Nein, diese Herren sind mir nicht sympathisch
Das gewaltige Bauwerk ist schon von Weitem zu sehen – dräuende Türme, Wehrmauern, rote Dächer groß wie Fußballplätze über einem Riesenberg von Backsteinen. Näher wird der Blick möglich in einst wassergefüllte Tiefen, Schluchten, Abgründe von Gräben, und dann über die Holzbrücke und unter dem Fallgitter mit den eisernen Gegengewichten hindurch in die einstige Feste des Deutschen Ritter-Ordens – die Marienburg, heute Malbork!
Eine Museumsreise soll das nicht werden – ich will zu den Urgesteinen, den sichtbaren Zeugnissen der ebenso höllisch heißen wie tief verfrosteten Geschichte Ostpreußens.
Im Innenhof des Mittelschlosses dann, rechts, die Fassade des Hochmeisterpalastes und des Großen Remters, vor mir das Hochschloss mit dem Kapitelsaal und der Marienkirche – geronnener Herrscherwille. Das schießt hier steil aufwärts, mauergeschützt, mit Rundtürmen und Spitzdächern, Erkern und Säulen, dass es einem die Sprache verschlagen will. Und da sind sie auch schon, martialische Gestalten, bronzepoliert, nicht nur Deutsche Ordensritter schlechthin, sondern die berühmtesten Hochmeister des Ordens: Hermann von Salza, Friedrich von Feuchtwangen, Winrich von Kniprode und Markgraf Albrecht von Brandenburg-Ansbach. Bis vor Kurzem noch hatten sie vernachlässigt in einer Hofnische gestanden, wie bestellt und nicht abgeholt. Aber nun sind sie eindrucksvoll postiert im Herzen ihrer Hauptfeste und in großer Nähe zu Haufen von steinernen Kugeln, bei deren Anblick man sich fragt, wie diese planetenschweren Rundbrocken wohl in Kanonenläufe gelangt sein konnten. Das allerdings war noch nicht die Sorge der Kreuzritter, die 1198 den geistlichen Ordo domus Sanctae Mariae Theutonicorum mit Sitz im morgenländischen Akko aus der Taufe gehoben hatten – dieses Zeitalter kannte noch kein Schießpulver. Dabei hätten die Deutschritter das Monopol darauf gut brauchen können, denn das Ende des Kreuzzugtaumels war bereits absehbar – den Rittern drohte Arbeitslosigkeit.
Deshalb wohl kam Hermann von Salza 1226 nur zu gern dem Ersuchen des polnischen Herzogs Konrad I. von Masowien nach, ihm gegen die »heidnischen Prußen« zu Hilfe zu eilen. Der Preis: die Herrschaft des Ordens über das Culmer Land.
Beschweren konnte sich der Fürst wahrlich nicht – die Deutschen kamen ihrem Auftrag der Unterwerfung und Christianisierung so gründlich nach, dass nur wenige Prußen übrig blieben.
Mir wird übrigens immer ganz schlecht, wenn ich in diesem Zusammenhang von den »heidnischen Prußen« lese – als wären für sie die geharnischten Christen keine Heiden gewesen!
Aber nun war es vorbei mit dem prußischen Göttertriumvirat Perkunos, Potrimpos und Pikollos, mit dem Baumgott Puschkaytos und mit Pergubrios, der das Laub und das Gras wachsen ließ. Auch die Kornmutter Babainsa wurde vom Kreuz gleich mit erschlagen, ebenso wie Topich, der Wassergeist, den die Prußen sich vorstellten als ein kleines Männchen mit rotem Anzug, ewig nassem Haar und immer bereit, sein nächstes Opfer erbarmungslos in einem seiner tausend Seen zu ertränken.
Genauso außer Kraft gesetzt vom Schwert der Deutschritter waren die siebzehn Gebote des Kriwaitos, obwohl sie doch in manchem stark an die zehn des Alten Testaments erinnerten. Zum Beispiel, dass das Weib dem Manne untertan und Ehebruch natürlich nur der Frau zur Last zu legen sei. Was allerdings ganz in diesen Geboten fehlte, war die Nächstenliebe. Aber das hatte schließlich nichts anderes zu bedeuten, als dass die Prußen sich nicht ständig mit dem Hauptproblem von Christen herumzuschlagen hatten, nämlich ihrem schlechten Gewissen angesichts all der guten Taten, die man hätte tun sollen, aber nie getan hat.
Trotz gemeinsamem Glauben kam es dann zwischen Herzog Konrad und den Deutschrittern zu schwerem Zwist – wollten die Sieger doch nach getaner Arbeit nicht mehr bloß seine Lehensleute, sondern autonome Herren sein. Spätestens bei dieser Eröffnung dürfte dem Herzog aufgegangen sein, welch eiserne Laus sich da mit seiner Hilfe im polnischen Pelz festgebissen hatte.
Dazu noch hatte sich das Zentrum des Ordens innerhalb von vierzig Jahren in bedrohliche Nähe verlagert. Als Montfort, die letzte Christenfeste im Orient, 1271 endlich gefallen war, quartierten sich die Deutschritter erst nach Venedig um und 1309 von dort dann, berstend vor Reichtum und Energie, auf die Marienburg.
Deutsche Lexika, Schul- und Historienbücher pflegen an dieser Stelle rege Kultivierung und Besiedlung des Ordenslandes zu vermerken; löbliche Zivilisierung und Missionierung der Einheimischen oder, genauer, ihrer Reste; einen blühenden Aufschwung der Wirtschaft, der unter dem Hochmeister Winrich von Kniprode in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts dann unzweifelhaft einen Höhepunkt erreichte. Aber die Geschichte der Deutschritter und den Schwerpunkt ihres Wirkens vor allem aus diesem Blickwinkel zu beurteilen (wie es die Vertriebenenpresse seit eh und je kategorisch tut), bestätigt nur wieder jene selektive Wahrnehmungsfähigkeit, die in der Sackgasse deutschtümelnder Apologetik steckenbleibt.
Was sich da am nordöstlichen Rand des Heiligen Römischen Reiches (und bald schon weit über dessen Grenzen hinaus im Baltischen) eingekrallt hatte, das war die effizienteste, rücksichtsloseste und schlagkräftigste Militärorganisation ihrer Zeit, ein feudaltheokratisch orientierter Staat mit eigenen Gesetzen, geschriebenen und ungeschriebenen. Hier wurde nicht pazifiziert, hier wurde blutig annektiert, war ein Machtzentrum entstanden, das auf Eroberung aus war. Keine seiner imponierenden Investitionen in Bauten und Verwaltung, in Landwirtschaft und Manufaktur kann darüber hinwegtäuschen, dass sich mit dem Deutschen Orden im Ostseegebiet, im Culmer Land, in Pommerellen und hoch hinauf bis Riga eine skrupellose Gewalt eingenistet hatte, ein einziger zielgerichteter und für alle Nachbarn äußerst gefährlicher Expansionswille. Und die Trutze an der Nogat, die Marienburg – sie war der zu Stein, zu Türmen, Wällen, Mauern gewordene Ausdruck jenes geradezu ungeheuerlichen Überlegenheitsgefühls, das die Gestalten der vier Hochmeister auf dem Innenhof des Mittelschlosses auch noch in der metallenen Nachahmung ausströmen mit ihren steinernen Mienen, den Faltenwürfen ihrer Umhänge über der Rüstung, der ganzen erzgepanzerten Erscheinung.
Nein, diese Herren sind mir nicht sympathisch!
Das ist ein Satz, der sich mir nicht nur spontan während dieses ersten Besuches der Marienburg formte, sondern der auch bei allen folgenden Aufenthalten wiederkehrte – noch jedes Mal graute mir vor den Hochmeistern.
Was nicht das Mindeste ändert an der Faszination, die ihre Hinterlassenschaft auf mich ausübt, die Großartigkeit der Architektur und ihre erhabene Wucht – die Schlosskirche und die Vorburg; der mächtige Graben zwischen dem Hoch- und dem Mittelschloss; das Brückentor mit seinen spitzen, an Lübecks Holstentor erinnernden Bedachungen; der schlanke Finger des Buttermilchturmes; der Dansker, sozusagen die Sanitäranlage des Komplexes, über dem Fluss.
Aber mehr noch werde ich berührt, wenn der Alltag, wenn Arbeit, wenn Stätten des Gesindes sichtbar werden. Da ist der Brunnen mit dem Unterbau aus dem 14. Jahrhundert und einer Tiefenausschachtung, die für ihre Zeit eine technische Meisterleistung sondergleichen gewesen sein muss – verdursten jedenfalls konnte hier niemand. Dann die Küche mit ihrem überraschend niedrigen Gewölbe, das Massiv des eisernen Herdes, die Riesentöpfe, Holzschaufeln, irdenen Krüge, die Äxte, um Fleisch und Knochen zu zerteilen. Dann der Tisch! Eine tonnenschwere Platte, gedunkelt in Jahrhunderten, wie aus einem Stück und die Frage provozierend: Aus welchem gefällten Baummonument herausgesägt? Auch hier, und nicht nur in ihren Palästen, haben sie gesessen, die großmächtigen Herren, hier haben sie gefressen und gesoffen und ihre nächsten Pläne ausgekungelt – und sich mehr und mehr Sorgen gemacht. Denn der gut 200-jährige Kampf zwischen den Deutschrittern und den vereinten Polen und Litauern, er ging für den Orden verloren. Schon ein Jahrhundert nach Gründung der Marienburg, am 15. Juli 1410, läutete die Schlacht bei Grunwald (Grünfelde), die die deutschen Historiker im nahe gelegenen Tannenberg (Sztymbark) ansiedeln, den Niedergang ein – eines der großen, ganz und gar unvergessenen Daten in der Geschichte Polens.
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Sein Denkmal befindet sich südlich von Olsztynek (Hohenstein), seitab der Straße nach Warschau, vorbei an Seen, durch Felder, Wälder und jene unbeschreiblichen Baum- und Blätterkorridore, die den Ruhm des Landes ausmachen und von denen noch zu singen und zu sagen sein wird – den herrlichen Alleen!
Die Gedenkstätte Grunwald ist schon kilometerweit vorher auszumachen, markiert durch eine Stele, eine Riesennadel, die sich scharf gegen den hellen Himmel abhebt und vom Eingang her, jetzt im Frühling eskortiert von wahren Milchblumenteppichen und grellem Vogelgezwitscher, über einen langen Anmarschweg erreicht werden kann. Aber nur, um sich von nahe als einfallsloses Dekor zu entpuppen, als entseelte Äußerlichkeit, sozialistischer Realismus in Reinunkultur. Der Horror wird noch verstärkt durch einen steinernen Block, aus dem kantige Profile, erschreckende Physiognomien herausgehauen sind – gewaltige Nasen, Ritter, Überwinder, Eisenmänner auch sie. Das geht fünf Stufen hoch, auf denen...