Juana aus Argentinien
Stress in der Agentur, die nächste Pressereise steht schon im Kalender und unser hoffnungsfroher Start als Aupair-Familie im Eimer. Wo soll jetzt auf die Schnelle Ersatz her? Wir schalten wieder eine Anzeige in der SZ – und haben Glück, denn Juana aus Argentinien schreibt uns:
Hallo!
Ich bin Juana, 21 Jahre alt, Argentinierin und seit April wohne ich bei einer Familie, aber…ich möchte gerne andere Mutter und freundlichere Leute finden.
Ich bin sympathisch und mag gerne Kontak mit Leute zu haben, liebe alles was Spaß macht, reisen, Sport (Squash, Gymnastik, Schwimmen, Radfahren etc.), humorvolle Leute finden, und auch Musik, Kunst und Literatur. Außerdem mag ich Sprache gerne (englisch, französisch, italienisch). Ich habe Public Relations studiert und bin hier gekommen, weil ich mein Deutsch bessern will, und die europäische Kultur kennenlernen will.
Die Aupair arbeit finde ich toll, wenn man tolle Leute finden kann! Deswegen schaue ich andere möglichkeiten für mich. Ich hoffe mehr Glück haben!
Grüße, Juana
P/D: Wenn ich Fehler habe, bitte ich euer Verständnis.
Das klingt sehr nach einem Mädchen, das zu uns passt. Gleiche Interessen, gleicher Beruf. Wir rufen gleich an und vereinbaren ein Vorstellungsgespräch. Juana hat ohnehin gerade viel Zeit, ihre Familie ist für sechs Wochen nach Italien gefahren, sie soll alleine das Haus hüten. Taschengeld bekommt sie für diese Zeit nicht, sie würde schließlich nicht arbeiten und soll froh sein, wenn die Krankenversicherung weiter bezahlt wird. Essensgeld muss auch nicht sein, die Speisekammer ist ja voll. Juana nützt die Pause zur Umorientierung, denn wenn die Familie erst zurück ist, muss sie sich wieder von den Kindern schlagen lassen. Die Agentur hilft ihr mit dem lapidaren Verweis auf „kulturelle Unterschiede“ auch nicht wirklich weiter - geht ja alles gar nicht!
So retten wir das arme Juana-Kind aus ihrer Not. Wir schließen sie in unser Herz – und einen Aupair-Vertrag nach internationalen Richtlinien. Da schaltet sich ihre Agentur ein. Natürlich nur mit einer Bearbeitungsgebühr von 50 Mark, die zeigen sich da kulant, kriegen wir den nötigen Agenturstempel auf unseren Vertrag. Ohnehin wird uns jetzt erst klar, dass mit einem Aupair ganz schön viel Bürokratie anfällt. Aupair-Vertrag, Krankenversicherung, gesetzliche Unfallversicherung bei der Unfallkasse, Meldebehörde, fürs Visum auf das Ausländeramt, für die Arbeitsgenehmigung zum Arbeitsamt. Zumindest war das damals noch so. Da gehen schon einige Wochen ins Land, bis wir alles beieinander haben.
Aber Juana hat sich schon gut bei uns eingewöhnt. Mittlerweile sind wir in eine größere Vier-Zimmer-Wohnung gezogen, wo sie ein eigenes Zimmer hat. Mein Mann fand es gar nicht sooo schlimm, sich auf einen Bademantel zu besinnen – er sieht eindeutig die Vorteile, wenn wir uns gemütlich in die Oper begeben ohne uns einen Babysitter organisieren zu müssen. Unser neues Familienmitglied möchte unbedingt sehr gut Deutsch können, wenn sie nach Hause fährt. Ihre Oma ist nämlich gebürtige Deutsche. So lernt sie wie ein Weltmeister, besorgt sich Bücher aus der Bibliothek, besucht einen Sprachkurs in der Volkshochschule. An den Abenden korrigiere ich ihre Übungshefte. Wir spielen stundenlang Würfeln, Rommé oder Tikal (das schenkte uns Juana zu Weihnachten). Und Moritz? Moritz spielt erst einmal Machtspielchen. Aber nicht lange, denn Juana ist so nett zu ihm, dass er bald erkennt, wie toll eine große Schwester sein kann. So kommen wir eines Abends nach Hause und die neue große Schwester massiert ihm die Füße!! Essenstechnisch müssen wir uns an Scheiblettenkäse mit Toast gewöhnen – Juanas Grundnahrungsmittel in jeder Lebenslage. Naja, wir müssen’s ja nicht essen, nur einkaufen.
„Kannst Du bitte die Wäsche aufhängen?“ – „Das mache ich gerne, wenn Du mir zeigst, wie das geht.“ Auweia! Wer wie Juana mit Hauspersonal aufgewachsen ist, fängt bei Null an. Denn was die Arbeit betrifft, so teilt mir Juana bereits in den ersten Tagen mit: „Du kannst mir einen Elefanten in mein Zimmer stellen und ich werde ihn nicht bemerken“. Na gut, wenn ich weiß, dass sie die Arbeit nicht anspringt, so lege ich ihr eben jeden Morgen eine To-Do-Liste auf den Küchentisch. Die Arbeitszeit haben wir fest vereinbart, auf diese Weise kommen wir gut miteinander klar. Meine Agentur ist nur wenige Schritte von unserer Wohnung entfernt, ich bin ja nicht aus der Welt. Und putzen muss sie ja nicht, denn jeden Samstag kommt unsere polnische Perle Edita. Bei dieser Gelegenheit lernen wir erstaunt: Edita hat Abitur und spricht perfekt Spanisch. So freuen sich die beiden jedes Wochenende aufeinander.
Schon nach wenigen Wochen können wir uns Juana aus der Familie nicht mehr wegdenken. Moritz liebt Juana. Denn sie versteht es, jeden Nachmittag geduldig im Monopoly zu verlieren. Nur einmal gibt es richtig Ärger: Im Park verabredet Moritz mit seinem Freund, dass sie in verschiedene Richtungen mit dem Radl abhauen und sich vor Juana verstecken. Sie ruft mich völlig aufgelöst in der Agentur an, seit einer Stunde würde sie Moritz suchen… wir organisieren einen Suchtrupp und Juana redet danach eine geschlagene Woche nicht mehr mit ihrem Schützling. Das zeigt Wirkung – dann doch lieber wieder Monopoly spielen! Und auch Juana liebt Moritz: „Er ist ein ganz besonderes Kind. Bestimmt wird er einmal sehr berühmt und dann kann ich voller Stolz sagen, ich war sein Aupair-Mädchen!“
Im November folgt dann das große Aha-Erlebnis: Der Winter kommt! Juana hat noch nie einen richtigen Winter erlebt. Da sie chronisch pleite ist und sich zum Aupair-Taschengeld immer noch einen Zuschuss von Mama schicken lässt, suchen wir den nächsten Secondhand-Laden auf und erstehen eine warme Jacke und eine Schneehose. Die nächste Überraschung: Schnee und Eis gehen Hand in Hand mit blauem Himmel und Sonnenschein! Das hatte sich Juana ganz anders vorgestellt. Sie dachte an monatelange Schneewolken ohne Sonne. Umso mehr Spaß haben wir als nun vierköpfige Familie bei langen Schlittenfahrten auf der Firstalm.
Der zehnte Geburtstag von Moritz steht ins Haus. Leider muss ich ausgerechnet zu diesem Termin beruflich nach Indien! Erst ist er ein wenig sauer, weil ich zum ersten Mal, seit er denken kann, an seinem Geburtstag nicht da bin. Aber dann tröstet ihn Juana: Sie bäckt ihm die heiß ersehnte Pokémon-Torte, alles easy. Mein Mann und Juana schmeißen problemlos den Kindergeburtstag. Als ich wieder aus dem Himalaya zurück bin, kriege ich die famose Torte nur noch auf dem Foto zu sehen. Moritz hat mich gar nicht vermisst, den indischen Holzelefanten findet er cool. So einen haben seine Freunde nicht!
Ein echter Nachteil von Wechsel-Aupairs: Das Visum ist kürzer als ein Jahr. So suchen wir nach einem Schlupfloch, damit sie noch ein paar Monate länger bleiben kann, und werden fündig. Offiziell ist Juana drei Monate bei unseren Freunden in der Schweiz zu Besuch, als Touristin darf sie so lange ohne Visum bleiben. So fahren wir für einen Einreisestempel in Juanas Pass bei Nacht und Nebel von München aus über die Schweizer Landesgrenze. Beim Zoll steigt Juana aus, blinkert den Zollbeamten an sie sei auf Europatour und würde Stempel sammeln… alles geht glatt, was sie nicht zuletzt ihrer Schönheit verdankt – und Moritz, der nun doch still hält. Zuvor gab es bei der Hinfahrt nämlich Streit auf der Rückbank und Moritz hatte gedroht, sie beim Zoll zu verpetzen. Zurück fahren wir über Österreich, damit wir an der Grenze nicht so auffallen mit unserer Hin-und-Her-Fahrerei. Todmüde sind wir erst lange nach Mitternacht zurück in München.
Auf diese Weise erlebt Juana noch unsere Hochzeit mit, sie fängt sogar den Brautstrauß. Drei Monate vor der Abreise beschließt sie, eine Diät muss her. Meine österreichische Küche ist ihr doch zu wohl bekommen. Zehn Kilo schwerer kann sie unmöglich nach Hause fliegen, das wäre ihr peinlich. Zum Abschied schenken wir ihr den heiß ersehnten Tandem-Flug mit dem Paragleiter. Selig schwebt unsere Juana hoch über dem Ammersee. Es wird für uns alle ein unvergesslicher, sonnendurchwärmter Herbsttag in bayerischer Traumkulisse. Wenige Tage später steht Juana mit zwei Koffern und drei riesigen Kartons vor mir. Ich mache ihr klar, dass sie für das Übergepäck beim Einchecken am Flughafen ein Vermögen zahlen müsste. Wir packen stundenlang alles um und bringen die Kartons zur Post. (Sie kommen erst Monate später, als wir sie schon verloren glauben, bei ihr in Argentinien an.) Am Flughafen verdrücken wir alle ein paar Tränen. Juana fliegt über London nach Südamerika zurück. Sie ruft uns aus London an, der Münchner Zollbeamte wollte genau wissen, was sie denn in der Schweiz gemacht hätte. Er entließ sie dann mit den Worten, er würde ihr zwar von ihrer Geschichte kein Wort glauben, aber sie solle in Gottes Namen nach Hause fliegen! Glück gehabt, und nicht zur Nachahmung empfohlen. Nach einigen Jahren Sendepause besteht heute wieder ein sehr netter Emailkontakt nach Argentinien. Juana ist glücklich verheiratet, (siehe oben!) hat zehn Jahre lang an der deutschen Botschaft von Buenos Aires gearbeitet und ist derzeit für eine Klimaschutz-Stiftung mit Projekten in Argentinien und Paraguay unterwegs.
Solcher Art zwölf Monate lang verwöhnt verbuchen wir Maria als klassischen Fehlstart und haben sie schon fast vergessen… gezwungenermaßen wenden wir uns der weiteren Aupair-Suche zu, wieder per bewährter SZ-Anzeige. Diesmal sind wir ja mit Erfahrung gesegnet und texten schon etwas...