Die hohe Kunst der guten Laune – wie man mit Nettigkeit besser durchs Leben kommt
Es ist der Tag der großen Let’s Dance-Mottoshow. Auch ohne Kaffee fühle ich mich hellwach, als ich durch das große helle Foyer der MMC Studios in Richtung Garderoben laufe. Denn heute geht es um die magic moments, die besonderen magischen Momente des Lebens. Die Glastür zum Flur, von dem alle wichtigen Räume abgehen – Catering, Künstlergarderoben, Maske –, ist gerade hinter mir ins Schloss gefallen, da läuft mir der Robert Beitsch über den Weg. Der Tänzer grinst, sobald er mich sieht. Sein Blick hat fast etwas Verschwörerisches und ich weiß auch, warum. Heute Abend werden zum ersten Mal in der Geschichte dieser Show zwei Männer miteinander tanzen: Robert und ich. Das finde ich super! »Ich freue mich schon!«, sage ich und klopfe meinem Tanzpartner auf die Schulter. Ich weiß, dass diese Show für ihn ganz besonders stressig ist, da er nicht nur mit mir, sondern auch mit Judith Williams eine Nummer tanzt – dementsprechend musste er in der vergangenen Woche doppelt proben. Auch jetzt wartet Judith bereits auf ihn. »Ich tanze bei ihr gleich den Krebs«, sagt Robert. Überrascht ziehe ich meine Augenbrauen hoch. »Ach so?« Unter einem magischen Moment stelle ich mir etwas anderes vor. Robert erklärt: »Judith hatte doch mal Krebs, deshalb komme ich bei der Nummer als Krebs aus der Kulisse gesprungen und falle sie an. Und sie befreit sich dann von mir.« Ich nicke freundlich und denke: Gut, wenn das ihr magic moment war. Ich fasse das anders auf.
Mein Tanzpartner hebt seine Hand. »Ich muss dann mal zur Probe!«, erklärt er, woraufhin ich mich umdrehe, um zu meiner Garderobe zu laufen, als Julia Dietze aus einer Tür tritt. »Sag mal, Julia, was machst du eigentlich heute?«, frage ich sie. Nachdem wir wochenlang nicht über unsere Tanzthemen gesprochen haben, bin ich nun doch neugierig. Sie sagt: »Ich tanze den Tod meiner Mutter. Zu Knockin’ On Heaven’s Door.« »Oh!«, sage ich betroffen und denke: Das gibt’s doch jetzt gar nicht! Warum sind bei denen denn die magic moments alle so traurig? Bin ich etwa der Einzige mit einem positiven magischen Moment?
Meine Idee war, an diesem Abend vorzutanzen, wie ich mit 17 auf einer Klassenparty dem ersten schwulen Jungen meines Lebens gegenüberstand. Damals musste ich wirklich all meinen Mut zusammennehmen – und meine ganzen Klassenkameraden haben natürlich geglotzt und getuschelt –, aber zumindest war die Katze dann endlich aus dem Sack. Ich weiß heute noch, wie mein ganzer Körper unter Strom stand. Das war magisch! Das, was ich von meinen Mittänzerinnen und -tänzern von der schillernden Let’s Dance-Lounge aus auf der Bühne verfolge, finde ich eher betrüblich. Ständig stirbt jemand oder irgendjemand war gestorben. Und ich sitze da in meinem bunten Pullunder mit Bundfaltenhose und Brillen-Kassengestell und sehe aus wie Jerry Lewis. Um es kurz zu machen: In dieser sonst so heiteren Show bricht plötzlich der Existenzialismus aus. Unter dem Motto »Magischer Moment« hat jeder Tanz – außer meinem – etwas Trauriges, in jedem Einspieler weint irgendwer, nur ich sehe aus wie mein 16-jähriges Ich, das zu Love Is In The Air eine heitere Teenage Opera tanzt. Es ist mal wieder überdeutlich: Ich fasse magic vollkommen anders auf als alle anderen im deutschen Fernsehen. Und wenn wir schon mal beim Thema sind: Mit der Unterhaltung ergeht es mir genauso. Vermutlich haben wir Deutschen wegen unseres permanenten Hangs zur Dramatik den Ruf im Ausland, dass wir Spaßverderber sind …
Nirgendwo auf der ganzen Welt wird gute Laune so kritisch beäugt wie bei uns. Das zeigt sich schon am Umgang der deutschen Presse mit mir als Entertainer. In jeder Kritik, solange ich denken kann, steht irgendetwas über mein Lachen drin, das – wenn ich Glück habe – positiv als »sympathischstes Lächeln im deutschen Fernsehen« beschrieben wird. Manchmal bin ich aber auch »der Dauergrinser«. Auf jeden Fall landen wir immer gleich auf der Wertungsebene. Warum eigentlich? Warum ist Lächeln per se nicht etwas Gutes? Warum kann man sich nicht einfach darüber freuen, wenn jemand nett und gut gelaunt durchs Leben geht? In Deutschland stehen Freundlichkeit und positives Denken, das sich unter anderem im Lachen oder Lächeln ausdrückt, immer gleich unter Generalverdacht: Eigentlich ist man ja ein dummer Mensch, ein unkritischer, einer, der das Leben nicht in seiner deutschen traurigen Tiefe anerkennt.
Wenn im Stadion bei Helene Fischer alle begeistert ihre Arme nach oben reißen, gerät Helene Fischer fast schon unter Faschismusverdacht, weil die denkenden Menschen meinen: Oh Gott! Ein volles Stadion, in dem alle im Rhythmus klatschen! Da heißt es dann sofort: »Das ist doch verdächtig!« Weil Menschen wie Helene nicht nur die Leichtigkeit befördern, sondern auch noch das unhinterfragte Mitklatschen. Je größer die Masse wird, desto stärker der Verdacht, dass wir irgendwie alle Hitler sind.
Sind wir aber nicht.
Wir haben einfach nur Spaß.
Natürlich ahne ich, wo dieser Vorwurf seinen Ursprung hat: Wir leben schließlich im Land der Dichter und Denker, sind das Land von Novalis sowie Xavier Naidoo und berühmt für die Romantik. Das war unsere Hauptexportzeit! Unser Caspar David Friedrich mit seinen düster-melancholischen Bildern von Einsamkeit und Tod. Wir sind nun einmal nicht bekannt für die Leichtigkeit des Rokokos oder die Lebenslust des Barocks, sondern für die Seele, die Innigkeit, die Tiefe, die Todessehnsucht. Wagner. Werther. Weltschmerz. Das sind wir.
Vermutlich musste ich genau deshalb mein ganzes Leben lang gegen Widerstände argumentieren. An der Uni, in der Presse, immer meldeten sich irgendwelche Leute, die mir das Lachen am liebsten verboten hätten und sagten: »Jetzt mach doch mal was Ernsthaftes!« Dabei habe ich Kunst mein ganzes Leben lang ernst genommen. Ich glaube nur nicht, dass Kunst immer schwer und bedrückend daherkommen muss, für mich kann Kunst auch hell, leicht und fröhlich sein – aber leider fällt das für die meisten anderen deutschen Kunstfachleute dann nicht mehr unter den Kunstbegriff …
Wir leben in dem einzigen Land, in der Kunst in E und U unterteilt wird, nur wir Deutschen dröseln ernste Kunst und Unterhaltung konsequent auseinander. Wer sich auf die U-Seite wagt und dabei noch freundlich ist, den trifft – neben dem Verdacht der Dummheit – garantiert der Vorwurf der amerikanischen Oberflächlichkeit. Auch da verstehe ich die Kritik nicht. Ich habe in Amerika gelernt, dass es den Alltag unglaublich erleichtert, wenn die Bäckereiverkäuferin nett ist. Ich will mit der nicht über das Leben und den Tod diskutieren, und es interessiert mich auch nicht, welche Gedichte sie schreibt. Sie soll halt sagen: »Have a nice day!« Und da sind wir bei nice. Nettigkeit ist in Amerika etwas absolut Positives, sie ist das Schmiermittel des Lebens, das dich dort den ganzen Tag begleitet. Das klappt! Dieses böse Sprichwort »Nett ist die kleine Schwester von Scheiße« ist rein deutsch. Das gibt es gar nicht übersetzt, kein Amerikaner würde je sagen: »Nice is the little sister of shit.«
In anderen Ländern weiß man die positive Kraft von »nett« zu schätzen. Hier glaubt man lieber an das Klischee vom traurigen Clown, weshalb auch diese Frage in fast jedem Interview kommt: »Sind Sie nicht eigentlich … privat ein sehr nachdenklicher Mensch?« Dann wehre ich mich immer mit Händen und Füßen dagegen, weil das so klingt, als ob man nur heiter sein dürfte, wenn man anschließend toddepressiv in der Garderobe oder besser noch an der Whiskeyflasche hängt. Aber ich muss alle Miesepeter, Grantler und grauen Herren – und es sind besonders oft Herren – enttäuschen: Meine sonnige Grundeinstellung und meine Überzeugung, dass wir alle gut miteinander umgehen sollten, sind fest in mir verankert. Herumzukritteln, dieses Halb-leere-Glas-Denken, ebendieser Grauschleier, den man hier gerne über alles drüberzieht – das alles ist mir völlig fremd. Ebenso das Ängstliche: »Oh Gott, ich schließe lieber noch ’ne Versicherung ab!« Also dieses Nicht-mutig- und Nicht-dankbar-Sein. Meine Feinde sind genau die, die behaupten: »Nett ist die kleine Schwester von Scheiße!« Denn: Wir brauchen die gute Laune, wir brauchen den netten Umgang und wir brauchen die Show. Ich glaube, dass wir auf der Bühne jeden Abend Harmonie stiften können.
Auch diese Einstellung ist vermutlich schon wieder verdächtig, zumal wir Rheinländer ja generell unter Harmoniesucht-Verdacht stehen, wobei ich immer sage: »Ich bin nicht harmoniesüchtig, ich bin harmoniefähig!« Und das ist ein Riesenunterschied. Für mich ist Harmonie ein Wert, den man anstreben sollte. Da komme ich her. Da kommt meine Familie her. So wurde ich erzogen. Ich finde, wir sollten uns über jedes Konfetti freuen und über jede Showtreppe, über jeden Gag, der ankommt, und über jedes Lied, das gesungen wird, weil wir Spaß genießen sollten! Leben ist halt manchmal bunt – und manchmal eben nicht. Es ist schön, aber auch mal nicht so schön. Umso mehr sollten wir doch die guten Momente feiern und aus Leichtigkeit, Freude, Spaß und Nettigkeit die Kraft schöpfen, mit dem Leben besser umzugehen. Was macht man denn, wenn man Liebeskummer hat? Hört man da Schönberg? Eher nicht! Man geht auch nicht in eine Anselm-Kiefer-Ausstellung, in der die Bilder fast nur grau in grau sind. Wahrscheinlich sitzt man da und hört eher...