THEMA
Bild aus: Hadamowsky/Otte, Die Wiener Operette, Wien 1947
Wie Jacques Offenbach in Wien bekannt wurde
Die frühe französische Operette im Spiegel der Wiener Presse
Offenbachs erste Aufführungen in Wien ließen nicht vermuten, dass sich die Stadt zu einem Operettenmekka entwickeln sollte. Nicht die Originale, sondern neu instrumentierte und auf Deutsch übersetzte Einakter entfachten jedoch die Liebe der Wiener zum Werk des Komponisten. Johannes Prominczel
Zwei Brände bilden den Rahmen der Offenbachrezeption im Wien des 19. Jahrhunderts. Gleichsam den vorläufigen Schlusspunkt setzte bekanntlich der Ringtheaterbrand im Dezember 1881, ausgebrochen wenige Minuten vor einer Aufführung von Hoffmanns Erzählungen. Weniger bekannt ist, dass auch der Brand des deutschen Theaters in Pest am 2. Februar 1847 im weitesten Sinne Wiens Offenbach-Rezeption beeinflusste. Nach dem Unglück suchten die Ensemblemitglieder neue Anstellungen. Gleich einige kamen in Wien unter, darunter auch der aus Hamburg stammende Karl Treumann.
Treumann avancierte am Theater an der Wien rasch zum Publikumsliebling. Nach einigen Jahren wechselte er an das Carltheater in die Leopoldstadt, eine der größeren Wiener Vorstadtbühnen. Dort trat er an der Seite von Johann Nepomuk Nestroy auf, der nach dem Tod von Carl Carl 1854 die Direktion übernahm. Bald sollte Treumann als begeisterter Connaisseur der Operetten Offenbachs dem Werk des Komponisten in Wien gleichsam den Weg ebnen.
Der gebürtige Hamburger Karl Treumann übersetzte Offenbachs Einakter und ließ sie in Wien aufführen. Bild: Litographie von Josef Kriehuber, 1853
Offenbach im Original
Ab 1848 übernahm das Wiener Volkstheater neue Impulse aus Paris. Neben dem Theater an der Wien stand vor allem das Carltheater den französischen Vaudeville-Einflüssen aufgeschlossen gegenüber.
Bei einem Gastspiel, das Pierre Levassor, ein Komiker des Pariser Theaters Palais Royal, im März und April 1856 im Carltheater gab, kam das Publikum erstmals in Kontakt mit Musik von Jacques Offenbach. Auf dem Programm standen unter anderem Le Violoneux (17.4.1856) und Les deux Aveugles (19.4.1856). Die Presse reagierte verhalten. »Das französische Intermezzo im Carltheater hat im Ganzen mehr die Neugierde als die Theilnahme des Publikums erregt«, schrieb man in den Blättern für Musik, Theater und Kunst (22.4.1856) und kritisierte ebenso die langweilige, moralisch-tendenziöse Färbung der einen wie auch die Trivialität anderer Vaudevilles. Grund für die schlechte Aufnahme des Gastspiels könnten auch mangelnde Sprachkenntnisse des Publikums gewesen sein. Nicht jeder sprach so gut Französisch wie Nestroy, von dessen Stücken zahlreiche auf französischen Vorlagen beruhen.
Offenbachs Einakter werden in der Besprechung des Gastspiels von Levassor gar nicht erst erwähnt und das, obwohl er den Musikinteressierten auch in Wien damals wohl bereits ein Begriff gewesen sein dürfte. Sein Name findet sich ab etwa 1855 gelegentlich in den Zeitungen und Zeitschriften. Ebenfalls in den Blättern für Musik, Theater und Kunst (3.8.1855) wird beispielsweise das von Offenbach gegründete und geleitete Theater Bouffes Parisiens erwähnt, das sich von der Pariser Kritik »auf’s allerwärmste empfohlen […] keiner besonderen Theilnahme des Publikums« erfreue. Interessanterweise wird Offenbach in dem Artikel noch ausschließlich als Cellist bezeichnet.
Raubproduktionen
Karl Treumann eignete sich bald nach Levassors Gastspiel Teile von dessen Repertoire an, übersetzte sie und feierte damit beachtliche Erfolge. Gleichzeitig versuchte er gemeinsam mit Nestroy, Jacques Offenbach mit seiner Truppe für ein Gastspiel zu gewinnen, was jedoch an überhöhten Gagenforderungen scheiterte. Zudem hoffte Offenbach auf ein späteres Gastspiel und erteilte daher keine Erlaubnis, seine Werke in Wien aufzuführen. Doch davon ließ sich Treumann nicht einschüchtern. Er leitete eine Aufführung kurzerhand ohne die Einwilligung des Komponisten in die Wege. Die Übersetzung ins Deutsche besorgte Treumann selbst. Und da dem Theater nur der Klavierauszug vorlag, musste die Instrumentierung durch den Kapellmeister des Carltheaters Karl Binder ergänzt werden. Binder hatte sich längst als Arrangeur größerer Bühnenwerke an die Gegebenheiten der Wiener Vorstadttheater einen Namen gemacht, über 200 Bearbeitungen und Parodien entstammen seiner Feder, darunter auch von Tannhäuser und Lohengrin, weshalb ihm Richard Wagner eine Krawattennadel übersandt haben soll.
Die Opéra comique Fantasio widmete Offenbach seinem Freund, dem Kritiker Eduard Hanslick. Bild: Titelbild des Klavierauszugs, 1872
Am 16. Oktober 1858 führte man mit der Hochzeit bei Laternenschein (original: Le Mariage aux Lanternes) erstmals ein Werk Offenbachs in der Fassung Treumann/Binder im Carltheater in deutscher Sprache auf. »Offenbach schrieb hierzu eine gefällige Musik, deren idyllisch weichen und melodiösen Motive selbst schon in der Ouverture, den deutschen Musiker verrathen, der bei französischen Meistern in die Schule gegangen, der sich daher weniger um eigentliche Durchführung, als um pikante Züge und charakteristische Instrumentalbilder bekümmert. […] Bau und Melodie sind […] von überraschender Wirkung.« (Humorist, 17.10.1858). Tatsächlich dürfte die Vorstellung ausgesprochen erfolgreich gewesen sein, die Darsteller fanden »reichlichen Beifall und wiederholten Hervorruf« und das Quartett musste sogar wiederholt werden (Fremdenblatt, 17.10.1858). In der Presse (17.10.1858) ist gar von »einigen brillanten musikalischen Nummern« die Rede. Man prophezeit, dass das Stück noch oft gegeben wird, und fordert, »das Carltheater sollte mehrere Offenbach’sche Operetten seinem Repertoire einverleiben.« – Ein Rat, den sich Treumann offenbar zu Herzen nahm. 1858/59 folgten fünf weitere Einakter – in rund 120 Aufführungen –, 1860 mit Orpheus in der Unterwelt schließlich das erste abendfüllende Werk, wiederum übersetzt von Treumann, instrumentiert von Binder. Auch wenn die Operetten ohne Wissen Offenbachs aufgeführt wurden, Etikettenschwindel konnte man den beiden nicht vorwerfen, denn in den Annoncen sind sie als Bearbeiter stets angeführt. Binders Arrangements wie auch die Operetten an sich werden von der Presse einhellig gelobt, so ist etwa in der Neuen Wiener Musikzeitung (5.1.1860) zu Der Ehemann vor der Thüre zu lesen: »Der Erfolg war ein sehr günstiger. Die lebendigen, pikanten Offenbach’schen Melodien, von Hrn. Kapellmeister Karl Binder geschickt und wirksam instrumentirt, übten eine zündende Wirkung. Schon die Ouverture erfreute sich allgemeinen, lebhaften Beifalls.«
Kritik und Publikumsreaktion
Kritische Äußerungen richten sich in der Regel an den französischen Operettenstil bzw. allgemein an die Unterhaltungsmusik (Der Zwischen-Akt, 1.5.1859): »Um 1 fl 5 kr Oe[sterreichischer] W[ährung] bekommt man 6 Schüseln [sic!] Purée-Suppe à la Offenbach mit Instrumentations-Schnitten à la Binder, zwar geschmacklos, aber dafür aufgewärmt. […] Diese Kost ist zwar derb, und schwer zu verdauen, aber die Direktion hat seit Jahren die Mägen für derartige Gerichte empfänglich gemacht.«
Bemerkenswert ist, dass die Offenbachmanie bereits um 1860 begann, also in einer Zeit, als Offenbach in Wien abgesehen von einigen Gastspielen französischer Schauspieler, die sich in der Regel auf den Sommer beschränkten, ausschließlich in Bearbeitungen Binders zu hören war.
Karl Treumann in der Rolle des Vertigo in Das Mädchen von Elisonzo. Bild aus: Hadamowsky/Otte, Die Wiener Operette, Wien 1947
Die Popularität von Offenbachs Musik spiegelt sich nicht zuletzt in Bearbeitungen anderer Komponisten wider. Karl Binder komponierte etwa eine Quadrille nach Melodien von Das Mädchen von Elisonzo, die man zwischen zwei Einaktern anderer Komponisten im Carltheater aufführte und der »lebhaft applaudiert wurde« (Fremdenblatt, 25.9.1859). Auch Johann Strauß partizipierte mit seiner Orpheus-Quadrille, die bereits wenige Wochen nach der Premiere von Orpheus in der Unterwelt im Druck erschien, am Offenbach-Hype.
Nach dem Orpheus in der Unterwelt brachte Treumann im Herbst 1860 mit der »musikalischen Chineserei« Tschin-tschin eine weitere Offenbach’sche Operette auf die Bühne. Binder, der bereits schwer krank war und Anfang November verstarb, wird nicht mehr als Bearbeiter genannt. Möglicherweise fertigte man die Instrumentierung nach seinen Skizzen an.
Die Berichterstattung zu Tschin-Tschin eignet sich besonders dazu, die Diskrepanz zwischen der Kritik und dem Geschmack des Publikums darzulegen. Der Rezensent der Blätter für Musik, Theater und Kunst (16.10.1860) brachte wenig Verständnis für das Stück auf: »Soll mit diesem abnormen Titel das Nichts des Textes oder die musikalische Farce bezeichnet werden? […] Das Textbuch von ›Tschin-Tschin‹ gehört zu den schwächsten und erfindungsärmsten […]. Die Musik […] ist minder gelungen und steht in der Melodieerfindung und in den Ensemblesätzen weit hinter den übrigen Werken Offenbach’s zurück. Diese muß der productive Componist in einigen Stunden geschrieben haben. Daß das chinesische Element den hervorragenden Charakterzug dieser Musik bildet, versteht sich von selbst. Dieser besteht in einem anhaltenden,...