Zum Thema Tauschbörsen, P2P und Filesharing sind diverse Studien durchgeführt worden. Sie stammen allerdings größtenteils aus den USA; aus Deutschland liegen nur zwei Untersuchungen vor. Die Forschung findet in den verschiedensten Disziplinen statt. Die Informatik untersucht den Netzwerk-Aufbau und die Mechanismen der Tauschbörsen. Auf diese eher technischen Analysen wird hier nicht weiter eingegangen.[81] Ökonomen beschäftigen sich vor allem mit den Auswirkungen von Tauschbörsen auf die Musikindustrie, Juristen mit den rechtlichen Grundlagen und den Auswirkungen von Strafandrohungen. Unterschiedliche Modelle versuchen, das Verhalten von Tauschbörsennutzern zu erklären. Im Folgenden wird ein ethisches und ein sozialpsychologisches Modell von Filesharing sowie auf eine Studie zur Auswirkung von Strafandrohungen eingegangen. Außerdem werden einige Ergebnisse der Untersuchungen zum Kooperationsverhalten und zur Angebotsmotivation in Tauschbörsen vorgestellt, speziell eine deutsche Arbeit aus der Betriebswirtschaft von Becker (2004). Ausführlicher wird auf eine Onlinebefragung deutscher Tauschbörsennutzer von Haug/Weber (2002) eingegangen. Abschließend werden theoretische Überlegungen zu den ökonomischen Auswirkungen und die entsprechenden Analysen zusammengefasst.
Eine Studie von Gopal et al. (2002) schlägt ein Modell für digitale Musikpiraterie vor, in dem verschiedene Einflussvariablen die Neigung und die Gründe einer Person für illegales Filesharing erklären sollen. Mit einer Befragung unter 133 Business-Studenten wurde der Zusammenhang zwischen den Konstrukten „Club Size“, „Ethical Index“, „Justice“ sowie dem durch MP3-Downloads gespartem Geld und demographischen Merkmalen untersucht. Club Size diente dabei als Operationalisierung für die Intention, illegal Musik herunterzuladen, der Ethikindex wurde aus fünf Items gebildet, bei denen hypothetische moralisch kritische Situationen als akzeptabel oder inakzeptabel eingeschätzt werden mussten. Justice wurde als Dimension einer ethischen Prädisposition operationalisiert, fünf Items untersuchten die Einstellung zu Gesetz und Gerechtigkeit.[82]
Eine Pfadanalyse ergab, dass ein höherer Ethik-Index die Wahrscheinlichkeit für digitale Musikpiraterie verringert. Höhere Werte für Justice ergaben ebenfalls höhere Werte für den Ethikindex. Ältere Menschen sind weniger anfällig für Musikpiraterie, das Geschlecht hat kaum Einfluss, das Einkommen gar keinen. Die Menge an gespartem Geld ist ein relativ starker Prädiktor für die Bereitschaft zur Musikpiraterie.[83]
In einer Folgestudie wurden 120 weitere Studenten befragt, allerdings wurde diesen vorher eine abschreckende Zeitungsmeldung vorgelegt, in der über die rechtlichen Folgen von Musikpiraterie berichtet wurde. Diese Gruppe zeigte aber keine verringerte Disposition zur Piraterie als die zuvor befragten Studenten, die diese Meldung nicht erhalten hatten. Die Forscher schließen daraus, dass derartige Abschreckungsstrategien der Musikindustrie höchstens eingeschränkte Wirkungen erzielen können.[84]
Um die Faktoren herauszufinden, die das Downloadverhalten in Tauschbörsen bedingen, ziehen auch La Rose et al. (2005) sozialpsychologische Theorien heran. Sie bemängeln, dass sich der „Uses and Gratifications“-Ansatz der Kommunikationswissenschaft bei Untersuchungen der Internetnutzung bisher zu sehr auf Gratifikationslisten der alten Medien konzentriert und neue Motive wie neuartige Sinneseindrücke oder ökonomische Anreize nicht berücksichtigt hat. Auf Grundlage der Sozialkognitiven Theorie (SKT) von Bandura (1986) und der Theorie des geplanten Verhaltens von Ajzen (1985) entwickelten sie ein Modell, um das Verhalten in Tauschbörsen erklären zu können. Die SKT besagt, dass menschliches soziales Verhalten von seinen erwarteten positiven und negativen Folgen sowie von vorausgegangenen Erfahrungen beeinflusst wird. Bezogen auf Medien heißt dies, dass die Erfahrung mit den Medien die Erwartungen an den zukünftigen Medienkonsum formt und damit die Absicht, bestimmt Medien zu nutzen.[85]
Die SKT enthält außerdem einen Mechanismus der Selbstregulation (self-regulation), also der Kontrolle des eigenen Verhaltens. Gewohnheiten und sich wiederholende Verhaltensmuster können Ausdruck einer mangelnden Selbstregulation sein, dies kann als Erklärung für problematische Internetnutzung, beispielsweise habituelles Downloaden als Selbstzweck, herangezogen werden. Eine Subfunktion der Selbstregulation ist der beurteilende Prozess (judgmental process), also rechtliche, moralische und ethische Überzeugungen.[86] Normative Ansichten spielen auch in der Theorie des geplanten Verhaltens eine Rolle, die besagt, dass Annahmen über die Wünsche von anderen Menschen, also moralische Normen, das Verhalten beeinflussen.
Von diesen theoretischen Überlegungen ausgehend nimmt das hypothesierte Modell von La Rose et al. an, dass das momentane Downloadverhalten sowie die Absichten für zukünftiges Downloaden unter anderem von folgenden Faktoren beeinflusst werden:
erwartete positive (z.B. Kostenersparnis, Möglichkeit, Leute kennen zu lernen) und negative (z.B. Sanktionsangst, schlechte Qualität der heruntergeladenen Dateien) Folgen des Downloadens
mangelnde Selbstregulation beim Downloaden
Annahmen über moralische (Nicht-)Akzeptanz von Filesharing.[87]
Im Dezember 2003 füllten in einer explorativen Untersuchung 265 Studenten einer US-Universität einen Onlinefragebogen aus, um das Modell zu testen. Eine Regression der unabhängigen Variablen zum Downloadverhalten ergab 25 Prozent erklärte Varianz. Positiv auf das Downloadverhalten wirkten sich die erwarteten sozialen Folgen und mangelnde Selbstregulierung aus, ein negativer Zusammenhang zeigte sich mit der Erwartung einer schlechten Download-Qualität und der angenommenen moralischen Nichtakzeptierung von Filesharing. Das geplante zukünftige Downloadverhalten wurde von erwarteten Sanktionen negativ, von mangelnder Selbstregulierung positiv beeinflusst.[88] Die Autoren schließen daraus, dass ihr aus der SKT abgeleitetes Modell bestätigt werden kann. Außerdem betonten sie in Hinblick auf den Uses and Gratifications-Ansatz, dass „the nature of the file sharing experience, however, brings a fresh theoretical perspective to social motivations for media usage.“[89]
Eine US-amerikanische Studie von Bhattacharjee aus dem Jahr 2003 versuchte herauszufinden, ob die Androhung rechtlicher Konsequenzen Auswirkungen auf die Download-Tätigkeiten von Tauschbörsennutzern hat. Dazu wurde über 12 Monate hinweg heimlich das Filesharing-Verhalten von über 2000 Nutzern der damals beliebtesten Tauschbörse Kazaa verfolgt und registriert, wie oft sie mit dem Netzwerk verbunden waren und wie viele Musikdateien sie anderen zur Verfügung stellten. Im Untersuchungszeitraum ereigneten sich vier Vorfälle, die für die Nutzer rechtlich relevant waren: Ankündigungen der RIAA, gerichtlich gegen Tauschbörsennutzer vorzugehen, die ersten Klagen gegen 261 Nutzer durch die RIAA, ein Rückschlag der RIAA vor Gericht und erneute Klagen der RIAA gegen 532 Filesharer.[90] Anhand der Veränderungen des Filesharing-Verhaltens der Nutzer nach den jeweiligen Ereignissen kamen die Forscher zu folgenden Ergebnissen:
Sowohl die Gruppe der „substantial sharers“ (die mehr als 800 Dateien zur Verfügung stellen und damit im Fokus der Ermittler stehen) als auch die „nonsubstantial sharers“ reagierten auf die Drohungen und reduzierten die Anzahl der geteilten Musikdateien.
Substantial sharers verringerten über den Verlauf der vier Ereignisse ihre angebotenen Dateien um mehr als 90 Prozent der ursprünglichen Dateimenge.
Nonsubstantial sharers blieben beständig unter der 800-Datei-Grenze und reduzierten die durchschnittliche Dateimenge um mehr als ein Drittel.
Beide Gruppen nutzten das Netzwerk aber vor und nach den Ereignissen gleich häufig.[91]
Die Forscher schlossen aus diesen Ergebnissen, dass „the RIAA may have succeeded more in reducing the average availability of files than in reducing piracy“[92]. Die Nutzer luden also weiterhin genauso viele Musikdateien herunter, stellten aber nicht mehr so viele für andere zur Verfügung.
Wie bereits erwähnt, haben Nutzer eines Filesharing-Netzwerks zwei Möglichkeiten: Sie können Musik herunterladen und gleichzeitig selbst Musik für andere bereitstellen, was dem Prinzip der Tauschbörse entspricht und den weiteren Bestand garantiert. Sie werden aber meist nicht zum Anbieten...