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E-Book

Norddeutsche Landschaft

Vollständige Ausgabe

AutorHermann Masius
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl182 Seiten
ISBN9783849631352
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Masius' Hauptwerk waren die 'Naturstudien', in denen er natur-, kulturgeschichtliche und ästhetische Betrachtung sinnreich vereinigte. Eine Auswahl aus diesem Werk präsentieren wir hier mit diesem Buch. Inhalt: Eine Düneninsel. Das Moor Am See. Die Wolken. -Norddeutsche Vegetationsbilder. I. Die Wiese. II. Die Heide. III. Der Nadelwald. IV. Der Laubwald. V. Das Kornfeld. -Die norddeutschen Waldbäume. Die Cypresse. Die Pinie. Die Föhre. Die Fichte. Die Weide. Die Pappel. Schwarzpappel ( Populus nigra) Silberpappel (Populus alba, P. canescens), Espe (Zitterpappel, Populus tremula). Die Birke. Die Erle Die Eiche. Die Buche. Die Rüster. Die Linde. Obstbäume. Wenn der Herbst kommt!

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Leseprobe

3.

 

Es bricht der Frühling aus allen Hecken und Winkeln unaufhaltsam hervor. Der Himmel schallt von Lerchenchören, aus dem Acker steigt der alte Erdatem heilend, nährend, verjüngend, und am Wasser sprießt und keimt es allerorten. Den umgestürzten Weidenstämmen, die dort schon Jahre lang in den See hängen, fährt es durchs morsche Mark und sie treiben neue Reiser, und aus den saftstrotzenden Ruten zupft die Sonne lange Blütenschäfchen. Auch das Röhricht steckt seine Fahnen auf; die Erdgänge und Uferhöhlen – der Winter hatte sie alle vermauert – kleiden ihre Schwellen mit Moos, und manche grüne Ranke kriecht herbei. Wenn der Himmel sich einmal verdunkelt, dann sprühen Frühlingsregen. Aber die Lerchen singen unverdrossen weiter; die Sonne blitzt in die Tropfen, die lustige Blasen auf den See werfen; die Frösche knarren behaglich, denn sie wissen nicht, daß mit den Sommerlüften auch der Storch gekommen ist, der alte Sumpfkönig aus Aegyptenland. Alles liegt in Duft, still und erwartend; ein ahnungsvoller, fast wehmütiger Hauch weht über der Erde. Wie schön stimmt zu diesem träumerischen Frieden dort das stille Dorf und hier vorn, wo das Erlengebüsch schon dichter schimmert, die alte strohgedeckte Fischerhütte! Sie ist malerisch mit Netzen staffiert, und aus dem Schornstein spinnt ein dünner Rauchfaden hinauf. Der Kahn liegt im Rohre versteckt, der alte Irin sitzt auf der Schwelle und bessert Reusen, indes er dem Enkel von der Nixe und ihren Tücken erzählt. Aber der hat die Augen auf dem See, und bald hat auch der Alte seine Mär vergessen, denn hoch über dem See schwingt sich in großen Kreisen der Wanderfalke. Jetzt hängt er regungslos mit ausgespannten Flügeln in der Höhe, wie angenagelt; aber plötzlich schießt er steilrecht herab. Es gilt einer Ente. Im Nu ist sie verschwunden, und der Falke umkreist reißenden Flugs die Fläche. Nur dann und wann steckt der geängstete Vogel den Schnabel aus dem Wasser, um Luft zu schöpfen, aber der Verfolger ruht nicht. Mit unwiderstehlicher Gewalt, als schmettere ein Stein herab, wirft er sich auf seine Beute und zuletzt, im gieren Griffe sie erhaschend, fliegt er kreischend davon, um drüben auf einem Hügel sein blutiges Mahl zu halten.

 

Das sind Frühlingsszenen. Aber bald hat das letzte Wintergeflügel den See verlassen; die Möwen, die Reiher sind gekommen und mit ihnen der Sommer. Der See liegt im Schmuck seiner Ufer. Da sind die grünen Hügelabhänge mit den weidenden Lämmern, da sind die hellen Birken, die Weiden, die Erlen, manche Eiche, und da ist vor allem auch das Rohr, das Rohr, das uns so geheimnisvoll fremdartig, fast tropisch anblickt. Weit hinein in den See stellt es seine schlanken, immer wellenschlagenden, immer flüsternden Schafte, die Blätter so lang, scharf und fest, die Blüte in so prächtig braunen Büscheln nickend, und zwischen seinen Wurzeln schwimmt und schaukelt das Nest des Tauchers, spielt das rotäugige Wasserhuhn und die junge Fischbrut. Hinter diesem Hochwalde tritt das Schilf heran mit den samtweichen schwarzen Kolben, die Wasserdolde ( Butomus umbellatus) hebt ihre rosigen Blütenschirme in die Luft, gelbe Lilien richten ihre Urnen auf, und das alles ist so frisch und massiv, so plastisch gestaltet, daß man ein Knabe sein möchte, begehrend und wagend die Hand nach dem Kranze der Najade auszustrecken. Aber das Schönste von allem sind doch die Seerosen, mit den breiten, fetten Blattschilden, auf denen die üppige Blüte hier goldglänzend, dort schneeweiß sich wiegt. In gefährlicher Tiefe wurzelt die Blume, unbewegt auf der Fläche ruhend und weite Gruppen bildend, über die hinaus endlich der Wasserranunculus seine weißen Sterne zu ganzen Blumeninseln häuft.

 

Senkrecht fällt jetzt der Sonnenstrahl auf den See, der wie schmelzendes Silber wallt. Jede Welle glitzert; aber das Auge erträgt nicht die Blendung und sucht den Schatten. Ueber der Flut flimmert heißer Dunst, sonst regt sich nichts. Kaum daß noch etwa ein Fisch aufspringt oder eine Uferschwalbe über die Fläche streicht. Die Luft steht still, die Blätter hängen tot an Strauch und Baum, das Schilf läßt müde seine Schwerter funkeln, selbst die ewig bewegte Wolke der Möwen ist nicht mehr sichtbar, und auch der Rohrsperling sitzt stumm im Weidengebüsch. Aber dem Frosch ist's wohl; den breiten Teller einer Nymphäe hat er sich zur Ottomane erwählt, dort sitzt er und labt sein kaltes Herz am heißen Strahl.

 

Man sucht einen Erlenbusch und legt sich ans Ufer. Das Wasser ist da so durchsichtig klar, die glatte Kieselstraße dehnt sich so sanft und weit hinein, die grünen Hage drunten schimmern so märchenhaft herauf, als ob uns selber

 

die blaue Göttin
lade in ihren unendlichen Schoß.
(Schiller.)

 

Die Seele verfällt widerstandslos der magischen Gewalt des Elements und, selber eine Welle, löst sie sich in den großen dunkeln Urgrund des Lebens auf. Das Wasser schlägt leise glucksend, wie im Schlaf, ans Ufer und zieht weiche Linien in den Sand oder wirft Halme, Fasern, Schnecken aus, seine Spur zu bezeichnen. Bachstelzen und Krähen kommen, einen Wurm, eine gescheiterte Muschel zu fangen; ein durstiger Schmetterling setzt sich auf ein feuchtes Steinchen, und über ihm steht mit glasigen Flügeln die Libelle, nur je zuweilen hin- und herzuckend. Man betrachtet verwundert dieses kleine Treiben, folgt hier dem zierlichen Vogelschritt, dort den Irrfahrten einer Phrygänenlarve, die im Rohrkanot das Ufer zu gewinnen sucht, oder den Mücken, die zwischen den Baumwipfeln wie an unsichtbaren Fäden schweben,

 

auf tausend Wegen auf- und niederkreuzend.

 

Inzwischen erwacht nach kurzer Ruhe die Wasserwelt. Ganze Herden von Fischen hüpfen auf der Oberfläche des Sees. Das ist ein Glitzern und Plätschern, ein Haschen und Huschen ohne Ende. Jetzt jagt lautschnappend der große Barsch heran – er trachtet den sorglosen nach; aber kaum naht er und im Augenblick ist alles zerstoben. Doch nicht lange, so sammeln sich neue Schwärme. Und nun sehe man das Hin- und Herschießen, das Auf- und Abtauchen, das wählige, wohlige Dahingleiten, dieses Fortrollen und dann wieder das plötzliche Stillstehen, das regungslose Versteinern dieser sonderbaren Tiergeschlechter! Nirgend zeigt sich ein arbeitendes Glied, jede Bewegung erscheint so mühelos, so zauberhaft leicht, als ob ein verborgener elektrischer Druck die schlanken Leiber jetzt vorwärtsschnelle, jetzt plötzlich banne. Das kleine Volk macht Jagd auf Mücken, Fliegen und Wasserspinnen; aber schon ist ein neuer Feind nahe und der gefährlichste von allen. Unten im Blättergewirr des Grundes, graubepanzert, lauert mit tückischen Augen der Hecht. Er steht unbeweglich. Plötzlich hat er einen Unvorsichtigen erspäht und in wildester Hast, pfeilschnell stürzt er hervor. Ein Moment und man sieht die langgestreckte, stiere, glotzende Masse, den Rachen weit geöffnet, zwei, drei Fuß über die Wasserfläche hinausspringen und dann schwer und plump in ihr Element zurückfallen. Ein laut klatschender Wellenschlag erregt den Spiegel, während der Räuber, seinen Fang im Genick gefaßt, in die Tiefe stößt, wo er den Fraß langsam und ruckweise hinabdrängt.

 

Aber jetzt schwimmen weißumsäumte Wolken am Horizont herauf, und bald kommt's düsterdrohend gezogen. Die Uferschwalben werden lebendig. Der Taucher läßt aus dem Schilfe seinen melancholischen Ruf vernehmen: er verkündigt das Gewitter. Schon erfolgen auch einzelne Windstöße. Dann tritt abermals Stille ein, und der See glättet sich von neuem. Aber die Fläche ist jetzt tief dunkel. Den ganzen Himmel haben Wetter verhüllt; finstere Wolkentürme, riesige Gebirge mit zackigen Schneehäuptern steigen herauf und zeichnen ihre gewaltigen, immer kühner sich gestaltenden Reflexe in den See, bis die Sonne ganz versinkt. Nur auf der Klosterruine glüht ein letzter, tiefer Strahl. Da weht ein hohles Rauschen durch die Luft, ein dumpfverrollender Donner intoniert das große Drama. Und sausend springt der Wind auf, er wächst zum Sturm, zum Orkan und peitscht die Wellen, daß sie hoch aufspringen und der Schaum in weißen langen Flocken umherspritzt. Blitz um Blitz zischt in den schwarzen, tobenden Schlund, als wollten sie ihn voneinanderreißen, jede Welle brennt, und während Himmel und Wasser in einer Lohe aufschlagen, stürzt krachend der Donner die Wolkenberge hinunter, um nun in unaufhörlich wogendem, alles verschlingendem Groll über die zitternde Erde zu fahren. Und die Blitze versprühen, der Donner verhallt, und nun rauscht's unendlich ergossen. Eine einzige Wassersäule spinnt sich in Milliarden kristallener Fäden vom Himmel zur Erde und schüttet einen neuen See herab. Stunden vergehen. Endlich erschöpft sich die segnende Fülle, und der graue Schleier, der alles mit Nacht bedeckte, lichtet sich mehr und mehr. Klingend rieseln die letzten Tropfen herab, die Bäume ragen so ruhig und vollgesogen in die kühle, stille Luft, der See liegt wieder so klar, manchmal nur noch hin- und herschwankend, und doch arbeitet alles wieder der Abendröte entgegen. Welche unendliche Ruhe ringsum und dabei welche seelenzerschmelzende Sehnsucht! Die sinkende Sonne kleidet das Firmament in immer schönere Gewänder; zuletzt glüht der See wie eine himmlische Apotheose im herrlichsten Purpur, und darüberhin haucht violenduftig der Abend. Wo ist nun der eigentliche Himmel? Dort oben oder hier unten? Kähne gleiten über die Fläche, Reiher kommen langsam-stolzen Flügelschlags gezogen, aber hoch in den Wolken wirbelt noch eine Lerche, und hier vom Dorfturm und dort vom Kloster...

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