Vorwort
Arbeiten der Welt enteinigt euch! Ihr habt einen Gewinn zu welten!
– Die Cyborg-Internationale
Neue Zeiten verlangen neue Methoden. Sagen wir einfach, dies ist das Ende der Vorgeschichte, der Moment, an dem die Grenzen des Planeten tatsächlich Einfluss haben auf das sich ständig ausdehnende Universum umfassender Kommerzialisierung. Das ist die das Weltbild verändernde Erkenntnis, die heute von manchen als Anthropozän bezeichnet wird. Aber nicht verzweifeln. Die größten Beschleunigungen, die unser Gattungswesen im Lauf seines Bestehens erlebt hat, sind immer dann aufgetreten – obgleich niemals zuvor in solchem Ausmaß –, wenn es an seine Grenzen stieß.
Der Begriff Anthropozän bezeichnet das gegenwärtige geologische Erdzeitalter und stammt im Wesentlichen von Paul Crutzen, der schreibt:
Zwischen dreißig und fünfzig Prozent der Erdoberfläche werden heute bereits vom Menschen ausgebeutet (…). Über die Hälfte des verfügbaren Süßwassers wird von der Menschheit genutzt. Die Fischerei entnimmt den Auftriebsgebieten der Ozeane 25 Prozent der Primärproduktion (…). Der Energieverbrauch hat sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts versechzehnfacht (…). In der Landwirtschaft kommt eine größere Menge an Stickstoffdünger zum Einsatz, als auf natürliche Weise in den Ökosystemen der Erde gebunden ist.1
Das ist nicht das Ende der Welt, aber das Ende der Vorgeschichte. Es ist an der Zeit, auf dem Marktplatz der sozialen Medien zu verkünden, dass jener Gott, der sich noch in der Weltanschauung versteckt hielt, derzufolge die Ökologie sich schon selbst korrigieren, ins Gleichgewicht bringen und heilen würde, tot ist. »Das Anthropozän stellt eine neue Phase in der Erdgeschichte dar, in der die Kräfte der Natur und die des Menschen so miteinander verflochten sind, dass sich ihr Schicksal gegenseitig bestimmt. Geologisch gesehen haben wir es mit einer bemerkenswerten Periode in der Geschichte des Planeten zu tun.«2 Der Mensch ist nicht mehr länger die Figur im Vordergrund, die ihr Eigeninteresse vor dem Hintergrund eines ganzheitlichen, organizistischen Kreislaufs verfolgt, eines Kreislaufs, den er zwar stören, mit dem er aber letztlich in Gleichgewicht und Harmonie leben könnte, indem er sich einfach aus bestimmten Exzessen zurückzöge.
Es handelt sich hier aber nicht um das Ende der Vorgeschichte, das die Hauptströmungen der Kritischen Theorie auszumachen glaubten. Vielleicht brauchen wir also eine neue Kritische Theorie. Oder eine neu-alte, denn wie sich herausstellt, gab es bereits einmal eine kraftvolle und originelle Denkströmung, die in einem früheren, gescheiterten Versuch, die Vorgeschichte zu beenden, beinahe ausgelöscht worden wäre. Möglicherweise hat es sogar mehrere solcher Strömungen gegeben. Doch die, die ich hier im ersten Teil des Buchs im Kapitel »Arbeit und Natur« anzubieten habe, trägt die Namen zweier marxistischer Schriftsteller, der Russen Alexander Bogdanow und Andrej Platonow.
Haben wir uns erst einmal mit diesem Denken der Vergangenheit gerüstet, können wir es seine Arbeit verrichten lassen. Im zweiten Teil, »Wissenschaft und Utopie«, reisen wir aus der Kälte und dem Hunger der frühen Sowjetunion in das sonnenverwöhnte und im Überfluss lebende Kalifornien am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Die feministische Wissenschaftstheoretikerin Donna Haraway und der Science-Fiction-Autor Kim Stanley Robinson verkörpern zwei Denk- und Schreibhaltungen am Ende dieser Vorgeschichte, in denen Bogdanow und Platonow nachhallen und die sie für das seiner selbst bewusste Anthropozän fruchtbar machen.
Das Alltagsdenken nimmt an, dass der Kalte Krieg vorbei sei, dass die Sowjetunion verloren habe und die Vereinigten Staaten gewonnen haben. Manche mögen sich vielleicht wünschen, in einer Art »psychischem Sowjet« zu überwintern, doch die vorherrschende Stimmung sagt, dass der dominierende amerikanisch geprägte Kapitalismus einen weltweiten Sieg davongetragen hat. Der historische Bogen, den Molekulares Rot schlägt versucht, verläuft anders. Hier nimmt der Kollaps des Sowjetsystems den Zusammenbruch des amerikanischen Systems lediglich vorweg. Während die Ruinen des Ersteren real und erschütternd sind, ist bei Letzterem noch nicht ganz verstanden worden, um welche Ruinen es sich handelt.3
Ein Reisender, der durch die antiken Ruinen geht, stößt auf die geborstene Klappe eines rostigen, halb im Sand versunkenen Schiffs. Rund um das riesige, verrottende Wrack ist nichts; nur Verzweiflung, grenzenlos und nackt. Der Name des Schiffs ist abgeblättert, aber es könnte sehr wohl nach Ozymandias, dem legendären ägyptischen König aus Shelleys gleichnamigem Gedicht, und seiner Provokation benannt sein: »Seht meine Werke, Mächtige, und erbebt!«
Um diesen rostenden Rumpf liegen noch zahlreiche weitere. Er ist eine moderne Ruine, aus der Zeit der Massenproduktion. Und es sind nicht nur Sand und Zeit, die ihn haben verrotten lassen. Diese staubige Marslandschaft ist eines der Sieben Weltwunder – negativ gesehen. Die immense und nun verschwundene Wassermasse, die diese Schiffe einst trug, war einmal der Aralsee, der heute nur noch ein Zehntel seiner einstigen Größe besitzt.4
Es gab hier auch einmal pharaonengroße Statuen. Der Aralsee liegt im Gebiet der einstigen Sowjetunion. Vielleicht waren es Lenin-Statuen, die auf eine Zukunft wiesen, die der hier sich zeigenden ziemlich fern war. Das Schiff ist jedoch ein Wrack, das an eine Kraft ganz anderer Art denken lässt: an die kapriziöse Widerspenstigkeit der Natur.
In jener Region nahm der Baumwollanbau seinen Anfang, als Russland wegen des amerikanischen Bürgerkriegs von der Baumwollversorgung abgeschnitten war. Nach der Revolution zapften sowjetische Ingenieure den in den Aralsee fließenden Amudarja als Quelle für das Wasser an, das für den Aufbau der Baumwollindustrie benötigt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg weiteten die Sowjets die für den Export bestimmte Baumwollproduktion enorm aus und bauten zu diesem Zweck gewaltige Bewässerungsanlagen. Unmengen an mit Erde, Saatgut und Düngemitteln vermischtem Wasser flossen auf die Baumwollfelder. Die Ingenieure wussten, dass der Aralsee verschwinden würde. Der Zusammenbruch der Fischereiflotte war ein Kollateralschaden und so vielleicht auch das Verschwinden der vielen Pflanzen- und Tierarten, die hier nun versteinern.
Der Aralsee ist ein gutes Beispiel für das, was wir nach Marx als metabolischen Bruch bezeichnen könnten.5 Arbeit zerschlägt und behandelt Steine und Boden, Pflanzen und Tiere, um ihnen die molekularen Flüsse, aus denen unser gemeinsames Leben aufgebaut ist, zu entziehen. Aber diese Molekülflüsse kehren nicht dorthin zurück, woher sie kamen. Das Wasser, das aus dem Aralsee auf die Baumwollfelder umgelenkt wurde, floss nicht wieder dorthin zurück. Marx wusste, dass die Landwirtschaft Wüsten schafft.
Als Beispiel für den metabolischen Bruch führte er an, wie im neunzehnten Jahrhundert die englische Landwirtschaft Nährstoffe, etwa Nitrate, aus dem Boden zog, die die Pflanzen für ihr Wachstum aufnahmen, die die Bauern als Feldfrüchte ernteten, die die Arbeiter in den Städten verzehrten, um sich für ihre Arbeit in der Industrie zu stärken, und die dann die Abfallprodukte aus ihrem individuellen Stoffwechsel ausschieden. Diese Abfallprodukte flossen samt Nitraten durch Abwasserrohre und Kanäle und ergossen sich ins Meer. Um diesem Bruch zu begegnen, entstanden in der Folge ganze Industrien zur Herstellung künstlicher Düngemittel, die ihrerseits anderswo metabolische Brüche verursachten.6
Das Anthropozän besteht aus einer Reihe metabolischer Brüche, bei denen ein Molekül nach dem anderen durch Arbeit und Technik extrahiert wird, um den Menschen mit Dingen zu versorgen; aber die Abfallprodukte kehren nicht zurück, damit sich der Kreislauf erneuern kann. Die Böden verarmen, die Meere ziehen sich zurück, das Klima wandelt sich, der nordpazifische Wirbel wird größer: eine Welt in Flammen. Erde, Wasser, Luft: Ein metabolischer Bruch besteht, wo es sich bei den aus dem Gleichgewicht gekommenen Molekülen wie in Marx’ Landwirtschaftsbeispiel um Natriumnitrat handelt; oder wie beim Aralsee um Dihydrogenmonoxid; oder wie im aktuellen Szenario des Klimawandels um Kohlendioxyd.
Eine Zeitlang schien es, als sei ein ausgelaugter Boden hier oder umgeleitetes Wasser dort ein lokales Problem. Im Anthropozän herrscht dagegen das Bewusstsein, dass metabolische Brüche bisweilen globalen Maßstabs sind.7 Stickstoff und Kohlenstoff sind von ihren alten Kreisläufen beurlaubt. Der Klimawandel scheint die weltweite Verteilung des Wassers bereits in entscheidender Weise zu beeinflussen. Wie ein Mikrokosmos nimmt die zu Sowjetzeiten gemachte Erfahrung mit dem Aralsee jenes globale Experiment vorweg, das wir heute mit dem metabolischen Bruch machen. Die Entwässerung des Aralsees stellte so etwas wie...