Im Folgenden soll erläutert werden, was die Literatur unter der SDL versteht. Daher werden nun die Hauptthesen der wichtigsten Beiträge herangezogen, um eine lückenlose Definition der SDL zu realisieren. Ein überschaubarer Literaturüberblick in Tabellenform ist dem Anhang zu entnehmen (Grafik 1).
Begründer der Service Dominant Logic sind Robert F. Lusch und Stephen L. Vargo. Sie haben dieser Thematik dreißig Jahre Forschung gewidmet. Mit Ihrem ersten Beitrag, in dem sie zum ersten Mal die Service-Dominant Logic erwähnten, gewannen sie den AMA Maynard Preis für den besten Beitrag der Marketinggeschichte. Der Folgeartikel „Service-dominant logic: reactions, reflexions and refinements“ ist der meist zitierteste Artikel in der gesamten Geschichte des Journals of Marketing.[14]
Grundlage der SDL ist der Perspektivwechsel von einer statischen produkt-fokussierten zu einer dynamischen service-zentrierten Sichtweise.[15] Märkte, Organisationen und die Gesellschaft beruhen heute nicht mehr auf dem ökonomischen Austausch von tangiblen Gütern, sondern sind einem Austauschprozess von Dienstleistungen ausgesetzt, denn die Gesellschaft und die Wirtschaft haben sich grundlegend verändert. Die Struktur des gesamten Marktes hat sich gewandelt und Konsumenten haben völlig andere Präferenzen, Vorstellungen und Erwartungen. Wertgenerierung ist nicht mehr durch den Austausch tangibler Outputs definiert, sondern basiert auf der Integration intangibler Ressourcen.[16] Als Konsequenz wird der Wert durch Wissen und Kompetenzen geschaffen. Vargo und Lusch halten fest, dass Wert durch die kollaborative Anwendung von Wissen und Kompetenzen generiert wird, wobei der Kunde bzw. ganze Kundennetzwerke einbezogen werden.[17] Die logische Schlussfolgerung der Autoren ist deshalb, dass jede Wirtschaftstätigkeit eine Dienstleistung darstellt, jedes Unternehmen ist demnach ein Dienstleister.[18] Gemäß dieser Neuauslegung der mikroökonomischen Grundthesen, sind nicht die Güter, sondern Wissen, Kompetenzen und Fähigkeiten fundamental für den ökonomischen Austauschprozess. Kurz gesagt, jedes Produkt ist eine Dienstleistung und der Kunde ist immer Ko-Produzent.[19] Man produziert nicht mehr für den Kunden´, sondern mit dem Kunden.[20]
In dem Artikel „Evolving to a new Dominant Logic for Marketing“ berichten Vargo und Lusch zum ersten Mal von ihrer These der Service Dominant Logic. Sie fordern im Rahmen dieses Beitrages eine fundamentale Neuausrichtung der gesamten Marketing-Theorie.[21] Zunächst verdeutlichen Vargo und Lusch den Unterschied zwischen „operand resources“ und „operant resources“. Erstere sind solche Ressourcen, die man durch eine Handlung verändert, um einen Effekt zu erzeugen. Beispiele hierfür sind natürliche Ressourcen wie Öl. „Operant resources“ sind Ressourcen, die die „operand resources“ verändern oder andere „operant resources“ erzeugen und somit einen bestimmten Effekt erzeugen. Solche Ressourcen sind zum Beispiel Fähigkeiten und Wissen.[22] Man wendet zum Beispiel Wissen an, um Autos zu produzieren. Mit Hilfe der operanten Ressource Wissen, verändert man operande Ressourcen wie Metall, um ein Auto zu bauen und die Dienstleistung der konfortablen Möglichkeit des schnellen Fortbewegens anzubieten. Vargo und Lusch fordern einen Wechsel von der Konzentration auf „operand resources“, die tangibel sind, zu „operant resources“, die intangiblen Charakter besitzen.[23]
Die Autoren stellen in diesem Artikel den ihrer Meinung nach veralteten, auf die operanden Ressourcen beruhenden „Goods-Dominant Logic“ der Service-Dominant Logic gegenüber, die auf den operanten Ressourcen beruht. Im Mittelpunkt der Goods-Dominant Logic steht die effektive Produktion und der Verkauf standardisierter tangibler Güter. Hierbei ist das Hauptziel die Gewinnmaximierung im Hinblick auf dem Verkauf dieser Güter.[24] Die SDL basiert hingegen auf der kollaborativen Wertgenerierung durch die Identifikation, die Entwicklung und dem Austausch von Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen. Im Rahmen dieses Prozesses wird der Kunde in den Wertschöpfungsprozess integriert. So können kundenspezifische Lösungen entwickelt werden, welche genau den Bedürfnissen der Konsumenten angepasst sind.
Die Herleitung der SDL wird im Rahmen des Artikels: „Service-Dominant Logic as a Foundation for a general Theory“ realisiert. Die Basis für den von Lusch und Vargo geforderten Paradigmenwechsel, der mit Hilfe der SDL vollzogen werden soll, sind zwei grundlegende Kritikpunkte am gesamten Marketing:
(1) Das Marketing ist keine eigenständige Theorie[25] (2) Das Marketing basiert auf veralteten mikro-ökonomischen Annahmen[26]
Die Autoren stellen in ihrem Beitrag fest, dass das Marketing nicht den Charakter einer allgemeingültigen Theorie besitzt, da es auf mikro-ökonomischen Annahmen beruht. Außerdem entsprechen diese nicht mehr den heutigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten. Denn die Mikroökonomik besitzt zwar ihre eigene theoretische Basis, wurde jedoch vor dem Hintergrund eines anderen sozialen und wirtschaftlichen Kontextes hergeleitet.[27] Dieser mikro-ökonomische Hintergrund stimmt durchaus mit den Grundgedanken des sich gerade entwickelnden Marketings des späten 19. Jahrhunderts überein, doch ist nicht mit den Erneuerungen und fundamentalen Entwicklungen der letzten fünfzig Jahre vereinbar. Denn der Mittelpunkt der Mikroökonomie liegt auf dem effektiven Austausch von tangiblen Output eines Produktionsprozesses. Zu den Gründungszeiten des Marketings hat diese volkswirtschaftliche Basis zwar zum Marktverständnis beigetragen, da damals primär tangible Güter getauscht wurden und keine zusätzliche Dienstleistung angeboten wurde.[28] Des Weiteren hat sich die gesamte Marktstruktur verändert.[29] Die meisten Märkte sind gesättigt und Unternehmen richten ihre Marketinginstrumente darauf aus, sich vom Wettbewerb zu differenzieren. Zu den Entstehungszeiten des Marketings waren die Märkte jedoch ungesättigt und das Marketing eines Unternehmens hatte andere Aufgaben als die heutigen Großkonzerne. Diese Marktsituation hat sich grundlegend geändert. Es traten mehr und mehr Unternehmen in den Markt und aufgrund von technischen Fortschritten wurden die Konsumenten immer anspruchsvoller. Heutige Unternehmen wissen, dass man zusätzlich zu jedem Produkt immer einen Zusatz-nutzen kommunizieren muss. Die Tabelle in Kapitel 1 unterstreicht diese Thesen von Vargo und Lusch und hat gezeigt, dass der Anteil der Dienstleistungen deutlich zugenommen hat, wohingegen der Anteil des produzierenden Gewerbes kontinuierlich abnimmt. Das Fazit von Lusch und Vargo ist daher, dass das Marketing auf wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten gegründet wurde, die nicht mehr den Heutigen entsprechen. Heute werden vor allem Dienstleistungen vermarktet und selbst tangible Güter mit einem Zusatznutzen, so dass man alle Produkte auch als Dienstleistungen vermarkten kann. Die Marketingfachmänner und Forscher sprechen deshalb nicht mehr von Produkten, sondern von Leistungen. Die SDL soll dem Marketing deshalb zu einer fundamentalen Neuausrichtung verhelfen.[30]
Diese Ausarbeitung hat zum Ziel die SDL durch einen Fragebogen zu operationalisieren. Die zehn Foundational Premises stellen eine gute theoretische Basis zur Konzipierung des Fragebogens dar, weil Vargo und Lusch diese zehn Grundthesen definiert haben, um alle Aspekte der SDL übersichtlich und vollständig darzustellen. Aus diesem sind die zehn FP´s sehr gut als Orientierungshilfe zur Entwicklung des Fragebogens geeignet. Ursprünglich gab es acht FP´s, es wurde dann eine neunte hinzugefügt. In dem Artikel „Service-dominant Logic - continuing the revolution“ fügen Vargo und Lusch außerdem eine zehnte Prämisse hinzu und optimieren die zehn FP´s, so dass sie zehn modifizierte FP´s vorstellen. Da die modifizierten Prämissen die aktuellsten Grundthesen der SDL sind, werden diese und nicht die ursprünglichen Thesen in dieser Arbeit verwendet. Eine übersichtliche Erläuterung der Prämissen ist im Anhang zu finden (Grafik 2). Im Folgenden sollen nun die zehn FP´s ausführlich beschrieben werden. Die Tiefeninterviews dienten nicht nur der Optimierung des Fragebogens, sondern außerdem der Überprüfung der Gültigkeit der zehn FP´s. Aus diesem Grund wird im Rahmen der Erläuterung einer jeden Prämisse hinzugefügt, ob die Interviewpartner dieser Prämisse zustimmen oder diese ablehnen.
1. Foundational Premise:
„Service is the Foundational basis of exchange.“[31]
Diese erste Prämisse soll aufzeigen, dass nicht mehr tangible Güter oder Produkte die Basis des ökonomischen Austauschprozesses darstellen, sondern die zu erbringende Dienstleistung.
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