1. Hintergrund und Überblick
Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development) hat sich in den letzten fünfundzwanzig Jahren weltweit zu dem zentralen Begriff entwickelt, anhand dessen über die zukünftige Entwicklung der Menschheit diskutiert wird. Sein Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit ist stark gestiegen, vor allem in den letzten zehn Jahren. Nachhaltige Entwicklung bezeichnet einen Prozess gesellschaftlicher Veränderung, während der Begriff der Nachhaltigkeit (sustainability) das Ende eines solchen Prozesses, also einen Zustand beschreibt. In dieser Einführung werden wir vorwiegend den Begriff nachhaltige Entwicklung verwenden. Nach der heute überwiegend akzeptierten Definition ist nachhaltige Entwicklung dann realisiert, wenn sie
'die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können' (Hauff 1987: 46).
Sie zielt auf eine Umsteuerung, die die Lebenssituation der heutigen Generation verbessert (Entwicklung) und gleichzeitig die Lebenschancen künftiger Generationen zumindest nicht gefährdet im Sinne des Erhalts der sozialen, wirtschaftlichen und natürlichen Grundlagen der Gesellschaft. Nachhaltige Entwicklung ist kein ausschließlich wissenschaftlich bestimmbarer Begriff, sondern ein gesellschaftlich-politisches und damit normatives Leitbild.
Nachhaltige Entwicklung hat in ethischer Hinsicht ein doppeltes Fundament: Einerseits betrifft sie die aktive Übernahme von Verantwortung für zukünftige Generationen (Zukunftsverantwortung), andererseits spielen Gerechtigkeitsüberlegungen unter den heute Lebenden (klassische Verteilungsgerechtigkeit) eine gleichrangige Rolle. Diese Dualität hat Folgen: Ein Doppelverständnis zieht sich durch sämtliche Diskussionen zur nachhaltigen Entwicklung hindurch. Zum einen geht es um eine - eher statische - Erhaltung von natürlichen und kulturellen Ressourcen im Interesse zukünftiger Generationen. Zum anderen steht - dynamisch - die nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft im Mittelpunkt, mit der Betonung auf dem Entwicklungsgedanken zur Verbesserung der Situation vieler heute lebender Menschen.
Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung ist auf der politischen Ebene programmatisch weltweit anerkannt. Die Suche nach Kriterien, Leitlinien und Umsetzungsstrategien für eine nachhaltige Entwicklung ist zu einem zentralen Thema der nationalen und internationalen Umwelt-, Forschungs- und Entwicklungspolitik sowie von Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft geworden. Auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro verpflichtete sich die internationale Staatengemeinschaft, das Leitbild in konkrete Politik auf nationaler und globaler Ebene umzusetzen. Dies wurde in zahlreichen Folgekonferenzen und Aktivitäten der Vereinten Nationen für viele Themen konkretisiert, so z..B. für den Umgang mit dem Klimawandel und den Schutz der Biodiversität, aber auch durch die so genannten Milleniumsziele der Vereinten Nationen (Kapitel 2.5). Nationale Nachhaltigkeitsstrategien sind mittlerweile in vielen Ländern ausgearbeitet worden und befinden sich in der Umsetzung. In Deutschland wurde 2001 durch die Bundesregierung der Rat für Nachhaltige Entwicklung berufen und im Jahre 2002 die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie veröffentlicht (Bundesregierung 2002). Auf regionaler und lokaler Ebene existieren seit 1992 weltweit eine Fülle von Lokalen Agenda 21-Initiativen.
Auch in der Wirtschaft hat das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung Fuß gefasst (Fussler 1999). Viele Unternehmen haben entsprechende Strategien und Geschäftsmodelle entwickelt und sich einem Unternehmensethos der Nachhaltigkeit verpflichtet. Zur internationalen Koordination wurde der World Business Council of Sustainable Development (WBCSD) gegründet. Gewerkschaften betonen die soziale Dimension der nachhaltigen Entwicklung und die zentrale Rolle der Arbeit sowie die Problematik der Chancengleichheit und der gerechten Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstandes.