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Mozarts Briefe

Große Komponisten

AutorLudwig Nohl
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl475 Seiten
ISBN9783849602239
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Ludwig Nohl (* 5. Dezember 1831 in Iserlohn; 15. Dezember 1885 in Heidelberg) war ein deutscher Musikwissenschaftler und Musikschriftsteller. Seine Sammlung der Briefe Mozarts gehört zu den umfangreichsten der Welt. Inhalt: Vorwort. Erste Abtheilung. Italien. Wien. München. Zweite Abtheilung. München. Augsburg. Mannheim. Dritte Abtheilung. Paris. Vierte Abtheilung. München. Idomeneo. Fünfte Abtheilung. Wien. Entführung. Heirath. Sechste Abtheilung. Figaro. Don Juan. Zauberflöte.

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Leseprobe

63. Mozarteum.

 

 München 6. Oct. 1777.

 

Die Mama kann nicht anfangen; erstlich verdrießt es sie; zweitens thut ihr der Kopf wehe! Mithin muß halt ich herhalten. Nun werde ich den Augenblick mit Herrn Professor die Mademoiselle Keiserin besuchen. Gestern war bey uns im Hause eine geistliche Hochzeit oder Altum Tempus Ecclesiasticum. Es wurde getanzt, ich tanzte aber nur 4 Menuets, und um 11 Uhr war ich schon wieder in meinem Zimmer; denn es war unter 50 viel Frauenzimmern eine einzige, welche auf den Tact tanzte, und diese war Mademoiselle Käser, eine Schwester vom Hrn. Secretair des Grafen Perusa. – Der Hr. Professor hat die Güte gehabt mich anzusetzen, folglich kam ich nicht zur Madelle Keiserin, weil ich ihre Wohnung nicht weiß. Vorgestern als den 4. Samstag am Hochfeierlichen Namenstag seiner königlichen Hoheit des Erzherzogs Albert war eine kleine Academie bey uns. Sie fing um halb 4 Uhr an und endigte sich um 8 Uhr. Mr. Dubreil, dessen sich der Papa noch erinnern wird, war auch da, er ist ein Scolar von Tartini. Vormittags gab er dem jüngsten Sohn Carl Lection auf der Violine, und ich kam just dazu. Ich hatte nie viel Credit auf ihn, ich sah aber, daß er mit vielem Fleiß Lection gab, und als wir in Discurs kommen von Concertgeigen und Orchestergeigen, raisonnirte er sehr gut und war immer meiner Meinung, sodaß ich meine vormaligen Gedanken zurück nahm und persuadirt war, daß ich einen recht guten Treffer und accuraten Orchestergeiger an ihm finden würde. Ich bat ihn also, er möchte die Güte haben und nachmittag zu unserer kleinen Academie kommen. Wir machten gleich zuerst die 2 Quintetti vom Haydn, allein mir war sehr leid, ich hörte ihn kaum, er war nicht im Stande 4 Takte fort zu geigen ohne zu fehlen. Er fand keine Applicatur. Mit den Sospirs [kleinen Pausen] war er gar nicht gut Freund. Das beste war, daß er sehr höflich gewesen und die Quintetti gelobt hat, sonst – –. So sagte ich aber gar nichts zu ihm, sondern er selbst sagte allzeit: "Ich bitte um Verzeihung, ich bin schon wieder weg! das Ding ist kützlich aber schön." Ich sagte allzeit: "Das hat nichts zu sagen, wir sind ja unter uns." Dann spielte ich das Concert in C in B und Es und dann das Trio von mir. Das war gar schön accompagnirt, im Adagio habe ich 6 Takte seine Rolle spielen müssen. Zu guter letzt spielte ich die lezte Cassation aus dem B von mir. Da schauete alles groß drein. Ich spielte als wenn ich der größte Geiger in ganz Europa wäre.

Sonntag darauf um 3 Uhr waren wir bey einem gewissen H.v. Hamm. Der Bischof im Chiemsee ist heute schon nach Salzburg gereist. NB. ich schicke meiner Schwester hier 6 Duetti a Clavicembalo e Violino von Schuster. Ich habe sie hier schon oft gespielt, sie sind nicht übel. Wenn ich hier bleibe, so werde ich auch 6 machen auf diesen Gusto, denn sie gefallen sehr hier.

 

64. Mozarteum.

 

 München 11. Oct. 1777.

 

Warum daß ich bis dato nichts von Misliweczeck [vgl. Nr. 43] geschrieben habe? – Weil ich froh war, wenn ich nicht auf ihn denken durfte. Denn so oft die Rede von ihm war, mußte ich hören wie sehr er mich gelobt und welch guter und wahrer Freund er von mir ist! Und zugleich die Bedauerung und das Mitleiden! Man beschrieb ihn mir, ich war außer mir. Ich sollte Misliweczeck, einen so guten Freund in einer Stadt, ja in einem Winkel der Welt wo ich auch bin, wissen und sollte ihn nicht sehen, nicht sprechen? – Das ist unmöglich! Ich resolvirte mich also zu ihm zu gehen. Ich ging aber des Tags vorher zum Verwalter vom Herzogsspital und fragte ihn, ob er nicht machen könne, daß ich mit Misliweczeck im Garten sprechen könnte; denn obwohl mir alle Leute und auch Medici gesagt haben, daß da nichts mehr zu erben wäre, ich dennoch in sein Zimmer nicht gehen wollte, weil es sehr klein ist und ziemlich stark riecht. Er gab mir vollkommen recht und sagte mir, er ginge gewöhnlich so zwischen 11 und 12 Uhr im Garten spatziren; wenn ich ihn aber nicht antreffen sollte, so dürfte ich ihn nur herabkommen lassen. Ich ging also den andern Tag mit H.v. Hamm Ordenssecretair (von welchem ich nachgehends sprechen werde) und auch mit meiner Mama ins Herzogsspital. Meine Mama ging in die Kirche und wir in den Garten. Er war nicht da, wir ließen ihn also rufen. Ich sah ihn von der Quere herkommen und erkannte ihn gleich im Gang. Hier ist zu merken, daß er mir schon durch H. Heller Violoncellist ein Compliment hat vermelden lassen und gebeten, ich möchte ihn doch vor meiner Abreise noch besuchen. Als er zu mir kam nahm ich ihn und er mich recht freundschaftlich bei der Hand "Da sehen Sie", sprach er, "wie unglücklich ich bin!" Mir gingen diese Worte und seine Gestalt, die der Papa der Beschreibung nach schon weiß, so zu Herzen, daß ich nichts als halb weinend sagen konnte: "Ich bedaure Sie von ganzem Herzen, mein lieber Freund!" Er merkte es, daß ich gerührt war, und fing sogleich ganz munter an: "Aber sagen Sie mir, was machen Sie denn; man hat mir gesagt, Sie seyen hier, ich glaube es kaum; wie ist es denn möglich, daß der Mozart hier ist und mich nicht längst besucht hat." – "Ich bitte Sie recht um Verzeihung, ich habe so viele Gänge gehabt, ich habe so viele gute Freunde hier". – "Ich bin versichert daß Sie recht gute Freunde hier haben, aber einen so guten Freund wie ich, haben Sie gewiß nicht." Er fragte mich, ob ich vom Papa keine Nachricht erhalten habe wegen einem Brief. Ich sagte: "Ja, er schrieb mir (ich war so confus und zitterte so am ganzen Leibe, daß ich kaum reden konnte) aber nicht ausführlich." Er sagte mir dann, daß der Sgr. Gaetano Santoro Impresario von Neapel gezwungen war, aus impegni und protezione diesen Carneval einem gewissen Maestro Valentini die Oper vom Carneval zu geben; "aber auf künftiges Jahr hat er 3 frey; wovon eine mir zu Diensten steht. Weil ich also schon 6 mal zu Neapel geschrieben habe, so mache ich mir nichts daraus, die fatale zu übernehmen und Ihnen die bessere, nämlich die vom Carneval zu überlassen. Gott weiß es, ob ich reisen kann. Kann ich nicht, so schicke ich die Scrittur wieder zurück. Die Compagnie auf künftiges Jahr ist gut, lauter Leute, die ich recommandirt habe. Sehen Sie, ich habe so Credit zu Neapel, daß wenn ich sage, nehmet diesen, so nehmen sie ihn." Marquesi ist der Primouomo, welchen er sehr lobt und auch ganz München; Marchiani eine gute Prima Donna und ein Tenor, den ich nicht mehr nennen kann, welcher, wie er sagt, jetzt der beste in ganz Italien ist. "Ich bitte Sie, gehen Sie nach Italien, da ist man ästimirt und hochgeschätzt." Und er hat wirklich Recht. Wenn ich es recht bedenke, so hab ich halt doch in keinem Lande so viele Ehre empfangen, bin nirgends so geschätzt worden wie in Italien, und man hat halt Credit, wenn man in Italien Opern geschrieben hat und sonderheitlich zu Neapel. Er hat mir gesagt, er will den Brief an Santoro mir aufsetzen, ich soll morgen zu ihm kommen und ihn abschreiben. Ich konnte aber unmöglich mich entschließen zu ihm ins Zimmer zu gehen, und wenn ich schreiben wollte, müßte ich es doch, im Garten könnte ich nicht schreiben. Ich versprach ihm also gewiß zu kommen. Ich schrieb aber folgenden Tags einen italienischen Brief an ihn, ganz natürlich: Ich könnte unmöglich zu ihm kommen, ich habe schier nichts essen und nur 3 Stunden schlafen können, ich war den Tag wie ein Mensch, der seine Vernunft verloren hat, er sey mir immer vor Augen etc. – lauter Sachen die so wahr sind als die Sonne klar ist. Er gab mir folgende Antwort: Lei è troppo sensibile al mio male; io la ringrazio del suo buon Cuore. Se parte per Praga gli farò una lettra per il Conte Pachta. Non si pigli tanto à cuore la mia disgrazia. Il Principio fù d'una ribaltata di Calesse, poi sono capitato nelle mani dei Dottori ignoranti, pazienza. Ci sarà quel che Dio vorrà. Er schickte mir den Aufsatz zum Brief an Santoro. Er hat mir auch bey ihm Briefe gezeigt, wo ich oft meinen Namen las. Man sagte mir, daß sich Misliweczeck sehr verwundert hat, wenn man hier von Becke oder dergleichen Clavieristen sprach; er sagte allzeit: "Es soll sich nur keiner nichts einbilden; keiner spielt wie Mozart; in Italien wo die größten Meister sind, spricht man von nichts als Mozart; wenn man diesen nennt, so ist alles still." – Ich kann jetzt den Brief nach Neapel schreiben wenn ich will; doch je eher je besser. Ich möchte aber zuvor die Meinung vom allervernünftigen Hofkapellmeister Herrn von Mozart wissen. Ich habe eine unaussprechliche Begierde wieder einmal eine Oper zu schreiben. Der Weg ist weit, das ist wahr; wir sind aber auch noch weit entfernt von der Zeit wo ich diese Oper schreiben sollte; es kann sich bis dorthin noch viel verändern. Ich glaube, annehmen könnte man sie doch. Bekomme ich unter der Zeit gar keinen Dienst, eh bien, so habe ich doch die Resource in Italien. Ich habe doch im Carneval meine gewisse 100 Ducaten; wenn ich einmal zu Neapel geschrieben habe, so wird man mich überall suchen. Es gibt auch, wie der Papa wohl weiß, im Frühling, Sommer und Herbst da und dort eine Opera buffa, die man zur Uebung und um nicht müssig zu gehen, schreiben kann. Es ist wahr man bekömmt nicht viel, aber doch etwas, und man macht sich dadurch mehr Ehre und Credit als wenn man 100 Concerte in Deutschland gibt, und ich bin vergnügter, weil ich zu componiren habe, welches doch meine einzige Freude und Passion ist. Nun, bekomme ich wo Dienste oder habe ich wo Hoffnung anzukommen, so...

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