im Vergleich zu rein technologischen und intraorganisatorischen Veränderungen von Logistiksystemen wesentlich größere Möglichkeiten der Kostensenkung, der Leistungssteigerung und des Aufbaus von Erfolgspotentialen beinhaltet[29].
Im folgenden wird geklärt, ob ein interorganisatorisches Datennetz wie das Internet für die Logistik zur Unterstützung dieser Gestaltung herangezogen werden kann.
Der Bedarf für solch ein Netz wäre nicht gestiegen, wenn es in den letzten Jahren nicht einschneidende Veränderungen der logistischen Rahmenbedingungen gegeben hätte.
Krieger nennt die folgenden vier Entwicklungen[30]:
Globalisierung der Absatz- und Beschaffungsmärkte
Unternehmen müssen weltweit präsent sein. Zu berücksichtigen ist allerdings, daß diese Präsenz nicht zu kostspielig sein darf, da sonst die durch die Globalisierung gewonnenen "Economies-of-Scale" wieder vergeben werden[31].
Verschärfung der Wettbewerbssituation
Gegenüber neuen Mitbewerbern, vor allem aus sogenannten "Billiglohnländern", versuchen sich einheimische Unternehmen durch Verringerung der Fertigungstiefe und die Konzentration auf Kerngeschäfte zu behaupten. Alle weiteren benötigten Dienstleistungen werden an fremde Firmen ausgelagert (Outsourcing). Abbildung 3.1. zeigt, das im Bereich von Logistikfunktionen mit einer stetigen Zunahme von extern zu vergebenen Dienstleistungen in den nächsten Jahren zu rechnen ist.
Durch das Outsourcing lassen sich zwar in aller Regel Kostenvorteile in Fertigung und Abwicklung erzielen, die Anforderungen an die Steuerungs-, Kontroll- und Informationssysteme steigen jedoch gleichwohl in erheblichem Umfang.
Daher muß jeder Dienstleister, wie Pfohl es ausdrückt, über grundlegende "Informationssystem-Fähigkeiten" verfügen. Entspricht das Niveau der angebotenen Informationen nicht den Anforderungen der anderen am Wertschöpfungsprozeß beteiligten Unternehmen, so scheidet dieser Dienstleister als potentieller Partner aus[32].
Abbildung 3.2.: Anteile extern zu vergebender logistischer Funktionen bezogen auf die gesamten Logistikkosten von Unternehmen nach (Pfohl 94,215)
Liberalisierung der Verkehrsmärkte
Die Liberalisierung des europäischen Verkehrsmarkts wird die Strukturen des logistischen Dienstleistungsmarkts massiv verändern. Die daraus resultierenden Erlösminderungen, die bei ähnlichen Initiativen in den USA festgestellt wurden, lassen sich nur über Produktivitätssteigerungen ausgleichen.
Neue ökologische Anforderungen an Logistik und Verkehr
Um die durch die Gesetzgebung gestiegenen Kosten im Transportwesen niedrig zu halten, ist ein besserer Planungs- und Informationsfluß nötig. Zentes führt in diesem Zusammenhang auch die Forderung nach Warenbündelungen an. Diese würde kooperative Lösungen fördern[33].
Ein weiterer, nicht von Krieger aufgeführter Punkt, ist der zunehmende Anspruch von Kunden an ein Produkt. Der Trend geht immer mehr zur individuellen...