Fall 5: Auflage Waldumbau und Ersatzaufforstung
Sachverhalt: Biobauer B (Betriebsfläche 30 ha) möchte auf einem ihm gehörenden Grundstück im Solling 1 ha Wald roden, um naturnah Kräuter anzubauen. Die Fläche ist mit ca. 180-jährigen Buchen bestockt.
Für die genehmigungspflichtige Waldumwandlung beantragt er eine Genehmigung beim zuständigen LRA. Das Verwaltungsverfahren wird verfahrens- und formgerecht durchgeführt. Öffentlich-rechtliche Belange und Vorschriften stehen dem Vorhaben sonst nicht entgegen.
Das LRA erteilt die Genehmigung, aber weil der Buchenbestand wegen seines Alters, insb. bzgl. seiner (Arten-)Schutzfunktion „quasi unersetzlich“ sei, mit folgenden Auflagen:
- B muss eine Ersatzaufforstung im Umfang von 1,5 ha vornehmen, und
- weitere 6 ha Fichten-Altholz mit Buche und Eiche als Voranbau unterbauen.
B hält das für völlig überzogen. Die Ersatzaufforstung könne er ja noch nachvollziehen, aber die Umbauauflage sei viel zu weitgehend. Unter diesen Umständen könne er sich das ganze Vorhaben nicht leisten. Im Übrigen könne er doch nichts dazu, dass die Buchen so alt und „wertvoll“ seien. Wenn er das gewusst hätte, hätte er längst schon mal alle seine alten Buchen zu Brennholz verarbeitet.
Frage: Ist die Genehmigung rechtmäßig?
Bearbeitervermerk: Es sind nur waldrechtliche Aspekte zu prüfen.
Vorüberlegungen
Es gibt leider nichts zu beschönigen: Dies ist ein schwerer Fall! Das Problem liegt auf der Hand: Sind beide Auflagen rechtmäßig? Hier wird insb. zu prüfen sein, ob die Genehmigung wegen beider oder einer Auflage unverhältnismäßig ist.
Juristen streiten sich seit Jahr und Tag über das Wesen der Auflagen.8 Dies braucht uns in diesem Rahmen nicht sonderlich zu interessieren, die Frage ist nur, wie wir die Prüfung aufbauen, insb. die diesbezügliche Ermessensprüfung. Beide Auflagen zusammen oder getrennt? Juristen sagen, vom Prozessualen her denkend, dass Auflagen dann getrennt betrachtet und (gerichtlich) überprüft werden können, wenn der Verwaltungsakt (hier die Genehmigung) auch ohne die Auflage „in sinnvoller und rechtmäßiger Weise bestehen bleiben kann.“9
Ein Blick auf die Vorschrift, um die es hier geht, mag dabei weiterhelfen. § 8 IV NWaldLG lautet:
Eine Waldumwandlung soll nur mit der Auflage einer Ersatzaufforstung genehmigt werden, die den in § 1 Nr. 1 genannten Waldfunktionen entspricht, mindestens jedoch den gleichen Flächenumfang hat. Das Alter des Waldbestandes der umzuwandelnden Fläche bleibt dabei unberücksichtigt. Die Genehmigung kann im Ausnahmefall auch mit der Auflage versehen werden, andere waldbauliche Maßnahmen zur Stärkung des Naturhaushalts durchzuführen. (…)
Wir sehen also: Die Waldumwandlung darf nur („soll“ = „muss“, es sei denn, ein atypischer Sachverhalt erfordert eine Ausnahme10) mit der Auflage der Ersatzaufforstung genehmigt werden. Sie kann rechtmäßiger Weise nicht von ihr getrennt werden (a.A. evtl. vertretbar). Die Waldumbauauflage (Maßnahme zur Stärkung des Naturhaushalts) hingegen „kann“ im Ausnahmefall auferlegt werden. Sie kann nach hier vertretener Ansicht von der Waldumwandlungsgenehmigung getrennt und mithin auch getrennt geprüft werden. Diese Sichtweise bringt außerdem den Vorteil mit sich, dass sich der Prüfungsaufbau etwas übersichtlicher gestaltet.
Aus Band I der „Fälle und Lösungen“ sollte das Zahlenwertverfahren des Rd.-Erl. zum NWaldLG zur Bewertung der Ersatzmaßnahme (Nr. 2.1.) bereits bekannt sein.
Lösungsskizze
- Formelle RMK (+)
Die formelle RMK ist hier erkennbar kein Problem!
- Materielle RMK
I) Waldumwandlungsgenehmigung mit Auflage der Ersatzaufforstung, § 8 III i.V.m Abs. IV 1 NWaldLG (+)
- Vorliegen der Vss (+)
- Ermessensprüfung § 8 III i.V.m. IV 1 NWaldLG (+)
Zahlenwertverfahren Rd.-Erl. NWaldLG Nr. 2.1
Schutzfunktion herausragend: 4 + 1 Zuschlag = 5
Nutzfunktion durchschnittlich: 2
Erholungsfunktion durchschnittlich: 2
Summe: 9 /3 = 3, Faktor = 1,3-1,7 -> 1,5 h Aufforstung (+)
III) Waldumbauauflage, § 8 IV 3 NWaldLG
- Vorliegen der Vss.
- Bei Erteilung einer Waldumwandungsgenehmigung (+)
- Ausnahmefall (+)
- Ermessensprüfung, § 8 IV 3 NWaldLG
- keine Ermessensfehler (+)
- Verhältnismäßigkeit
aa) legitimes Ziel: Naturhaushalt P!
bb) geeignetes Mittel: Waldumbau (+)
cc) Erforderlichkeit: (+)
dd) Angemessenheit: Restkompensation nur 0,2, max. mit Faktor 3 -> max. 0,6 ha! Nicht 6 ha!
Ergebnis: Genehmigung mit Auflage der Ersatzaufforstung (+), Auflage Waldumwandlung unangemessen!
Gutachten
Fallfrage: Erteilte das LRA die Genehmigung zu Recht?
Fraglich ist, ob die Genehmigung in der erteilten Form rechtmäßig ist.
Obersatz: Dazu müsste die Genehmigung formell (A) und materiell (B) rechtmäßig sein.
- Dazu müsste die Genehmigung zunächst formell rechtmäßig sein.
- Die Waldumwandlungsgenehmigung richtet sich nach § 8 NWaldLG. Es handelt sich um einen VA mit zwei Auflagen.
- Das LRA ist auch zuständig.
- Das Verfahren wurde verfahrensgerecht durchgeführt.
- Die Genehmigung ist auch formgerecht ergangen.
Folglich ist die Genehmigung formell rechtmäßig.
- Die Genehmigung müsste auch materiell rechtmäßig sein.
Fraglich ist, ob die Genehmigung von einer oder allen Auflagen getrennt werden kann oder in einer Gesamtschau zu sehen ist.
Dazu müssten Genehmigung und Auflagen selbständig sein, d.h., dass sie getrennt werden und sinnvoll unabhängig voneinander bestehen können („fällt das eine, fällt das andere“, selbständig angreifbar).
Hier kann die Ersatzaufforstungsauflage nicht sinnvoll von der Genehmigung getrennt werden (zwingende Auflage „soll“). Die fakultative („kann“) Umbauauflage kann aber hinweggedacht werden, ohne den Bestand der Genehmigung mit der Ersatzaufforstungsauflage zu gefährden (a.A. vertr.).
- Dazu müssten zunächst alle Voraussetzungen von § 8 III 1 i.V.m Abs. IV 1 NWaldLG für die Genehmigung und die erteilte Ersatzaufforstungsauflage vorliegen.
Es müsste sich zunächst überhaupt um eine Waldumwandlung handeln (§ 8 I 1 NWaldLG). Das ist laut SV der Fall.
- Da eine Ermessensentscheidung (§ 8 III 1 NWaldLG: „kann“) vorliegt, müsste die Genehmigung samt Auflage nach fehlerfreiem Ermessen erfolgt sein.
Dazu müsste das LRA festgestellt haben, dass das erhebliche wirtschaftliche Interesse des B an der Waldumwandlung das öffentliche Interesse an der Walderhaltung unter Berücksichtigung der Ersatzaufforstungsauflage überwiegt.
Auf der einen Seite sind die erheblichen wirtschaftlichen Interessen des B zu gewichten.
Auf der anderen Seite ist dagegen das öffentliche Interesse an der Walderhaltung zu berücksichtigen.
Aufgrund der kleinen Fläche scheint schon fraglich, ob das wirtschaftliche Interesse des B erheblich ist.
Erheblich ist jedes Interesse, das nicht unerheblich ist.
Ein erhebliches wirtschaftliches Interesse liegt jedenfalls vor.
Dagegen steht die Schutzfunktion des Waldes insb. die erhebliche Bedeutung des alten Buchenbestandes für die Artenvielfalt, § 8 III 1 Nr. 2 lit. a) ee) NWaldLG.
Da hiernach die Erteilung der Genehmigung mit der erteilten Auflage nicht eindeutig rechtmäßig ist, müsste die Entscheidung des LRA in jedem Fall auch verhältnismäßig sein.
Dazu müsste die Genehmigung einschließlich der Auflage geeignet, erforderlich und angemessen sein, ein legitimes Ziel zu erreichen.
Mit der Genehmigung und der Auflage verfolgt das LRA auch das legitime Ziel der zumindest funktionalen und flächenmäßigen Walderhaltung, insb. wegen der förderlichen Wirkung des Waldes für Klima- und Grundwasserschutz (vgl. auch Art. 20a GG).
Geeignet ist das Mittel, wenn es zur Erreichung dieses Zieles beiträgt. Die Genehmigung verhindert die Waldumwandlung zwar nicht, die Auflage dient aber durch die Ersatzaufforstung der Erreichung des o.g. legitimen Zieles. Die Genehmigung mit der Auflage ist mithin geeignet.
Erforderlich ist das mildeste gleichwirksame Mittel. Die Verweigerung der Genehmigung wäre zwar ein mindestens genauso wirksames Mittel, aber für B nicht milder. Die jetzige Genehmigung mit Auflage ist mithin erforderlich.
Die Genehmigung mit der Auflage müsste schließlich auch angemessen sein. Das ist der Fall, wenn der durch die Genehmigungsverweigerung...