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Nie mehr Fleisch!

Die Ernährungsgeschichte des Menschen und die Folgen einer vegetarischen Ernährung

AutorAnne Ideler, Eveline Otte im Kampe, Johanna Föllmer, Manuela Gruber, Stephanie Traichel
VerlagScience Factory
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl226 Seiten
ISBN9783656487975
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Ob aus ethischen, gesundheitlichen oder religiösen Gründen - viele Menschen ernähren sich vegetarisch. Die einen konsequent und dauerhaft, die anderen nur episodenweise. Aber wie stellt sich diese Ernährungsweise in der Geschichte dar und wie sehen mögliche Folgeerscheinungen aus? In diesem Buch wird auf die Ernährungsgeschichte des Menschen und die Geschichte des Vegetarismus eingegangen. Außerdem werden Folgen einer fleischlosen Ernährung diskutiert. Aus dem Inhalt: Ernährungsgeschichte des Menschen, Beweggründe, Vegetarier zu werden, Tierschutz, Hämoglobinwert, Geschichte des Vegetarismus.

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Leseprobe

Die Geschichte des Vegetarismus


Über lange Zeit hinweg ernährte sich die Mehrheit der Menschen aufgrund des vorhandenen Nahrungsangebotes überwiegend vegetarisch. Die Idee vom Vegetarismus als Lebens- und Ernährungsweise ist also keinesfalls eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Der Grundstein für eine vegetarische Lebensweise als Weltanschauung, mit den damit verbundenen ethisch-philosophischen Überlegungen, wurde in der Antike, insbesondere im alten Griechenland gelegt.

 

Es ist hier nicht möglich, die gesamte Geschichte des Vegetarismus darzustellen, da sie sehr umfangreich ist. Nachfolgend werden zwei für die Entwicklung der vegetarischen Ernährung besonders wichtige Epochen näher erläutert: der Vegetarismus und seine Wurzeln im antiken Griechenland zu Zeiten von Pythagoras im 6. Jahrhundert v. Chr. und die moderne vegetarische Bewegung im 19. und 20. Jahrhundert.

 

Die ersten Vegetarier in der Antike

Während Fleisch in der Antike nur von reicheren Menschen verzehrt wurde, ernährten sich das griechische und das römische Volk vorwiegend von pflanzlicher Kost wie Getreide, Gemüse und Obst. Trotzdem waren zu dieser Zeit Tierkämpfe und Hetzjagden gesellschaftlich sehr angesehen. Für das griechische Volk spielten Tieropfer eine große Rolle. Das Töten von Tieren und der Fleischverzehr hatten große Bedeutung in Zusammenhang mit Bräuchen. Wer Fleischkonsum ablehnte, verschloss sich dadurch den Höhepunkten des festlichen Lebens und hob sich bewusst als Außenseiter vom Rest der Gesellschaft ab.[12]

 

Eine Ablehnung der Tieropfer und des anschließend zelebrierten Fleischmahls in der griechisch-antiken Gesellschaft kam einer religiösen Revolution gleich und hatte eine radikale Selbstausgrenzung aus der Gesellschaft zur Folge.[13]

 

Die ersten Berichte des antiken Vegetarismus lieferte eine Gemeinschaft mit religiösem Hintergrund im 6. Jahrhundert v. Chr.: die Gruppe der Orphiker, eine religiöse Sekte. Diese Lebensweise wurde durch Platon (Philosoph, Griechenland, 427-347 v. Chr.) überliefert. Orphiker lehnten die blutigen Tieropferkulte und die religiösen Opferfeiern der Griechen ab. Durch ihren Wunsch der „Befreiung der Seele“ traten sie für Askese und Enthaltsamkeit ein und vermieden Fleisch, Eier und sogar Wolle. „Die Orphiker waren der Ansicht, die Seele sei wegen einer früheren Schuld im Körper wie in einem Grab eingeschlossen und müsse sich durch Reinigung so gut wie möglich von dieser Schuld lösen, um ein seelisches Dasein zu gewinnen. Deshalb verzichteten sie auf Fleischgenuss und lehnten Tieropfer ab.“[14]

 

Viele Argumente für eine fleischlose Ernährung, die heute noch Gültigkeit haben, existierten auch in der Antike. Zunächst hatte die vegetarische Ernährung aber vorrangig religiös motivierte Wurzeln. Der religiöse Vegetarismus der Orphiker wurde anschließend von Pythagoras (Philosoph, um 570 bis um 500 v. Chr.) als Begründer des ethischen Vegetarismus mit eindeutig religiösen Wurzeln aufgegriffen.

 

Abb. 2: Pythagoras von Samos[15]

 

„Wer mit dem Messer die Kehle eines Rindes durchtrennt, der ist vom Verbrechen nicht weit entfernt“, oder „Alles, was der Mensch den Tieren antut, kommt auf den Menschen zurück,“ so Pythagoras, der bis heute als Begründer des europäischen Vegetarismus gilt. Viele Jahrhunderte lang nannte man die Personen, die kein Fleisch verzehrten, auch nicht Vegetarier sondern Pythagoreer.[16]

 

Der von Pythagoras propagierte Vegetarismus ist gut belegt und geht einerseits auf das Motiv der sogenannten Seelenlehre bzw. Seelenwanderung zurück, wo die Seele des Menschen nach seinem Tod auch in einen Tierkörper eingehen kann. Das Schlachten von Lebewesen würde also bedeuten, dass man mit dem Opfertier möglicherweise einen Artgenossen oder sogar einen nahen Verwandten verzehren würde. Deshalb wurde Fleisch von Pythagoras und seinen Anhängern und Schülern, den sogenannten Pythagoreern strikt abgelehnt. Andererseits hatte unter Pythagoras auch das Motiv der Tierschonung und somit ethische Hintergründe Bedeutung in der vegetarischen Lebensweise. Der Verzehr von Eiern sowie das Tragen von Kleidung aus Wolle waren den Pythagoreern strengstens verboten. Die „pythagoreische Diät“ bestand aus Brot, Honig, Getreide, Früchten und Gemüse. Die Geschichte des Vegetarismus ist besonders stark durch das Pythagoreertum und seine Verhaltens- und Speisevorschriften geprägt. Trotzdem ist es wichtig hervorzuheben, dass es sich um eine freiwillig gewählte Lebensweise handelt, die in der antiken Gesellschaft eine Ausnahme war. Somit waren die sogenannten Pythagoreer auch eine soziale Randgruppe.[17]

 

Vegetarier galten einst in der Gesellschaft als Außenseiter. Heute ist die Entscheidung für eine vegetarische Ernährungsweise zwar nicht mehr mit gesellschaftlicher Isolation verbunden, trotzdem wird ein Vegetarier oft mit Akzeptanzproblemen konfrontiert. Wie in Zeiten Pythagoras sind Vegetarier heutzutage noch immer eine soziale Randgruppe, nachdem der fleischlose Essstil ausschließlich von einer Minderheit gewählt wird. Vegetarismus ist nach wie vor ein großes Thema in der Gesellschaft, das in vielen Situationen (z. B. Weihnachtsessen, Grillparty, usw.) ein besonders starkes Selbstbewusstsein des Betroffenen erfordert, nachdem dieser seine gewählte fleischlose Ernährungsweise gegenüber „Nicht-Vegetariern“ rechtfertigen und begründen muss.

 

Jedoch wird die vegetarische Ernährung in der heutigen Gesellschaft nicht nur immer mehr akzeptiert, sondern gilt mittlerweile als vorbildlich und sogar erstrebenswert. Die Ernährungsweise des Vegetarismus und seine ernährungssoziologischen Aspekte werden später ausführlich erläutert.

 

Der Verzicht auf Fleisch in der Antike zur Zeit von Pythagoras war nicht nur eine Entscheidung aus persönlichen Gründen, auf der Grundlage religiöser und/oder ethischer Motive, sondern auch ein Zeichen gegen die herrschende Politik. Die Anhänger Pythagoras protestierten gegen die staatlichen Opfermahle, bei denen Tiere geschlachtet und den Anwesenden je nach sozialem Status Fleischstücke zugeteilt wurden. Indem die Pythagoreer das Fleisch verweigerten, dass ihnen zugesprochen wurde, zeigten sie deutlich und öffentlich, dass sie den sozialen Status, der im Rahmen der Opfermahlzeremonien bestätigt wurde, nicht akzeptierten. Somit war die vegetarische Lebensweise der Pythagoreer viel komplexer und inkludierte nicht nur den fleischlosen Lebensstil. Vielmehr war dieser Essensstil auch eine Positionierung innerhalb der Gesellschaftssysteme – insbesondere zur einflussreichen Politik und zur Religion. Diese kritische Stellung der Pythagoreer wurde im Rahmen der Nichtteilnahme an den staatlichen Opfermahlzeiten sichtbar.[18]

 

Auch in der heutigen Zeit hat die persönliche Entscheidung, sich vegetarisch zu ernähren, unterschiedliche und oft sehr individuelle Motive, die nicht nur das Etikett „vegetarisch“ vermuten lassen. Dieser fleischlose Ess- und Lebensstil, der von vielen mit gesunder Ernährung in Zusammenhang gebracht wird, bedeutet oft auch aktiv ein (politisches) Zeichen gegen z.B. Massentierhaltung, Klimawandel, Umweltskandale oder auch Dioxin im Tierfutter zu setzen. Somit können auch hier Parallelen zu den Anfängen des Vegetarismus während Pythagoras im Sinne der politischen Aktivität gezogen werden.

 

Der Vegetarismus im 19. und 20. Jahrhundert

Die von Pythagoras geprägte Lebens- und Ernährungsweise betonte über Jahrtausende die vegetarische Lebensweise. Erst im 19. Jahrhundert erlebte die alternative und fleischlose Ernährungsweise eine neue Blütezeit und der Begriff der Pythagoreer wurde vom Begriff des Vegetariers verdrängt bzw. abgelöst.

 

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts – im Zeitalter der Industrialisierung – war eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft zu beobachten. Soziale Missstände, Luftverschmutzung, harte Arbeitsbedingungen in Fabriken und die daraus hervorgerufenen gesundheitlichen Belastungen der Menschen forcierten eine neue Bewegung. Um 1890 entstand die Lebensreformbewegung, die vor allem aus dem mittelständischen Bildungsbürgertum kam. Sie wollten ihr Leben reformieren, indem sie einen natürlichen und gesunden Lebensstil verfolgten.[19]

 

Die Lebensreform war nicht nur auf eine vegetarische Ernährung fokussiert, sondern bestand aus vielen Einzelbestrebungen wie Naturheilbewegung, Antialkoholbewegung, Gartenstadtbewegung, Freikörper-kulturbewegung (FKK), Reformpädagogik, usw. Neben der Naturheilkunde war die vegetarische Bewegung unter dem Motto „Zurück zur Natur“ oder „Natürlichkeit, Verzicht und Gesundheit“ die treibende Kraft.[20]

 

Der damalige Leitsatz stammte vom wichtigsten deutschen Wegbereiter des Vegetarismus Gustav von Struve (1805 – 1870): „Der Mensch soll so einfach als möglich leben, denn Einfachheit ist die Grundlage allen sittlichen,...

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