Der „Nachtrag“ ist kein juristischer oder technischer Begriff. Er wird weder im BGB noch durch die VOB definiert. Trotzdem hat er in der Baubranche einen hohen Bekanntheitsgrad. Ein Nachtrag bezeichnet Leistungen, die nicht oder nicht in der ursprünglich vereinbarten Form zum Vertragsumfang gehören. Weicht die vertraglich vereinbarte Leistung, das „Bausoll“, von der tatsächlich erbrachten Leistung, dem „Bauist“, ab, kommt ein Nachtrag in Betracht. Die Art und der Umfang der Nachträge sind abhängig vom Vertragstyp und der damit verbundenen vertraglichen Verantwortung des Auftragnehmers.
Grundsätzlich trägt die Beweislast bei einer Nachtragsforderung immer derjenige, der sich auf die Änderungsanordnung und die Änderung der Preisgrundlage beruft. Dies ist in der Regel der Auftragnehmer.
Die vereinbarten Preise sind grundsätzlich Festpreise. Es ist aber zu beachten, dass diese Preise zwar fest sind, aber nur sowohl für die feste als auch bestimmte vertragliche Leistung. Es gibt deshalb die Möglichkeit, beim Einheitspreisvertrag sowie beim Pauschalvertrag die fest vereinbarten Preise nachträglich zu verändern. Dies ist in der Praxis häufig der Fall, da es im Laufe der Bauausführung oftmals zu den verschiedensten Änderungen des Leistungsinhaltes kommt. Die Ursachen für diese Änderungen sind meistens sehr unterschiedlicher Natur. So kann z.B. der Auftraggeber einseitige Anordnungen treffen, die eine Leistung verändern oder erweitern.[24] Ist der Betrieb des Auftragnehmers darauf eingerichtet, die Anordnungen auszuführen, ist er zur Ausführung verpflichtet, wenn es sich dabei um eine Leistung handelt, die zur Erfüllung der vertraglichen Leistungen erforderlich wird.[25]
Ferner können Mehrmengen auf Anordnung des AG bei der Durchführung einer Baumaßnahme entstehen. Hat der Auftragnehmer in diesem Fall keine Mengengarantie übernommen, stehen ihm für diese Mehrmengen entsprechende Mehrvergütungen zu.
Bei der Beurteilung von Nachtragsansprüchen sollte man in der Praxis immer ein gewisses „Fingerspitzengefühl“ beweisen. Oftmals führen Forderungen nach einer Änderung der Vergütung zu Streitigkeiten zwischen den Vertragspartnern. Das Verhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer wird dadurch oftmals sehr stark belastet. Um diese Streitigkeiten zu verhindern, ist es ratsam, stets sehr genau zu prüfen, ob ein Nachtrag an der gedachten Stelle berechtigt ist. Es ist zu hinterfragen, ob der Nachtrag vom Grunde her und in der Höhe gerechtfertigt ist. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu wissen, dass der AG ebenfalls eine Änderung der Vergütung und ggf. Minderkosten verlangen kann.
Die VOB/B kennt verschiedene Anspruchsgrundlagen für Nachträge und Vergütungsänderungen, die in diesem Kapitel erläutert werden. Die Vergütung wird in der VOB Teil B durch den § 2 geregelt. Ist ein auftretender Sachverhalt nicht im § 2 der VOB/B geregelt, kommt eine Änderung der Vergütung nur in Betracht, wenn die so genannte Opfergrenze überschritten wurde. D.h. wenn die ursprünglich vorgesehene Vergütung aufgrund veränderter Umstände in keinem vertretbaren Verhältnis zur Leistung steht. Man spricht dann vom Wegfall der Geschäftsgrundlage. Die Rechtssprechung stellt jedoch an ein Berufen auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage sehr strenge Anforderungen. So stellt etwa eine zwanzigprozentige Erhöhung des gesamten Leistungsaufwandes ohne Eingriff des AG bei einem Pauschalvertrag noch keinen Wegfall der Geschäftsgrundlage dar, da die Erhöhung sich noch immer im Risikobereich des AN befindet.
Eine ordnungsgemäße Dokumentation ist bei der Behandlung von Nachträgen unumgänglich. Die Anspruchsvoraussetzungen müssen im Streitfall nachweisbar dargelegt werden, um Bestand zu haben. Bei gerichtlichen Auseinandersetzungen gewinnt grundsätzlich nicht derjenige, der tatsächlich Recht hat, sondern derjenige, der seinen Standpunkt beweisen kann. Deshalb sollten die Standpunkte und Entscheidungen der Vertragspartner ordnungsgemäß dokumentiert werden. Im Falle einer Vergütungsänderung ist besonders auf die Nachweisbarkeit der Änderungsanordnung Wert zu legen. Bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung müssen die Voraussetzungen des Vergütungsanspruches bewiesen werden.
Eine schematische Übersicht über die Vergütung vertraglich nicht vorhergesehener Leistungen nach VOB/B gibt die Abbildung 2.
Abbildung 2: Vergütung vertraglich nicht vorhergesehener Leistungen nach VOB/B
§ 2 Nr. 3 VOB/B (Auszug aus der VOB 2002)
(1) Weicht die ausgeführte Menge der unter einem Einheitspreis erfassten Leistung oder Teilleistung um nicht mehr als 10 v.H. von dem im Vertrag vorgesehenen Umfang ab, so gilt der vertragliche Einheitspreis.
(2) Für die über 10 v.H. hinausgehende Überschreitung des Mengenansatzes ist auf Verlangen ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren.
(3) Bei einer über 10 v.H. hinausgehenden Unterschreitung des Mengenansatzes ist auf Verlangen der Einheitspreis für die tatsächlich ausgeführte Menge der Leistung oder Teilleistung zu erhöhen, soweit der Auftragnehmer nicht durch Erhöhung der Mengen bei anderen Ordnungszahlen (Positionen) oder in anderer Weise einen Ausgleich erhält. Die Erhöhung des Einheitspreises soll im Wesentlichen dem Mehrbetrag entsprechen, der sich durch Verteilung der Baustelleneinrichtungs- und Baustellengemeinkosten und der Allgemeinen Geschäftskosten auf die verringerte Menge ergibt. Die Umsatzsteuer wird entsprechend dem neuen Preis vergütet.
(4) Sind von der unter einem Einheitspreis erfassten Leistung oder Teilleistung andere Leistungen abhängig, für die eine Pauschalsumme vereinbart ist, so kann mit der Änderung des Einheitspreises auch eine angemessene Änderung der Pauschalsumme gefordert werden.
a) Grundsätzliches zum § 2 Nr. 3 VOB/B
Es gibt kaum Bauvorhaben, bei denen sich keine Mengenänderungen ergeben. Die Vergütung für Mehr- und Mindermengen nach den Regelungen des § 2 Nr. 3 VOB/B ist nur relevant für Aufträge, deren Leistung nach der tatsächlich erbrachten Menge abgerechnet wird. Die Menge wird, multipliziert mit dem Einheitspreis, vergütet. Die Regelung des § 2 Nr. 3 VOB/B gilt demnach nur für Einheitspreisverträge. Sie gibt den Vertragspartnern die Möglichkeit, den Einheitspreis zu ändern.
Voraussetzung für die Änderung des ursprünglich vereinbarten Einheitspreises ist eine Mengenänderung um mehr als 10 % bei unverändertem Leistungsziel. Die Leistungsmenge ist beim Einheitspreisvertrag variabel. Man geht davon aus, dass die Vordersätze beim Aufstellen eines Leistungsverzeichnisses nur überschlägig ermittelt werden. Ergeben sich beim Einheitspreisvertrag Mengenänderungen, so kann der § 2 Nr. 3 VOB/B angewendet.
Bei den Pauschalverträgen ist der § 2 Nr. 3 VOB/B nicht anwendbar. Er gilt nur für „automatische“ Mengenänderungen ohne Anordnung des Auftraggebers. D.h. der § 2 Nr. 3 VOB/B darf nur angewendet werden, wenn sich die Mengen ohne Änderung der Leistung ändern, beispielsweise durch ungenaue Mengenermittlung bei der Ausschreibung. Die Leistungsbeschreibung darf sich nicht ändern. Jede Abweichung der tatsächlichen Leistung von der vertraglichen Leistung in inhaltlicher Weise schließt die Anwendung des § 2 Nr. 3 VOB/B aus. Die Änderung des Leistungsinhaltes stellt eine Anordnung des Auftraggebers dar. Die Vergütungsänderung wird in diesem Fall durch die §§ 2 Nr. 5 oder Nr. 6 VOB/B geregelt.
Ebenfalls nicht dem Regelungsbereich vom § 2 Nr. 3 zugeordnet sind die Fälle, in denen sich Mengenänderungen durch den gesamten Wegfall von Positionen ergeben. Ebenso keinen Anspruch auf eine Änderung der Vergütung hat der AN, wenn er eigenmächtig die vom AG in Auftrag gegebene Leistung ändert.[26]
Die Regelungen des § 2 Nr. 3 VOB/B beruhen auf der Kenntnis, dass die Kalkulation des AN von einem bestimmten, durch das Leistungsverzeichnis umrissenen Rahmen des Leistungsumfangs bei den einzelnen Positionen ausgeht. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Kosten der Baustelleneinrichtung und die Baustellengemeinkosten sowie die allgemeinen Geschäftskosten auf die einzelnen Positionen umverteilt werden und so in den Einheitspreis einfließen. Deshalb liegt es auf der Hand, dass bei größeren Mengenänderungen die Kalkulation sowie die Umlegung der vorgenannten Kostenelemente auf die Einheitspreise nicht mehr stimmen kann. Bei spürbar größeren Mengen als in den Vordersätzen vorgesehen, würde der Auftragnehmer häufig unangemessen besser gestellt, während er bei erheblich kleineren Mengen Nachteile hinnehmen müsste.
Treten nach Vertragsabschluss Lohn- und Materialpreiserhöhungen auf, kann der AN diese...