3. Warum Kinder spielen
Kinder spielen seit eh und je – überall auf der Welt und in jeder Epoche. Die Art der Beschäftigung variiert je nach Materialien, Zeit und Raum sowie nach kulturellen Überlieferungen. Das kindliche Spiel ist der Inbegriff aller Dinge, die Kinder tun, um sich zu beschäftigen – dabei lernen sie, wie man sich in dieser Welt bewegt. Egal, ob sie ganz konzentriert ein Puzzle legen, in der Gruppe Verstecken spielen, beim Tischdecken helfen oder sich im Wald austoben – es bleibt Spiel. Selbst das Davonrennen, wenn sie Schuhe anziehen sollen, ist für Kinder ein Spiel. Je besser wir den angeborenen Spieltrieb in unseren Kindern erkennen, desto besser verstehen wir ihr Verhalten.
Spielen ist mehr als ein Zeitvertreib
Spass, Experiment, Rollenspiel
Die Spielfreude erhalten und fördern: Dies ist eine der Hauptaufgaben von Eltern, die ihren Kindern eine gesunde Entwicklung ermöglichen und das nötige Rüstzeug fürs Leben mitgeben möchten. Denn Spielen ist nicht nur Zeitvertreib, sondern viel mehr: Erlernen von Fertigkeiten, Anhäufung von Wissen, Erprobung von Rollen, Lösen von Problemen – und nicht zuletzt Entspannung pur.
Kindliches Spiel hat viel mit Beschäftigung zu tun: Ein Kind, das beschäftigt ist, zeigt seltener unerwünschtes Verhalten wie Quengeln, ständiges Fordern oder Aggressivität. Sein Kind richtig zu beschäftigen bedeutet aber nicht, es ständig mit irgendwelchen Spielsachen oder Bastelmaterialien zu versorgen. Vielmehr ist Beschäftigung etwas Umfassendes: Es ist Spiel und Arbeit, Lernen und Helfen zugleich.
Anleitung erwünscht
Wenn die Kinder ein Zimmer voll Spielsachen zur Verfügung haben, erwarten die Eltern häufig, dass sie nun damit zufrieden sind und möglichst ausdauernd spielen. Genau dazu sind Kinder aber oft nicht in der Lage. Der Grund liegt meist darin, dass ihnen noch nie oder zu wenig gezeigt wurde, womit man sich die Zeit vertreiben kann. Denn genau in den Momenten, wo Mutter und Vater dies vom Kind wünschen, mag es weder mit Puppen noch mit Autos spielen. Auch das neue Buch oder die Bastelmaterialien sind gerade nicht interessant. Was tun? Offenbar mag sich Ihr Kind nicht spielend beschäftigen und braucht Ihre Anregung: indem Sie mit ihm in der Waschküche die Wäsche sortieren, über das bevorstehende Sporttraining reden oder eine kurze Znünipause einlegen.
Beschäftigen bedeutet also viel mehr als unsere herkömmliche Vorstellung von Spielen – es umfasst das ganze tägliche Tun und Lassen Ihres Kindes, vom Anziehen übers Spielen mit anderen Kindern bis zum Verhalten am Esstisch. Egal, wann und wo – Ihr Kind ist von Natur aus lernbegierig, so dass es immer etwas machen möchte. Es richtig zu beschäftigen heisst also nichts anderes, als Ihr Kind zum Spielen, Lernen und Helfen zu motivieren.
Spielend die Welt erobern
Schlüssel zum Alltagsleben
Der Drang zum Spielen ist dem Menschen angeboren. Für Kinder ist das Spiel der Zugang zu den Dingen, Aufgaben und Erkenntnissen dieser Welt, die sie im wahrsten Sinne des Wortes «spielend» kennenlernen. Im Spiel erfahren, erleben, begreifen, entdecken, erobern und erforschen Kinder die Welt, die sie umgibt. Durch oft hundertfache Wiederholung prägen sich ihnen Fertigkeiten ein, die später automatisiert ablaufen und tagtäglich genutzt werden: Treppen steigen, Fahrrad fahren, einen Bleistift benutzen, Kleider ausschütteln, Geschirr stapeln, eine Schnur aufrollen, Tasten bedienen, Abstände richtig einschätzen, Gegenstände nach Grössen ordnen etc.
Fertigkeiten trainieren
Ausserdem kann ein Kind im Spiel verschiedene Perspektiven und Rollen ausprobieren: die einer Puppenmutter, eines Feuerwehrmannes, eines Holzturms, eines Spielpferdes etc. Die Welt sieht je nachdem ganz anders aus – ein super Training für die Selbstwahrnehmung und für die Empathie, die Fähigkeit also, sich in jemand anderen einzufühlen. Im Spiel lernt das Kind schliesslich auch die grundlegende Fähigkeit, Probleme zu lösen. Ob es nun darum geht, eine Sandburg zu bauen oder einen defekten Veloschlauch zu reparieren – Kinder müssen zuerst einmal ein Repertoire an Lösungswegen kennenlernen, damit sie in jeder Situation das optimale Vorgehen wählen können. Dies gehört mit zu den Hauptaufgaben der Kindheit – denn das Leben besteht zu einem guten Teil aus Aufgaben oder Problemen, die es zu lösen gilt.
Gefühle ausleben
Auch wenn vieles durch Nachahmung erlernt wird – im Spiel wird das Erlebte nochmals verarbeitet und gefestigt. Oft ist die Gefühlswelt mitbeteiligt, zum Beispiel wenn ein Kleinkind seine Puppe ausschimpft, nachdem es von seiner Mutter eine Warnung oder ein Nein einstecken musste. Es probiert bei der Puppe gleich aus, was ihm selber widerfahren ist, und lernt dabei, dass nichts wirklich Schlimmes passiert (Angstbewältigung), dass die scharfen Worte aber eine Bedeutung haben (Grenzerfahrung).
Eine weitere Bedeutung des Spiels ist gut zu beobachten, wenn Kinder vollkommen in ihre Beschäftigung vertieft sind: die Entspannung. Keine Entspannungsmethode kann an Vertiefung, Beruhigung und Konzentration so viel bieten wie das intensive, buchstäblich selbstvergessene Spiel. Kinder sind dazu befähigt, alles andere um sich herum vollkommen unbeachtet zu lassen, sich voll und ganz dem Einen zu widmen, sich in eine andere Welt zu versetzen. Manche Kinder sind sehr lebhaft und aktiv – dann wird der Entspannungsfaktor manchmal zum Erregungsfaktor. Wichtig ist, dass zwischen An- und Entspannung abgewechselt wird – in welchem Rhythmus und welcher Länge, sei jedem einzelnen Kind überlassen. Wenn Kinder weder zu wenig noch zu viele Anreize angeboten bekommen, werden sie in der Regel das richtige Mass schon selber finden.
Entspannung hat neben einer langfristigen Ausgeglichenheit weitere Effekte: eine Erhöhung der Konzentrationsfähigkeit, der Gedächtnisleistung und eine Stärkung der Selbstsicherheit.
Spielen für bessere Leistungen
Kinder, die viel Zeit und Raum zum gemeinsamen und selbständigen Spielen haben, sind in ihrer Persönlichkeit ausgeglichener, fröhlicher, selbstsicherer und erzielen bessere Schulleistungen als solche, die zu wenig oder ungünstige Spiele spielen. Spielende Kinder haben zudem eine grössere Kompetenz, mit Sachen umzugehen, und verfügen über einen höheren Wissensstand.
Wie Kinder spielen
Jedes Kind ist ein Individuum – und so persönlich ist auch sein Spielverhalten. Trotzdem gibt es grundlegende Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Spiel von Mädchen und Knaben, von jüngeren und älteren Kindern, von Einzel- und Geschwisterkindern sowie von Vätern und Müttern.
Mädchen und Knaben
Grundsätzlich sind beide Geschlechter an allen Spielsachen und Spielen interessiert. Oft machen sich aber Einflüsse bemerkbar, die meist vom Elternhaus ausgehen, indem Knaben andere Dinge zur Verfügung gestellt oder schmackhaft gemacht werden als Mädchen. Und auch die Spielzeugindustrie trägt das Ihre zu einer klaren Geschlechterverteilung bei.
Im Folgenden einige Fakten zum Spiel- und Freizeitverhalten von Jungen und Mädchen:
Bewegung für Jungen …
… Musisches für Mädchen
• Im Rahmen der umfangreichen Studie «Sport Schweiz» hat das Bundesamt für Sport (BASPO) erstmals auch das Bewegungsverhalten von Kindern und Jugendlichen untersucht. Demnach sind Knaben sportlich aktiver als Mädchen: 55 Prozent der Jungen im Alter von 10 bis 14 Jahren treiben mehr als drei Stunden pro Woche hobbymässig Sport; bei den Mädchen sind es nur 39 Prozent. Auch in der Wahl der Sportarten gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede: Während bei den Knaben Fussball, Unihockey und diverse Kampfsportarten zuoberst auf der Liste stehen, bevorzugen Mädchen Schwimmen, Radfahren und Reiten.
• Aktivitäten im musikalisch-kreativen Bereich sind bei Mädchen beliebter als bei Jungen. Ähnlich verhält es sich mit dem Lesen: Rund zwei Drittel der Mädchen lesen gerne bis sehr gerne, aber nur 38 Prozent der Knaben können sich fürs Lesen begeistern.
• Gleichmässig verteilt ist die Vorliebe fürs Fernsehen. Hingegen steht die Computernutzung bei Knaben deutlich höher im Kurs als bei Mädchen.
• Mädchen gehen lieber ruhigeren Beschäftigungen nach und sind disziplinierter. Sie spielen lieber mit Tieren, trainieren (Ballett, Gymnastik etc.) oder machen Gruppenspiele, während Knaben lieber draussen herumtoben, Technik mögen oder Ball- bzw. Teamsportarten machen (z. B. Fussball). Mehr dazu im Kapitel «Die richtige Sportart für mein Kind» (Seite 50).
Jüngere und...