1. KAPITEL
MEILENSTEINE
Der FC Bayern München ist weltweit einer der größten und erfolgreichsten Traditionsvereine im Fußball. Die Meilensteine zeigen einige wesentliche Entwicklungsschritte in der 118-jährigen Geschichte des Klubs auf.
| Aufstand gegen die mächtige Turnerschaft: Die Gründung des FC Bayern als erste strategische Meisterleistung |
Der FC Bayern wurde am 27. Februar 1900 gegründet, damals unter dem Namen »Münchner Fußballklub Bayern«. Der neue Verein war das Ergebnis eines ideologischen Machtkampfs zwischen der deutschen Turnerschaft und der aufstrebenden Fußballbewegung. Dass der Gründungs-Coup in München gelang, war einem extrem gut vernetzten und weitsichtigen Führungstrio zu verdanken.
Doch der Reihe nach: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts blühte die aus England importierte Fußballbewegung auch in deutschen Städten auf. 1897 wurde der Verband Süddeutscher Fußball-Vereine (VSFV) ins Leben gerufen, allerdings fehlte noch ein Verein aus Bayern. In München war die Situation vertrackt. Es existierten schon einige Teams, darunter seit 1897 eine Fußballabteilung im Münchner Turnverein (MTV) von 1879. Doch die deutsche Turnerschaft als Dachverband verfolgte eifersüchtig die neue Beigeisterung für Fußball. Die Turnerschaft, meist militaristisch und national ausgerichtet, wollte mit dem vermeintlich rohen und andersartigen Spiel aus England keine große Verbindung eingehen und zumindest den Wirkungskreis der Fußballer einschränken. Dieser Auftrag galt wohl auch für den Gesamtverein des MTV.
Hier kam nun dem Freiburger Medizinstudenten Gustav Randolph »Gus« Manning eine entscheidende Rolle zu. Manning nahm eine führende Funktion beim VSFV ein, und der Verband trug schon bald eine erste regionale Meisterschaft aus. Es schmerzte aber, dass aus München kein Verein am Wettkampf teilnahm. Manning halfen sein strategisches Geschick und glückliche Fügungen, um die Situation bald zum Positiven zu wenden. Der gebürtige Londoner, Jahrgang 1873, studierte einst in Berlin und spielte dort für den VfB Pankow Fußball. Einer seiner Teamkollegen von damals war Franz John. John wiederum zog es zur Jahrhundertwende nach München, und er schrieb Manning einen Brief, dass er sich nun in der Isar-Metropole aufhalte. Manning antwortete umgehend und weihte John in seinen Plan ein: In München müsse ein Klub eine führende Rolle übernehmen und auch dem süddeutschen Verband beitreten. Die zweite glückliche Fügung: John besuchte in München ein Sportfest, wo auch Fußball gespielt wurde. Dort traf er das MTV-Mitglied Josef Pollack. Pollack hatte mit Gus Manning 1898 zusammen beim Freiburger FC im Sturm gespielt und die regionale Meisterschaft gewonnen. John (Jahrgang 1872) und Pollack (Jahrgang 1880) machten sich nun auf, den Fußball in München voranzutreiben.
Das Duo warb zunächst beim MTV für den Beitritt in den süddeutschen Verband, doch die deutsche Turnerschaft ließ die Münchner wissen, dass eine Doppelmitgliedschaft nicht gutgeheißen werde. Da John entschlossen war, einen neuen Verein zu gründen, kam es am 27. Februar 1900 im Gasthaus Bäckerhöfl an der Schäfflerstraße (nahe dem Marienplatz) zu einem Treffen der MTV-Mitglieder. Die Vereinsführung bot Kompromisse an, doch John spürte zu viele Einschränkungen, weshalb er mit seinen Unterstützern ins sieben Minuten entfernt gelegene Café Gisela weiterzog. In diesem Weinlokal gründeten die elf Aufständischen, darunter Josef Pollack als Schriftführer, den FC Bayern und bestimmten Franz John als ersten Vorsitzenden.
Noch einige weitere Fakten zur Gründung des FCB: Die Vereinsfarben waren zunächst Weiß-Blau in Anlehnung an das bayerische Wappen. Erst ab 1906/07 und nach der Fusion mit dem Münchner Sport-Club erhielten die Bayern rote (statt schwarze) Hosen und wurden »Die Roten« genannt. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs im Oktober 1919 traten die Bayern aus dem Münchner SC aus und fusionierten mit dem Turnverein Jahn München zum Turn- und Sportverein Jahn München. Im Frühjahr 1924 trennten sich Fußballer und Turnerschaft wieder, der Vereinsname FC Bayern München war nun endgültig besiegelt.
Die Gründung des FC Bayern fand an einem Faschingsdienstag statt. Gemutmaßt wird, dass die Vereinsführung des MTV aus taktischen Gründen diesen Tag zur Aussprache wählte, um möglichst wenige Abspaltungs-Befürworter zu Gast zu haben. Franz John sorgte aber vor, indem er sich vor dem Treffen Unterschriften von wechselwilligen Mitgliedern einholte. So waren es laut dem Buch Die Bayern Chronik (Band 1, Verlag Die Werkstatt) insgesamt 17 Gründungsmitglieder beim FCB. Dabei spielte auch Walther Bensemann, der große deutsche Fußballpionier und spätere Mitbegründer des kicker-Magazins, eine wichtige Rolle. Unter anderem half Bensemann, der Mitglied des MTV München war, dem FC Bayern zu Beginn immer wieder mit Kontakten, um Freundschaftsspiele gegen internationale Top-Teams auszutragen. Das »Café Gisela« ist heute als Nachbau im Museum des FC Bayern zu besichtigen (»Erlebniswelt« in der Allianz Arena).
| Heimat für Juden, Künstler und Zugewanderte: Der FC Bayern als politisches Statement |
Der FC Bayern war von Beginn an eine Art Kulturbewegung. Zu den Gründungsmitgliedern zählten vor allem »Zuag’roaste« aus zahlreichen Regionen des Deutschen Reichs. Viele Mitglieder der ersten Stunde waren Studenten und Künstler. Die Mitglieder des FC Bayern und seine Spieler wohnten vor allem in den akademisch und künstlerisch geprägten Stadtvierteln Schwabing und Maxvorstadt, wovon politisch starke liberale und linke Strömungen ausgingen, ganz entgegen dem militaristischen und nationalkonservativen Zeitgeist im Deutschen Reich. Auch ein beachtlicher Teil an Juden, die sich zur damaligen Zeit in der Gesellschaft großer Vorurteile erwehren mussten, fand beim FC Bayern seine Heimat. So waren beispielsweise die Klub-Initiatoren Gustav Manning und Josef Pollack jüdischen Glaubens. Der FC Bayern besaß aber auch etwas Elitäres, weil er zum Beispiel bis 1908 nur Abiturienten als Mitglieder zuließ.
| Streit um die Rolle des FC Bayern in der NS-Diktatur |
In der Nazi-Zeit sollte die internationale und tolerante Ausrichtung des Klubs negative Folgen haben, und die jüdischen Mitglieder mussten in der Regel aus dem Klub austreten und vor dem Regime fliehen. 2016 ist allerdings nochmals eine Debatte entflammt, ob der FC Bayern womöglich doch enger mit der Ideologie der Nazis verbunden und zwischen 1933 und 1945 ebenso rassistisch und antisemitisch eingestellt war wie viele andere Klubs. Der Religionsphilosoph Dr. Markwart Herzog unterstellte dem FC Bayern eine gewisse Nähe zur NS-Diktatur, was er anhand einiger glühender Nazi-Verehrer im Klub und antisemitischer Paragrafen in der damaligen Satzung des FC Bayern zu belegen versuchte. Wissenschaftler und Buchautoren wie Dietrich Schulze-Marmeling hielten dagegen und versuchten klarzumachen, dass der FC Bayern sich nicht komplett und offiziell gegen die Nazi stellen konnte, aber allein der Fakt, dass der FC Bayern seine Juden viel später ausgeschlossen habe als viele andere Vereine und Ex-Präsident Kurt Landauer bis Mitte der 1930er-Jahre noch im Klub aktiv gewesen sei, beweise, dass die Nazifizierung des FC Bayern nur unter Widerständen vorangegangen sei.
Jedenfalls geriet die unbestritten künstlerische und jüdische Ader des FC Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr in Vergessenheit. Der Ursprung der Münchner, nämlich einstigen gesellschaftlichen Minderheiten eine sportliche Heimat und eine Chance zur Entfaltung gegeben sowie gegen den herrschenden Zeitgeist revoltiert zu haben, blieb meist unerwähnt. Das war allerdings auch dem Fakt geschuldet, dass die Historie von Fußballvereinen erst ab der Jahrtausendwende wissenschaftlich intensiv erforscht wurde.
| Von Landauer bis Hoeneß: Die »Macher« des FC Bayern |
Was den FC Bayern auszeichnet, ist weniger der Fakt, dass er seit den 1990er-Jahren fast ausnahmslos von erfolgreichen Ex-Profis geführt wird, sondern dass er nahezu immer große Konstanz auf seinen Führungspositionen aufwies. So führte der Präsident Kurt Landauer den FC Bayern im Grunde durch die komplette Zwischenkriegszeit. Nach einer unruhigen Phase in den 1950er-Jahren zählt der FC Bayern von 1962 bis heute insgesamt nur sechs Präsidenten (Wilhelm Neudecker, Willi O. Hoffmann, Fritz Scherer, Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß und Karl Hopfner), einen Vorstandsvorsitzenden (seit 2002 Karl-Heinz Rummenigge) und zwei (Robert Schwan, Uli Hoeneß) wahlweise fünf Manager (Sportchefs Christian Nerlinger, Matthias Sammer und Hasan Salihamidzic). Eine...