Einleitung
Diogenes war ein griechischer Philosoph der Antike, der in einem Fass lebte. Er hatte einen berühmten Zeitgenossen und Bewunderer: Alexander der Große. Alexander hatte das größte bis dahin existierende Reich erobert, war unumstrittener Herrscher fast über die ganze damals bekannte Welt und hatte Macht über alles im Staat. Obwohl Alexander sich als Nachfahre der Götter sah, hegte er eine große Bewunderung für Diogenes, den Philosophen, der in äußerster Bescheidenheit lebte. Die Bewunderung war allerdings nicht wechselseitig. Eines Tages kam Alexander zu Diogenes und sagte selbstherrlich zu ihm: »Diogenes, nenne mir irgendeinen Wunsch, egal, was es ist, ich werde ihn dir erfüllen.« Darauf sagte Diogenes zu Alexander dem Großen: »Geh mir aus der Sonne.«
Das ist eine Erwiderung, von der wir uns wünschen, sie wäre uns selbst eingefallen. Geistreich, doppeldeutig, mit einem versteckten Hieb. Das ist Schlagfertigkeit in Reinkultur.
Dieses Buch beschäftigt sich mit der Schlagfertigkeit unter dem Aspekt der Nachahmbarkeit. Philosophische Antworten wie die von Diogenes lassen sich nicht schematisieren. Aber ich stelle Ihnen genügend Reaktionsmuster vor, damit Sie nie wieder um eine wirksame Antwort verlegen zu sein brauchen.
Viele Menschen haben das Problem, dass sie in einer Situation, in der sie sich ungerechtfertigt angegriffen fühlen, sprachlos bleiben. Und erst Stunden später fällt ihnen ein, welchen brillanten Satz sie in dieser Situation hätten erwidern können.
Meine Nichte Michaela finanziert ihr Studium mit Nebenjobs. Eines Tages wurde sie engagiert, um bei einer Vernissage zu servieren. Andreas, ein weitläufiger Bekannter von ihr, war ebenfalls von der Veranstalterin engagiert, um Fotos zu machen. Er gehörte zu jener Art von Menschen, die sich zwar gerne zur Schicki-Gesellschaft dazuzählen, aber in Wahrheit immer nur am äußeren Kreis der Society dahindümpeln.
Irgendwann, während die Gäste die Bilder anschauten, ging er auf Michaela zu, musterte sie von oben bis unten und grinste verspannt: »Du siehst professionell aus. Aber ein kleiner Tipp: Du wirst hier bezahlt, um zu lächeln. Hast du mich verstanden?« Dann schlenderte er betont lässig weiter.
Als Michaela bewusst wurde, dass sie spontan etwas hätte erwidern müssen, war er schon außer Hörweite. Wut kam hoch: »Was bildet sich der eigentlich ein? Er ist genauso von der Gastgeberin engagiert wie ich. Der hat mir absolut nichts zu sagen. Und dann noch so von oben herab.«
Sie können sich sicher vorstellen, wie sich Michaela danach das Hirn zermartert hat, was sie am besten hätte erwidern sollen.
Jeder hat solch hilflose Wut schon einmal erlebt. Mit der richtigen Strategie und der richtigen Grundeinstellung gelingt es in solchen Situationen, schnell zu reagieren. Nicht in 100 Prozent aller Fälle, aber wesentlich häufiger, als wenn man ohne Strategie in die Situation geht.
Die zwei Grundformen der Schlagfertigkeit
Im Bayerischen Fernsehen gab es eine Talkshow mit Ottfried Fischer, genannt Ottis Schlachthof. Eines Tages war die Kabarettistin Hertha Schwätzig bei ihm zu Gast; Hertha Schwätzig kommt aus der emanzipierten Frauenszene. Nun saß sie inmitten einer Talkrunde von vier Männern. Ottfried Fischer sagte während des Interviews zu Hertha: »Mir ist aufgefallen, dass Frauen, die feministisches Kabarett machen, großen Mut zur Hässlichkeit haben.« Darauf erwiderte Hertha Schwätzig: »Also, wenn du damit sagen willst, dass Emanzen immer hässlich sind, dann säße ich ja mit lauter Emanzen am Tisch!«
Das war eine schlagfertige Antwort. Hertha Schwätzig hat im Gegensatz zu meiner Nichte direkt reagiert. Da wird jemand angegriffen, der lässt sich aber nicht unterkriegen und kontert sofort. Das ist die erste Bedeutung des Wortes Schlagfertigkeit in der deutschen Sprache. Ich nenne sie die »Erwiderungsfertigkeit«.
Schauen wir uns aber die drei nachfolgenden Beispiele an:
- •Herr Brunner läuft mit großer Eile auf eine Bürotür zu. Er kann nicht wissen, dass von der anderen Seite ebenfalls jemand im gleichen Tempo auf dieselbe Tür zustürmt. Herr Brunner reißt die Tür auf und steht völlig überrascht dem anderen gegenüber. Der erschreckt: »Oh, mein Gott!« Herr Brunner erwidert: »Sie können auch Brunner zu mir sagen.«
- •Da sagt ein Mann mit kleiner Körpergröße: »… und das sag ich dem Chef geradewegs ins Gesicht.« Sein Kollege fügt hinzu: »Ich heb dich dann hoch.«
- •Eine Kandidatin bei Thomas Gottschalks Hausparty sollte gebratene Kakerlaken essen. Die Arme versuchte sich herauszureden: »Ich hab keinen Hunger, ich hab gerade Buletten und Kartoffelsalat gegessen.« Darauf Gottschalk: »Wenn du die wieder sehen willst, dann iss.«
Diese drei Beispiele repräsentieren Situationswitze.
Und damit haben Sie die zweite Bedeutung des Wortes Schlagfertigkeit. Schlagfertigkeit ist auch die Fähigkeit, aus einer Gegebenheit heraus spontan einen Witz zu machen. In diesem Buch wird sie »Witzfertigkeit« genannt. Die bekanntesten TV-Exponenten dieser Art der Schlagfertigkeit heißen Harald Schmidt, Stefan Raab, Oliver Pocher und Thomas Gottschalk.
Schlagfertigkeit gibt es also in zwei Varianten. Zum einen: sich gegen eine Verbalattacke geistreich zu verteidigen, und zum anderen: spontan eine witzige Bemerkung aus der Situation heraus zu machen. Zusammenfassend definiere ich Schlagfertigkeit wie folgt:
Schlagfertigkeit ist das schnelle, unerwartete sprachliche Reagieren auf unvorhergesehene Situationen.
Dieses Buch beschäftigt sich mit beiden Aspekten der Schlagfertigkeit: mit der Erwiderungsfertigkeit und der Witzfertigkeit
Das Wort Schlagfertigkeit in anderen Sprachen
Wenn wir uns das Wort Schlagfertigkeit in anderen Sprachen anschauen, so sieht es dort ähnlich wie im Deutschen aus. Das am meisten gebräuchliche Wort im Englischen ist »wit«. Es wird meist im Zusammenhang mit einem Adjektiv gebraucht. Clever wit, ready wit oder quick wit. Wie im Deutschen wird es auch im englischen Sprachgebrauch in beiderlei Sinn verwendet. Zum einen versteht man darunter das spontane Reagieren auf einen Angriff und zum anderen die Fähigkeit, in jeder Situation eine witzige Bemerkung zu machen. Der Wortursprung im Englischen legt den Schwerpunkt auf den Aspekt des Witzigen. Das Wort »wit« heißt eigentlich Witz.
Umgekehrt verhält es sich im Französischen. Dort sind zwei Ausdrücke gebräuchlich: »la promptitude de repartie« und »la promptitude de riposte«. Auch hier sind im Sprachgebrauch zwar wieder die beiden bekannten Bedeutungen des Wortes Schlagfertigkeit mit eingeschlossen. Aber der Wortursprung von »la repartie« oder »la riposte« umfasst im Gegensatz zum Englischen das Wortfeld »zurückgeben, entgegnen, erwidern«. Also nicht den Aspekt des Witzes.
Bei den Franzosen gibt es auch noch einen weiteren Ausdruck, der allerdings mehr in der Umgangssprache zu Hause ist: »répondre du tac au tac.« Auch dieser Ausdruck stammt aus der Wortwurzel »entgegnen«. Das Wort »du tac au tac« lässt sich mit »Degenklirren« übersetzen. Es braucht kein Sprachstudium, um zu erkennen, welches Bild dieser Art der Schlagfertigkeit zugrunde liegt.
Beiden Sprachen gemeinsam ist die Verquickung mit »Schnelligkeit«. »La promptitude« und »quick« signalisieren, dass hier schnell reagiert werden muss.
Wenn wir uns schließlich den Begriff »Schlagfertigkeit« vom Wortursprung im Deutschen anschauen, so klingt es brutal. Schlag-Fertigkeit. Hier wird gleich geschlagen. Gemeint ist wohl im Ursprung auch das Zurückschlagen. Die zweite Komponente des Wortes heißt »Fertigkeit«. Fertigkeiten wie Klavierspielen, Schwimmen oder Autofahren kann man lernen, warum sollte das bei der Schlagfertigkeit anders sein?
Natürlich hängt das auch ein wenig vom Talent ab. Wenn Sie Talent mitbringen, werden Sie ein höheres Schlagfertigkeitsniveau erreichen, als wenn Sie kein Talent mitbringen. Das ist wie beim Autofahren. Nicht jeder hat das Zeug zur Formel 1, aber Autofahren kann jeder lernen. Zumindest jeder, der bereit ist, Energie dafür aufzuwenden.
Schlagfertige Antworten wirken gesprochen immer besser als geschrieben
Am Ende eines Abendkurses, den ich über Schlagfertigkeit gegeben hatte, saßen wir noch mit allen Teilnehmern in einer Kneipe. Es gab nur einen einzigen Raucher in der Runde. Der steckte sich am Ende des Kurses natürlich seine verdiente Zigarette an. Plötzlich giftete ihn ein Nichtraucher scherzhaft an: »Ab nächstem Jahr werden alle Raucher erschossen.« Der angegriffene Raucher gab eine kurze, bündige Antwort, worauf alle in schallendes Gelächter ausbrachen. Sie interessiert sicherlich, was er geantwortet hat. Er sagte: »Dann müsst ihr alle höhere Steuern zahlen.« Vielleicht finden Sie diese Antwort gar nicht so genial.
Ich möchte Sie hier auf ein Problem bei schlagfertigen Antworten aufmerksam machen. Eine niedergeschriebene schlagfertige Antwort wirkt nicht immer genauso gut wie diejenige, die in der echten Situation gesprochen wurde. Das habe ich bei der Beschäftigung mit diesem Thema lernen müssen. Selbst erlebte oder im Fernsehen aufgezeichnete Repliken verlieren ihre Brillanz, wenn sie nur auf einem Blatt Papier zu lesen sind. Trotzdem hatten sie in der Situation ihre schlagfertige Wirkung.
Wenn Sie selbst witzige Antworten aufschreiben...