I. Gottes Welt
Salz, Licht und Sauerteig
In drei plastischen Bildern verdeutlicht Jesus uns die Rolle des Christen in der Welt; es sind die Bilder vom Salz, vom Licht und vom Sauerteig.
»Ihr seid das Salz der Erde. Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen? Es taugt zu nichts mehr, es wird weggeworfen und von den Leuten zertreten«, heißt es in der Bergpredigt (Mt 5,13). Die wunderbare Fähigkeit des Salzes besteht darin, dass es der Speise zur Fülle des ihr eigenen Geschmacks verhilft, und zwar auf einem einzigen Weg, indem es selbst verschwindet und sich auflöst. Viele an sich gute Speisen bleiben geschmacklos und nicht selten ungenießbar, wenn das Salz fehlt. Genau das Gleiche ist aber auch dann der Fall, wenn das Salz sich wichtig macht und auffallen möchte; dann verdirbt es die Speise. Wir Christen sind das Salz der Erde.
»Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben« (Joh 8,12), sagt Jesus von dem Licht, das er in unser Leben hineinträgt. Und dann benutzt er dieselben Worte, um uns zu verdeutlichen, dass wir in seiner Nachfolge zum Licht für andere werden sollen: »Ihr seid das Licht der Welt« (Mt 5,14). Das gute, warme Licht blendet nicht; es ist nicht das blendende Leuchten des bengalischen Feuerwerks oder der Wunderkerze, das einen Augenblick fasziniert und Sekunden später die Augen in noch größerer Finsternis zurücklässt. Das gute Licht tut gut. Es ermöglicht die Orientierung und das Wahr-nehmen der Umwelt und der Menschen; es gibt Sicherheit und macht den eigenen Lebensraum hell, angstfrei und einladend. Das Licht ist – wie das Salz – ganz dienend und möglichst anspruchslos. Und doch »soll euer Licht vor den Menschen leuchten« (Mt 5,15). Der Christ ist kein Blender, kein Gernegroß, der sich wichtig nimmt und sich ständig in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und der Gespräche zu stellen versucht. Aber ebenso wenig darf er den Gerneklein spielen, der sich wegduckt und die Talente und Möglichkeiten, die Gott ihm anvertraut hat, vergräbt, das Licht unter den Scheffel stellt. Die Gottesgaben der Glaubensfreude und eines gelungenen, liebenswerten Lebens sollen nach Christi Willen in die Welt hineinstrahlen und diese konkrete Welt, in die Gott mich gestellt hat, ein wenig heller und wärmer machen. Das Licht gehört »auf den Leuchter; dann leuchtet es allen im Haus«. Die hohe Kunst der Demut besteht darin, dass wir uns einerseits durchaus gut, beispielgebend und gewinnend verhalten sollen, aber uns gleichzeitig jederzeit bewusst bleiben, dass allein Gott der Urheber des Hellen, des Schönen und des Guten ist, nicht wir. Nicht uns sollen die Menschen bewundern und loben, wenn sie unsere »guten Werke sehen«; sie sollen allein den »Vater im Himmel preisen« (Mt 5,16).
Das Gleiche veranschaulicht auch das dritte Bild des Herrn: das von der Hefe, vom Sauerteig. »Mit dem Himmelreich ist es wie mit dem Sauerteig, den eine Frau unter einen großen Trog Mehl mischte, bis das Ganze durchsäuert war« (Mt 13,33). Der Sauerteig macht – wie das Salz – nur dann und in dem Maße Sinn, wie er sich ganz in die Teigmasse hineingibt, ja in ihr aufgeht. Dann allein erfüllt er seine Aufgabe. Sich in Elfenbeintürmen und Ökonischen abzukapseln, wo der raue Wind des Widerspruchs nicht weht und eine abgeschirmte, keimfreie Atmosphäre herrscht, die jede Infektionsgefahr durch die Welt ausschließt, das ist definitiv nicht der Lebensraum, den Jesus Christus den Christen zugewiesen hat. Vermutlich stellt es einen der größten Lacherfolge der Hölle dar, wenn es dem Teufel gelingt, die Hefe in Plastiksäckchen zu verpacken und sie davon zu überzeugen, dass ihr christliches Zeugnis darin besteht, auf der Verpackung – aber bitte deutlich lesbar – das Schild anzubringen: »Echter Sauerteig, bester Qualität«. Dann hätte der »Vater der Lüge« (Joh 8,44) eine entscheidende Schlacht gewonnen. »Ist die Hefe von sich aus besser als der Teig? Sicher nicht. Und doch ist sie das Mittel dafür, dass der Teig gerät und zu essbarer, gesunder Nahrung wird …
Denkt aber nicht, dieses Bemühen wäre nur eine ornamentale Verzierung, die zu dem eigentlichen Christsein hinzukäme. Wenn der Sauerteig nicht in Gärung gerät, verfault er. Er kann sich dadurch auflösen, dass er den Teig aufgehen lässt, aber auch dadurch, dass er sich in Nutzlosigkeit und Egoismus verliert. Denken wir nur nicht, wir erwiesen Gott einen Gefallen, wenn wir Ihn den Menschen bekannt machen: ›Von der Verkündigung des Evangeliums bleibt mir kein Ruhm. Es ist meine Pflicht‹, als ein Auftrag Jesu Christi: ›Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkündigte!‹ (1 Kor 9,16)« (hl. Josemaría, Freunde Gottes (FG), Nr. 257 f.).
Der Herr will sich unser bedienen, »damit wir – ganz in Gott verankert – an allen Wegekreuzungen dieser Welt Salz, Sauerteig und Licht sein können«, schreibt der heilige Josemaría. »Sei du ganz in Gott – und du wirst die anderen erleuchten, in ihnen Geschmack am Ewigen wecken, sie zum Wachsen bringen, sie innerlich verwandeln. Vergiss aber nie, dass wir dieses Licht nicht hervorbringen, sondern nur widerspiegeln. Nicht wir sind es, die die Seelen retten«, wir sind nichts als Werkzeuge. »Bildeten wir uns je ein, dass das Gute, das wir tun, unser Werk sei, dann … würde das Salz schal werden, der Sauerteig faulen, das Licht sich verfinstern« (FG 250).
Zweitursachen
»Erschienen ist uns die Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Retters« (Tit 3,4). »Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht« (Joh 1,18).
Die unausdenkbare Art, uns die Liebe, die Nähe – das Antlitz – Gottes erfahrbar zu machen, ist die Menschwerdung, ist Jesus Christus: perfectus deus, perfectus homo – vollkommener Gott und vollkommener Mensch. Und die wohl schönste Zusammenfassung des Menschseins Jesu ist seine einzigartige Menschlichkeit im Zugehen auf die Menschen: der liebevolle Blick, der warmherzige, vertrauensvolle Umgang mit jedem Einzelnen, mit dem er zusammentrifft. Das Evangelium vermittelt immer den Eindruck, dass für Jesus der wichtigste Mensch auf der Welt derjenige ist, der jetzt gerade vor ihm steht. So gehören zu den bewegendsten Passagen des Evangeliums jene Szenen, in denen Jesus – scheinbar rein zufällig – einzelnen Menschen begegnet: der Mutter von Nain, der Sünderin Maria von Magdala, dem Hauptmann von Kafarnaum, der Syrophönizierin, dem Blindgeborenen, dem Gelähmten vom Betesdateich, dem Zöllner Zachäus, den zehn Aussätzigen, dem Blinden von Jericho … Diese kleinen Begebenheiten enthalten, zusammen mit dem Gleichnis vom verlorenen Sohn, die vielleicht tiefste und nachhaltigste Offenbarung Jesu, in der er uns deutlich macht: So ist euer Gott, so liebt er euch. In der Begegnung mit Jesus werden Menschen gesund, werden getröstet, wissen sich angenommen und können sich annehmen: Sie können Ja sagen zu sich selbst, zu ihrem Leben und zu ihrer Berufung.
Und Jesus sorgt dafür, dass die so menschliche Art Gottes, zum Menschen zu kommen, in der Kirche weitergeht. Das Durch-Menschen-zum-Menschen-Kommen Gottes ist fast wie die Fortsetzung seiner Inkarnation, seiner Jahre hier auf Erden. Bereits zu Lebzeiten schickt Jesus seine Jünger »in alle Städte und Orte, in die er selbst kommen will« (vgl. Lk 10,1), und dann verspricht er ihnen: »wer euch hört, hört mich … ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Lk 10,16; Mt 28,20). Wer Jesus, bei aller Schwäche, ehrlich zu lieben und ihm nachzufolgen versucht, dem vertraut der Herr das Kostbarste an, was er auf Erden besitzt, seine Brüder und Schwestern, für die er sein Leben hingegeben hat. Jesus sagt ihm wie dem Petrus: Sei jetzt du, in meinem Auftrag und an meiner Stelle, »der gute Hirt« für diese »meine Schafe« (vgl. Joh 10,11 ff.; Joh 21,16). Besonders vom Pfingsttag an haben die Apostel diesen Auftrag wahrgenommen, und zwar so echt und überzeugend, dass die Menschen »sich mitten ins Herz getroffen« fühlen und diese armen galiläischen Fischer vertrauensvoll fragen: »Brüder, was sollen wir tun?« Die, die noch wenige Wochen zuvor geschrieen haben: »Ans Kreuz mit ihm!«, bekehren sich, lassen sich auf den Namen Jesu taufen und wagen einen radikalen Neubeginn ihres Lebens (vgl. Apg 2,37).
Am Anfang der Kirche gibt es – im Feuer des Heiligen Geistes – die großen Predigten, die vielen Taufen und Bekehrungen, aber zugleich ist da immer die persönliche Sorge um jeden Einzelnen. An vielen Stellen der Apostelgeschichte und der Paulusbriefe wird deutlich, dass viele Bekehrungen in der Urkirche durch diese höchst persönliche Begegnung mit diesem konkreten Jünger des Herrn geschehen. Immer wieder benutzt Jesus – wie der heilige Josemaría zu sagen pflegte – seine Jünger quasi als...