Was stört mich im Moment?
Zwei Mönche waren auf der Wanderschaft. Eines Tages kamen sie an einen Fluss. Dort stand eine junge Frau mit wunderschönen Kleidern. Offenbar wollte sie über den Fluss, doch da das Wasser sehr tief war, konnte sie den Fluss nicht durchqueren, ohne ihre Kleider zu beschädigen.
Ohne zu zögern ging der ältere Mönch auf die Frau zu, hob sie auf seine Schultern und watete mit ihr durch das Wasser. Auf der anderen Flussseite setzte er sie trocken ab.
Nachdem der jüngere Mönch auch durch den Fluss gewatet war, setzten die beiden ihre Wanderung fort.
Nach etwa einer Stunde fing der eine Mönch an, den anderen zu kritisieren: „Du weißt schon, dass das, was du getan hast, nicht richtig war, nicht wahr? Du weißt, wir dürfen keinen nahen Kontakt mit Frauen haben. Wie konntest du nur gegen diese Regel verstoßen?”
Der Mönch, der die Frau durch den Fluss getragen hatte, hörte sich die Vorwürfe des anderen ruhig an. Dann antwortete er: „Weißt du, was der Unterschied zwischen mir und dir ist? Ich habe die Frau vor einer Stunde am Fluss abgesetzt – warum trägst du sie immer noch mit dir herum?”
(frei nacherzählt, The Wisdom of the Zen Masters)
Es gibt immer wieder Situationen im Leben, in denen es uns so ähnlich gehen mag wie dem jungen Mönch: etwas geht uns in Gedanken nach, beschäftigt uns und bindet Energie. Man kann sich ja bildhaft vorstellen, wie es in dem jungen Mönch gearbeitet hat und wie viel Energie er aufbringen musste, bis er schließlich den Mut hatte, seine Gedanken auszusprechen und den älteren Mönch zu kritisieren.
Im Laufe des Lebens können es viele Situationen sein – kleinere und größere – die wir nicht dort lassen, wo sie hingehören, sondern mit uns herumtragen und die den emotionalen Ballast mit der Zeit vergrößern.
Ich lade Sie nun ein, für sich zu prüfen, welchen Ballast Sie aktuell spüren. Alles, was Ihnen in den Sinn kommt, dürfen Sie nun aufschreiben. Alleine das kann schon eine Erleichterung darstellen. Denn das Unbestimmte und Unbenannte wird benannt und damit verliert es vielleicht einen Teil seiner Schwere.
Gibt es eine konkrete Situation, die Sie stört, über die Sie sich ärgern oder die einen gewissen Leidensdruck in Ihnen auslöst?
Wir befinden uns in einem Seminar mit dem Titel „Nimm`s leicht!“ Ich stelle die Frage in die Runde: „Gibt es eine konkrete Situation, die dich stört, über die du dich ärgerst oder die einen gewissen Leidensdruck in dir auslöst?“
Als erste meldet sich Raphaela: „Mich ärgert aktuell eine Situation. Wir haben seit Kurzem einen neuen Nachbarn“, erzählt sie. „Es war von vornherein klar, dass es schwierig mit ihm werden wird. Deutlich wurde es aber dann bei der Gestaltung seines Gartens. Wir selbst haben einen Naturgarten. Alles darf wachsen. Es tut mir gut, wenn die Natur sich entfalten kann. Unser Nachbar dagegen hat sich ganz viele schwarze Basalt-Steine in den Garten gelegt. Und nun haben wir mitbekommen, dass er sich eine Sauna in den Garten stellen möchte. Und zwar direkt an die Grenze zu unserem Garten. Stellt euch das mal vor! Als ich das gehört habe, da bin ich fast ausgetickt. So eine Sauna direkt neben uns. Die Vorstellung, dass der nackt durch den Garten rennt, während wir auf der Terrasse sitzen… Also nein! Außerdem nimmt sie uns das Licht der Abendsonne. Ich weiß ja, dass das jetzt blöde klingt und dass es gewiss schlimmere Dinge im Leben gibt. Aber dennoch beschäftigt mich dies sehr.“ Ich bestätige sie: „Es ist nicht die Tatsache an sich, sondern immer die Bedeutung, die wir dieser geben, die das Leiden verursacht. Und außerdem lässt sich anhand von kleineren Übeln leichter lernen.“
Wenn wir uns über etwas aufregen, dann deshalb, weil wir der Überzeugung sind, es nicht ändern zu können. Das, was wir ändern können, nimmt uns den Leidensdruck und führt uns wieder in einen inneren Zustand des Wohlbefindens. Wenn Sie beispielsweise frösteln und in der Lage sind, das Fenster zu schließen und die Heizung aufzudrehen, so dass Ihnen wollig warm wird, dann ist alles wieder in bester Ordnung. In dem Moment, in dem wir jedoch der Überzeugung sind, irgendjemand sollte die Heizung aufdrehen, damit es mir wieder gut geht, beginnt unter Umständen der innere Kampf: „Warum macht denn niemand etwas gegen die Kälte hier im Raum?“
Der erste Reflex, wenn uns etwas stört, besteht darin: „Was stört, muss weg!“
Die drei Spielräume: Welche Gefühle füttere ich?
Wenn wir auf unser tägliches Leben blicken, dann sind wir immer in Beziehung mit drei Einflussbereichen oder Spielräumen: wir sind in Beziehung mit uns selbst, mit anderen Menschen und – ganz allgemein – mit der Welt oder der Realität, die uns umgibt. Störungen, die wir erleben, haben mit einer der drei Beziehungsdimensionen zu tun. Wenn uns etwas stört – an uns selbst, an einer anderen Person oder am Leben, so wie es sich zeigt – dann ist es hilfreich, zu unterscheiden zwischen dem, von dem ich sagen kann, das ist…
„Mein“ Spielraum
„Dein“ Spielraum (der einer anderen Person) und
Das „Leben“ oder der Spielraum „Gottes“. Wir Schwaben sagen manchmal: „So isch`s Leben“ und meinen damit all das, was weder ich selbst noch ein anderer Mensch verändern kann: Die Wirklichkeit, die gegenwärtige Realität oder je nachdem auch das „System“.
Befinden wir uns mit Überzeugungen gedanklich im Spielraum oder in den Angelegenheiten einer anderen Person oder dem des Lebens, so sind wir nicht mehr bei uns und vernachlässigen somit uns selbst und unsere eigenen Angelegenheiten. Dadurch kann viel Stress entstehen. Die Gewohnheit, sich in die Angelegenheiten anderer einzumischen ist sehr weit verbreitet und rührt bspw. aus der Sorge um den Anderen oder daher, dass uns gar nicht bewusst ist, was unsere Angelegenheit ist und was nicht.
Doch das hat Konsequenzen: Sorgen und ein (leichtes) Gefühl des Unwohlseins dürften für die meisten von uns regelmäßige Begleiter im Alltag sein. Dieses Unbehagen ist oft nicht stark genug, dass wir es beachten würden: wir haben uns daran gewöhnt. Dabei summiert sich das zu einer beachtlichen inneren Energieverschwendung, wenn wir einfach wegschauen und hoffen, dass „es“ – was immer es gerade auch sein mag – sich von selber löst. Doch oft genug bleiben diese inneren Energieräuber in uns aktiv: wir tragen sie mit uns und schwächen uns selbst.
Es wird Zeit, diese Energiefresser zu erkennen und unser Innerstes zu reinigen!
„Mein“ Spielraum
Als ich mich wirklich selbst zu lieben begann, habe ich mich geweigert, immer weiter in der Vergangenheit zu leben und mich um meine Zukunft zu sorgen.
Jetzt lebe ich nur mehr in diesem Augenblick, wo alles stattfindet. So lebe ich jeden Tag und nenne es Vollkommenheit!
(Charlie Chaplin)
Mein Spielraum oder meine Angelegenheit ist mein Leben. Dazu gehörten meine Gedanken, Gefühle und mein Verhalten. Wie ich mich selbst behandle und wie ich andere behandle – all das ist meine Angelegenheit.
Wenn ich mich in meinen Angelegenheiten befinde, dann sitze ich am Steuer und kann mein Leben führen. Jede Herausforderung, die ich bestehe und jedes Ziel, das ich aus eigenen Mitteln erreiche, verdeutlicht mir, dass ich mich in meinem Spielraum oder in meiner Angelegenheit befinde.
Ich erinnere mich an die ersten Schritte meines ältesten Sohnes: Er stand auf seinen Wackelbeinen am Sofa und hielt sich daran fest. Dann visierte er den Wohnzimmertisch an und lies los. Seine ersten drei Schritte gelangen und er kam an, ohne hinzufallen. Der Kleine platzte schier vor Begeisterung und Stolz. Sofort ging sein Blick umher, um zu prüfen, ob ihn jemand dabei gesehen hatte, mit dem er die Begeisterung teilen kann. Später dann legte er los mit dem Laufrad, dann mit dem Fahrrad. Eines Tages wird es der Zug sein, dann das Auto und irgendwann auch das Flugzeug, mit dem er seinen äußeren Spielraum erobert und vergrößert. Sich Ziele zu stecken, die selbstverantwortlich erreicht werden können, vergrößert den persönlichen Spielraum und stärkt das Selbstwertgefühl.
Das gilt vor allem auch für die ungeliebten Momente im Leben. Wenn wir vor Herausforderungen stehen und erkennen, dass wir diesen nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern einen äußeren Spielraum haben und etwas ändern können oder über einen „inneren“ Spielraum verfügen und die Haltung zu den Dingen ändern können, dann wächst das Gefühl von...