"Kapitel 4.2, Strategische Ziele:
Für den vergleichsweise noch recht kleinen Anteil der Sparte Online-Marketing im Bereich Energie sind verschiedenen Ursachen verantwortlich. Denn die Mehrheit der Energieversorger beschränkt sich dabei noch darauf, die Unternehmensauftritte im Internet an die aktuellen Standards anzupassen. Wie bereits unter Punkt 3.1 zu sehen war, sind die meisten Anbieter vertrieblich (noch) nicht überregional aufgestellt, v.a. nicht die Stadtwerke. Bisher scheint dies wohl ein Grund dafür gewesen zu sein, im Internet - dem World Wide Web* - nicht in größeren Umfang für lokale Angebote zu werben. Deutlich aktiver sind dagegen die neuen Anbieter wie z.B. E-wie-einfach, Eprimo oder Yello, die nach der Liberalisierung in den Markt gestoßen sind und überregionale Angebote platzieren. Sie werden auch als Discount-, Billig- oder - in Anlehnung an ihre schlanke, kostengünstige Organisationsstruktur - „No-Frills-Anbieter“ bezeichnet. (engl.: „with no frills“ bedeutet im Deutschen „ohne Extras“ oder „ohne Schnickschnack“). Sie sind die „Aldi´s“ und „Ryan-Air´s“ des Energiemarktes.
Bei den drei genannten Anbietern handelt es sich um die neuen Ableger der etablierten Energieversorger. Hintergrund ist, dass Eon, RWE und EnBW klare Dachmarkenstrategien verfolgen. Mit den jungen Töchtern sind die Konzerne zu Strategien und Maßnahmen in der Lage, die mit den etablierten Marken nicht möglich sind – zum Beispiel einen vermeintlich aggressiven Preiswettbewerb über das neue Medium Internet. Die Alternative wäre gewesen, dass die Markenwerte der Konzerne verwässert oder gar in Gefahr gebracht worden wären. So dienen die neuen Marken dazu, dem Konzern im harten Wettbewerb preissensible oder ökologisch-orientierte Kundensegmente zu bedienen, die mit den etablierten Marken nicht (mehr) angesprochen werden können und zur Konkurrenz abwandern würden. Für die Konzerne ist es allemal besser, die Kunden auf Kosten eines niedrigeren Deckungsbeitrages im Konzernverbund zu halten, als sie ganz zu verlieren: Eine klassische Preisdifferenzierung über eine Mehrmarken-Strategie. Über die neuen, über-regionalen Töchter können günstigere, überregionale oder sogar bundesweit geltende Preise angeboten werden, während bei den Konzernmüttern weiterhin regional unterschiedliche Preise gelten.
So konnte es EnBW gleich zu Beginn der Liberalisierung schaffen, bei einem sehr hohen finanziellen Startaufwand, die Marke Yello in den Köpfen deutscher Stromkunden mit dem Attribut „billig“ zu verbinden – obwohl dies längst nicht immer der Fall ist.
Aus diesem Grund ist für das No-Frills-Segment in Zukunft noch mit viel Bewegung zu rechnen. Denn es ist fraglich, ob sich diese vermeintlichen Billiganbieter wirklich als echte Billiganbieter sehen und dementsprechend mit attraktiven Angeboten positionieren werden. Hierfür ist noch viel Platz für Abgrenzungen in punkto Preis oder Service. Denn wie später noch zu sehen sein wird, ist „serviceorientiert“ noch längst nicht das Gegenteil von „billig“. Eine Parallele zur Telekommunikations-Branche ist erlaubt. Denn dort konnte erst in einer sehr späteren Wettbewerbs-Phase, durch das Ausscheren von E-Plus mit der Markteinführung der Marke „Simyo“, Dynamik erzeugt werden. Vor diesem Hintergrund wird lt. einer Expertenbefragung der Accenture GmbH nach Wechselquoten von 1999 bis 2006 mit durchschnittlich nur etwa einem Prozent bis zum Jahr 2015 mit fünf bis zehn Prozent gerechnet. Dies deckt sich auch mit den Zielen der neuen Stromanbieter, die bis 2012 einen Anteil am Markt von 30 Prozent erreicht haben möchten. Bundesweit schätzt Accenture in Folge die Anzahl an verbleibenden Strommarken auf fünf bis zehn. Die Ein-Marken-Strategie dürfte so zum Auslaufmodell werden.
Für die etablierten Stromversorger bedeutet das, die starke Marktstellung verteidigen zu müssen. Mit Kundenbindungsstrategien und weiteren Sub-Marken sind die Bedürfnisse der verschiedenen Kundensegmente möglichst genau zu treffen. Als Beispiel kann dazu wieder die Entwicklung des Telekommunikationsmarktes herangezogen werden. Das Internet und ein per-sonalisiertes Internetportal steht dabei insbesondere bei den Kunden mit höherem Einkommens- und Bildungsniveau hoch im Kurs - auch bei den älteren Zielgruppen wie im nächsten Abschnitt noch zu sehen sein wird. Für die neuen Anbieter zählen dagegen vorerst nur Neukundengewinnungs-Strategien. Sekundär sind aber auch für diese Anbieter Kundenbindungs-Strategien wichtig, da sie ihre preissensiblen Kunden genauso schnell wieder verlieren können, wie sie sie gewonnen haben. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass die No-Frills dem Vertriebsweg Internet eine hohe Bedeutung beimessen. Denn allein schon wegen der neuen Preisrechner-Angebote wie Verivox.de finden sich die potenziellen und preissensiblen wechselwilligen Kunden v.a. im Internet. Doch den meisten Versorgern geht es nicht darum, um jeden Preis billiger zu sein. Online-Produkte, die aufgrund des reduzierten Serviceangebotes günstiger angeboten werden können, helfen ihnen, sich gegenüber der Billig-Konkurrenz am Markt zu behaupten. Denn vielen Kunden reicht es im ersten Schritt aus, wenn sie von ihrem bisherigen Anbieter einen günstigeren als den bisher abgeschlossenen zu bekommen. Dann wechseln sie nicht zur Konkurrenz (siehe dazu auch Punkt 2.1.2.). Dafür reicht es aus, sich im Mittelfeld der Rankings zu bewegen. Neben der Kundenbindung oder Neukundengewinnung ist aber nicht zuletzt auch vorher festzulegen, ob die jeweilige Online-Marketing-Kampagne eher konkret dem Abverkauf dienen oder auf das Konto Image und Bekanntheit gehen soll.
Zielgruppenanalyse:
Zielgruppendefinition „50plus“:
Im Zusammenhang mit dem strategischen Ziel steht auch die Analyse der Zielgruppe. Nachdem bereits die Stromkunden analysiert wurde, geht es nun um die von den Stromversorgern bisher wenig beachteten, aber sehr wichtigen Zielgruppe der ab 50-Jährigen. Die Verbindung zwischen den Senioren, der „Generation 50plus“, den „BestAger“, „Oldies“, „Goldies“, „Whoopies“ usw., wie die ältere Zielgruppe auch bezeichnet wird, und dem noch sehr jungen Zweig des Online-Marketing erschließt sich zu Beginn nicht so leicht. Ist das Online-Marketing nicht für die junge Zielgruppe der bis 29-Jährigen oder für die viel zitierte „werberelevante Zielgruppe“ der 14- bis 49-Jährigen“ prädestiniert? Eine Antwort auf diese Frage zu geben, ist Ziel dieses Abschnitts. Ein wesentlicher Grund ist die demographischen Entwicklung der Gesellschaft, in der ein rapider Alterungsprozess zu beobachten ist. Zählen heute (2004) bereits 37 Prozent oder 30 Millionen Personen der ca. 82 Mio. Deutschen in die ältere Zielgruppe, wird es im Jahr 2030 fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung sein.
Außerdem verfügt die ältere Generation in Deutschland heute über die Hälfte des Bruttogeldvermögens. Das sind beträchtliche 2 Billionen Euro. Dabei entwickelt sich die Kaufkraft darüber hinaus noch schneller als die der Jüngeren. Demnach ist lt. dem Marktforschungs-Unternehmen Icon Added Value das Bruttogeldvermögen der über 55-Jährigen von 1995 um 25 Prozent, das der unter 55-Jährigen dagegen nur um 16 Prozent gestiegen. Im Jahr 2007 gab es 40,23 Mio. deutsche Internetnutzer ab 14 Jahren – das sind 62,1 Prozent der deutschen Wohnbevölkerung. Der Unterschied in der demografischen Struktur des Internetnutzers ist durch den Einzug des Internets in allen Bevölkerungsschichten nur noch gering gegenüber der der Gesamtbevölkerung. 30,49 Mio. Internetnutzer gehören der Altersgruppe der 14- bis 49-Jährigen an und 9,75 Mio. zu den Ab-50-Jährigen. Auch die Geschlechterverteilung hat sich fast angeglichen. Nur in der älteren Zielgruppe sind weiterhin noch deutlich mehr Männer als Frauen im Internet zu finden, v. a. in der Gruppe ab 60 Jahren. Bei der Kaufkraft sind die Internetnutzer im Vergleich zu Gesamtbevölkerung deutlich solventer. Denn mit 22,65 Mio. haben die Hälfte der Internetnutzer ein monatliches Haushalts-Nettoeinkommen von 2.000 Euro und mehr, bei nur 17,59 Mio. von weniger als 2.000 Euro. Letztere Gruppe ist in der Gesamtbevölkerung fast doppelt so groß. Das gilt insbesondere für die Silver-Surfer, von denen nach einer AGOF-Studie (Arbeitgemeinschaft Online-Forschung e.V.) 7,3 Prozent über ein Nettoeinkommen von 4.000 Euro und mehr verfügen. Bei den Offlinern der gleichen Altersklasse sind es dagegen nur 1,1 Prozent. Auch das Bildungsniveau der Onliner ist auf einem hohen Niveau. 28,9 Prozent, das sind 11,62 Millionen User, besitzen die Hochschulreife bzw. einen Universitätsabschluss.
Ein erster flüchtiger Blick auf die Internetnutzung der älteren Zielgruppe bestätigt allerdings im ersten Moment die Vermutung, dass Online-Marketing für Senioren im Internet, den sog. „Silver Surfern“, nicht lohne. Ist die Zielgruppe der 14-29-Jährigen fast vollständig im Internet vertreten, ist es in der Zielgruppe der 50- bis 59-Jährigen nur etwas mehr als jeder Zweite und bei den Ab-60-Jährigen gerade mal jeder Vierte. Doch das Bild trügt.
Denn liegen die prozentualen Anteile der Senioren zwar deutlich hinten denen der internet-affinen jüngeren Zielgruppen zurück, weist die Betrachtung der zugrunde liegenden numerischen Werte in eine völlig andere Richtung. Lt. der ARD/ZDF-Online-Studie 2007 hat allein die Gruppengröße der Über-60-Jährigen mit 5,1 Mio. Internetnutzern erstmals die Gruppe der am stärksten im Internet vertretenen Gruppe der 14- 19-Jährigen mit 4,9 Mio. Nutzern zahlenmäßig überholt. Hier wird der demographische Wandel ganz deutlich: Erstmals sind ein Viertel der Zielgruppe 60plus im Internet mehr als alle 14- bis 19-Jährigen. Diese Entwicklung wird sich in Zukunft noch verstärken, denn Kinder beeinflussen das Surfverhalten ihrer Eltern. Das fand eine Studie der EIAA (European Interactive Advertising Association) gerade heraus. Außerdem werden die mit dem Internet vertrauten jungen und mittleren Zielgruppen auch zu Senioren und die Gewohnheiten „mitnehmen“. So verwundert es nicht, dass die Zielgruppe der Silver-Surfer die am schnellsten wachsende Gruppe der Internetnutzer ist."