Darstellung der 16 Lebensmotive
Im Folgenden beschreiben wir die Motive in ihrer hohen und niedrigen Ausprägung. Bei einer ausgewogenen, durchschnittlichen Stärke wird das Motiv eher situativ und kontextabhängig erlebt. Diese Menschen kennen in der Regel beide Pole und leben das Motiv in unterschiedlichen Lebensbereichen verschieden aus. Für das Beispiel »Macht« bedeutet das, dass die Menschen sowohl temporär Führerschaft übernehmen können als auch unter Anleitung arbeiten können und sich damit wohl fühlen.
Leistungsmotive
Die Ausprägung eines Motivs sagt im Wesentlichen etwas über die persönliche Bedeutung dieses Motivs für den jeweiligen Menschen aus. Die Tatsache, wie es konkret ausgelebt wird, wird dann von den anderen 15 Motiven mitbestimmt. So steht das Motiv »Körperliche Aktivität« für das Bedürfnis nach Häufigkeit und Intensität von Sport oder Ähnlichem. In welcher Form dies idealerweise ausgelebt wird – also durch Einzelsport, Gruppensport, Wettkampfsport etc. –, wird durch die anderen Motive definiert. Somit sind alle 16 Motive Leistungsmotive, weil sie jeweils eine Plattform für Leistung darstellen.
1. Macht
Machtstreben steht für das Streben nach Einfluss, Führung, Kontrolle und Dominanz.
Hoch ausgeprägt
Menschen mit einem hoch ausgeprägten Machtmotiv übernehmen gern Verantwortung. Sie suchen Herausforderungen, sind ehrgeizig und überzeugungsfähig. Sie fühlen sich kraftvoll und häufig auch erfolgreich. Sie treffen gerne Entscheidungen, die Mitarbeiter oder Prozesse beeinflussen. Mit Leistung assoziieren sie etwas sehr Positives. Menschen mit hoher Macht übernehmen gern Führungspositionen, der Führungsstil hingegen wird eher durch die Ausprägung der übrigen 15 Lebensmotive bestimmt. Häufig sieht man ein hoch ausgeprägtes Machtmotiv bei Politikern.
Beispiel
Gerhard Schröder, der schon in frühen Jahren am Zaun des Bundeskanzleramtes rüttelte und rief: »Hier will ich rein!« Auch sein Verhalten in der sogenannten »Elefantenrunde« 2005, als er trotz eindeutiger Wahlergebnisse seinen Machtverlust nicht wahrhaben wollte, lässt ein hohes Machtmotiv vermuten.
Niedrig ausgeprägt
Menschen mit niedrigem Machtmotiv sind personen- und dienstleistungsorientiert. Sie fragen sich häufiger, für wen als wofür sie etwas machen, und zeigen wenig Eigeninitiative zur Entscheidungsfindung. Mit viel Verantwortung fühlen sie sich weniger wohl. Bei Entscheidungen ziehen sie gern den Rat anderer hinzu. Sie lassen sich gern anleiten und beschreiben sich selbst als freundlich und zurückhaltend. Sie müssen nicht ständig ihren Willen durchsetzen und operieren lieber im Hintergrund. Menschen mit einem niedrig ausgeprägten Machtmotiv fühlen sich häufig dort wohl, wo der Servicegedanke im Vordergrund steht. Aber auch Menschen mit niedrigem Machtmotiv können entschlossen wirken, vor allem, wenn viele andere Motive bei ihnen deutlich hoch oder niedrig ausgeprägt sind. Entschlossenheit im Erreichen eigener Motive / Ziele ist nicht zu verwechseln mit dem Bedürfnis, Entscheidungen zu treffen.
Ein niedriges Machtmotiv steht übrigens einer Führungsposition nicht im Wege! Diese Führungskräfte werden allerdings zur Erfüllung ihrer Führungsaufgabe mehr Energie und Willensstärke aufbringen müssen. Die Führungsposition gibt ihnen keine, sondern kostet sie Energie. Bei entsprechender Ausprägung anderer Motive, zum Beispiel hoher Ehre, können sie ihre Aufgaben selbstverständlich sehr motiviert erfüllen.
2. Unabhängigkeit
Unabhängigkeit meint das Streben nach Freiheit und Autonomie.
Hoch ausgeprägt
Menschen mit einem hoch ausgeprägten Unabhängigkeitsmotiv leben gern eigenverantwortlich und sind ungern auf andere angewiesen. Deshalb fragen sie selten nach Rat oder Unterstützung und möchten um beinahe jeden Preis eine Verpflichtung zur Dankbarkeit gegenüber anderen vermeiden. Informationen holen sie sich lieber aus dem Internet als von Kollegen. Über Geschenke, Gefälligkeiten oder Hilfe freuen sie sich selten, weil bei ihnen schnell das Gefühl einer emotionalen Schuld entsteht. Eigenständigkeit ist ein wichtiges Gut in ihrem Leben. Die Volksweisheit: »Verlass dich auf andere und du bist verlassen« könnte ihr Motto sein. Sie erreichen ihre Ziele am liebsten allein und ziehen daraus einen großen Teil ihres Selbstbewusstseins. Bei anstehenden Entscheidungen beziehen sie die »Betroffenen« selten mit ein. Sie unterscheiden auch deutlich stärker zwischen Freunden und Bekannten als Menschen mit geringem Unabhängigkeitsstreben.
In zwischenmenschlichen Beziehungen bringen sie selten Privates zur Sprache. Sie sehen das häufig erst bei einer entsprechenden Beziehungstiefe als angebracht an. In der Praxis berichten Menschen mit hohem Unabhängigkeitsmotiv, dass sie besser am Telefon ihr »Herz ausschütten« können als im direkten Kontakt. Sie haben das Gefühl, dass sie darüber besser ihre Offenheit steuern und kontrollieren können. Körperliche Nähe bewirkt bei ihnen häufig den Rückzug.
Niedrig ausgeprägt
Menschen mit einem niedrig ausgeprägten Unabhängigkeitsmotiv dagegen haben ein starkes Streben nach emotionaler Verbundenheit und suchen die psychische Nähe zu anderen. Sie sind gern Teil eines Teams und fühlen sich im Konsens wohler als im Dissens. Sie erleben sich selbst als vertrauensvoll und hilfsbereit. Gegenseitige Unterstützung ist für sie eher selbstverständlich als belastend. Sie werden durch Gemeinsamkeit motiviert, getreu dem Motto »Gemeinsam statt einsam.«
Ob jemand gern mit anderen Menschen zusammen ist, wird eher durch das Beziehungsmotiv beeinflusst. Das Unabhängigkeitsmotiv hat dagegen Auswirkungen auf die Offenheit im Umgang miteinander. Es ist hier zwischen physischer (Beziehungen) und psychischer Nähe (Unabhängigkeit) zu unterscheiden. Jemand mit hoher Unabhängigkeit kann deshalb trotzdem extravertiert auftreten.
In der Praxis heißt das, dass Menschen mit hohem Autonomiestreben durchaus Meetings, gesellschaftliche Anlässe etc. besuchen, sich aber anders verhalten und andere Gesprächsinhalte aufgreifen als Menschen mit einem niedrigen Streben nach Unabhängigkeit.
Das Unabhängigkeitsmotiv hat einen erheblichen Einfluss auf den Führungsstil. So werden Führungskräfte mit hoher Unabhängigkeit (vor allem in Kombination mit einem hohen Machtmotiv) eher entschieden und autoritär auftreten, ein geringes Unabhängigkeitsstreben wird eher als kooperativ und teamorientiert wahrgenommen. Diese Führungskräfte werden versuchen, einen Konsens zu erreichen, bevor eine Entscheidung getroffen wird, ihren Mitarbeitern aufmerksam zuhören und versuchen, sich in sie hineinzuversetzen.
3. Neugier
Neugier steht für Wissbegierde und den Wunsch, etwas über die Welt und sich selbst zu erfahren. Dabei überwiegt die Lust am Lernen, der praktische Nutzen des Gelernten steht im Hintergrund.
Hoch ausgeprägt
Menschen mit einem hoch ausgeprägten Neugiermotiv lieben es, über Dinge nachzudenken. Häufig gehen sie Dingen gern auf den Grund, sind wahrheitssuchend, intellektuell und Theorien und Philosophien selten abgeneigt. Sie sind über unterschiedlichste Themen informiert, unabhängig von deren praktischer Relevanz. Sie erleben sich als geistvoll, interessant und intelligent, obwohl das Neugiermotiv nichts über den Intelligenzquotienten aussagt. Sie streben nach geistiger Nahrung und kognitiven Herausforderungen. Bei Routineaufgaben stellt sich schnell Langeweile ein, da sie keinen Raum für Wissenszuwachs bieten. Sie lesen, schreiben, entwickeln und konzeptionieren stattdessen lieber. Staunen und Wundern erleben sie als befriedigende Emotionen.
Niedrig ausgeprägt
Im Gegensatz dazu werten Menschen mit niedrigem Neugiermotiv Wissen als Mittel zum Zweck. Sie lernen nicht des Lernens wegen, vielmehr steht die praktische Umsetzung des Gelernten im Vordergrund. Sie beschreiben sich eher als handlungsorientierte Umsetzer mit gesundem Menschenverstand. Intellektuelle und philosophische Debatten erleben sie als langweilig und Zeit verschwendend. Wird von ihnen verlangt, sich tiefer mit einem theoretischen Thema auseinanderzusetzen, kann sie das viel Energie kosten.
In der Werbesprache stehen die beiden Slogans »Never stop thinking« und »Just do it« für die jeweiligen Motivpole.
Die evolutionäre Grundlage für ein hohes Neugiermotiv kann man bei Tieren beobachten: Sie profitieren bei ihrer Nahrungssuche und Verteidigung von einer ausgeprägten Umgebungserkundung.
Am Beispiel des Lernens einer Fremdsprache wird deutlich,...