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Prinzipien des Eigengewichtstrainings
Das SAID-Prinzip und Progressive Belastungssteigerung
Im Körper regiert das SAID-Prinzip über alles. SAID (Specific Adaptation to Imposed Demand) ist die spezifische Anpassung an gestellte Anforderungen. Franklin Henry definierte es für seine These zum motorischen Lernen, doch trifft es auf alle Körpersysteme zu – von Muskeln über das Nervensystem bis zum Bindegewebe. Das Konzept ist einfach und unkompliziert. Wenn Sie durch intensives Training ausreichend Belastung auf Muskeln und Nervensystem ausüben, passt sich Ihr Körper mit Kraftsteigerung und Muskel-Hypertrophie – Muskelaufbau – daran an. Mit der Zeit wirken sich die stetigen weiteren Belastungssteigerungen auf diese Körpersysteme als umfangreiche kräftemäßige, hypertrophische und bindegewebsintegrierende Adaptationen aus. Dies nennt man Progressive Belastungssteigerung.
Thomas Delorme erprobte als Erster das Konzept der Progressiven Belastungssteigerung in seiner Rehabilitation von Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg. Progressive Belastungssteigerung ist das Schlüsselkonzept allen Kraft- und Muskelaufbautrainings, einschließlich Hantel- und Bodyweight-Training. Allgemein gilt, dass Sie kontinuierlich mehr Gewicht auf die Hantelstange legen müssen, um Kraft und Muskelaufbau zu steigern. Bei Eigengewichtübungen müssen Sie ebenso einen Weg finden, die Übung schwieriger zu machen, das heißt, den Körper progressiv mit mehr Gewicht zu belasten. Hier erzielen Sie das durch Veränderung der Hebelwirkung.
Zwischen Hantel- und Eigengewichtübungen gibt es einige Unterschiede. Muskelkraft ist jedoch grundsätzlich eine Art der Kraft. Daher beobachtet man Kraft- wie Muskelmassesteigerung, wenn Muskeln und Nervensystem durch progressiv aufeinander aufbauende Eigengewichtübungen immer stärker belastet werden. Im Oberkörperbereich entsprechen korrekt ausgeführte Eigengewichtübungen in ihrer Wirkung auf Kraft- und Muskelzuwachs dem Gewichtstraining. Im Unterkörperbereich unterliegen sie leicht. Dies ist ein weiteres Schlüsselkonzept, das Sie im Kopf haben sollten, wenn Sie ein Trainingsprogramm für Ihre Ziele evaluieren und zusammenstellen.
Hebelwirkung
Hebelwirkung ist der mechanische Vorteil, den der Einsatz eines Hebels bringt. Ein einfaches Beispiel dafür ist eine Wippe. Wenn ein Erwachsener auf dem einen Ende und ein Kind auf dem anderen sitzt, kippt die Wippe auf der Seite des Erwachsenen nach unten. Wenn dieser zur Wippenmitte vorrutscht – was seinen mechanischen Vorteil durch den Körpergewichtsunterschied schmälert –, beginnt die Wippe wahrscheinlich, sich auf bzw. ab zu bewegen. Das Ziel fortgeschrittener Eigengewichtskraftübungen ist es, die Hebelwirkung zu verkleinern. Dies reduziert den mechanischen Vorteil der Muskeln in einer Übung und erhöht den Kraftaufwand, den sie für bestimmte Haltungen oder Bewegungselemente leisten müssen. Damit lässt sich erstaunliche Kraft aufbauen, ohne Einsatz externer Gewichte.
Die Hebelwirkung wird in progressiven Eigengewichtübungen vor allem auf zwei unterschiedlichen Wegen reduziert: Veränderung der Körperhaltung und Veränderung der Muskellänge.
1. Veränderung der Körperhaltung verringert Hebelwirkung
Sowohl bei der Stützwaage (Planche) wie bei der Hangwaage (Front Lever) sind Veränderungen der Körperhaltung möglich, um die Übung schwerer zu machen. Hier einige der Stützwaage-Progressionen:
Je mehr der Körper gestreckt wird – von der Stützwaage mit angehockten Beinen (Tuck Planche) über die Stützwaage mit gegrätschten Beinen (Straddle Planche) in die Stützwaage mit geschlossenen Beinen (Full Planche) –, desto schwieriger wird die Übung. Die Knochen sind die Hebel, die Gelenke agieren als Drehachsen und die Muskeln erzeugen Kraft. Sie üben Kraft auf die Knochen (Hebel) aus, die sich um die Gelenke (Drehachsen) herum bewegen, um Gewicht gegen die Schwerkraft zu bewegen und externe Objekte in Ihrer Umgebung zu manipulieren.
Bei der oben gezeigten Stützwaage-Progression bewegt sich das Körpermassezentrum durch Strecken des Körpers weiter von den Schultern weg. Dies erhöht das auf die Schultern wirkende Drehmoment, die Kraft, die um eine Rotationsachse herum wirkt. In der Physik gilt die Formel Drehmoment = Kraft x Weg. Weil das Körpermassezentrum von den Schultern wegbewegt wird, erhöht sich das Drehmoment. Da unsere Körper auf diesem Hebelwirkungsprinzip aufbauen, können alle auf Muskeln wirkenden Kräfte auch als auf sie wirkende Drehmomente bei bestimmten Gelenkstellungen verstanden werden. Dies ist die Grundlage der Biomechanik.
2. Muskeln sind in Ruhelänge am stärksten
Muskeln sind in ihrer Ruhelänge am stärksten, weil dies der Zustand ist, in dem die größte Menge an Querverbindungen gebildet werden kann. Eine sehr einfache Erklärung ist, dass sich Querverbindungen dann bilden, wenn die kontraktilen Muskelelemente – Myosin und Aktin – sich überlappen und das Myosin mechanisch in Gegenrichtung des Aktins zieht, das den Muskel kontrahiert. Wenn wir Muskeln nun verkürzen oder verlängern und den Körper mit leichtem Gewicht belasten, stimulieren wir die gleiche Adaptation wie mit einem schwereren Gewicht.
Dies funktioniert deshalb, weil maximale oder submaximale Kontraktionen ähnliche Nerven- und Muskel-Adaptationen hervorrufen, egal wie groß die Kraft ist, mit der die Muskeln belastet werden. Bizeps-Curls (Curls: Kurzhantel-Armbeugen) auf der Schrägbank sind beispielsweise viel schwieriger als normale Bizeps-Curls im Stehen oder als Preacher Curls. Im Liegen wird der Arm leicht hinter den Körper geführt, was den Bizeps in eine verlängerte Position bringt. Die kontraktilen Fasern überlappen dadurch weniger stark. Dies bedeutet, dass Sie nicht so viel Gewicht schaffen, wie bei den anderen Curl-Varianten. Die gewonnene Kraft- und Masse-Adaptation ist jedoch ähnlich, obwohl Sie in der Bewegung mit weniger Gewicht arbeiten.
Ähnliche Phänomene gibt es bei vielen Eigengewichtübungen. Klimmzüge (Pull-ups) sind z. B. typisch dafür. Häufig sieht man Videos von Personen, die Klimmzüge nicht im vollen Bewegungsumfang ausführen. Sie kommen kaum mit dem Kinn über die Stange und erreichen im Ausgang der Bewegung nicht den vollen Hang mit durchgestreckten Armen. Der Grund für diese Kürzung des Übungsradius ist, dass die Übung im endgradigen Gelenkbereich oft schwieriger wird. Mit dem kürzeren Radius gelingen mehr Wiederholungen, was beeindruckender zu wirken scheint. Allerdings liegt etwas Wahres in dem Verdacht, dass Personen, die den Bewegungsumfang von Übungen verkleinern, sich selbst um ihren vollen Leistungs-, Kraft- und Hypertrophie-Vorteil betrügen.
Das Phänomen, Muskeln kurz vor Erreichen ihrer Endstellung in einen verkürzten oder verlängerten Zustand zu bringen, nennt sich aktive bzw. passive Insuffizienz. Es ist in der folgenden Muskel-Längen-Spannungs-Kurve illustriert.
Aktive Spannung ist die Kraft, die Sie erzeugen, wenn Sie einen Muskel freiwillig anspannen. Passive Spannung passiert, wenn Sie einen Muskel sehr weit, bis an die Grenze seiner maximalen Streckung dehnen. An diesem Punkt wirkt Spannung auf die Bindegewebe wie Bänder und Gelenkkapseln. Rezeptoren im Muskel (die Muskelspindeln) senden Feedback an das Nervensystem und melden, dass der Muskel zu stark gedehnt ist. Dies alarmiert das Nervensystem dazu, den Muskel zu aktivieren, sodass der Körper ihn unfreiwillig kontrahiert. Daher kontrahieren Ihre Muskeln, wenn Sie sie bei Dehnübungen wie im Stretching maximal strecken.
Wenn wir einen Muskel in seinen verkürzten oder längsten Zustand bringen – in dem die aktive Kraft, die wir mit ihm erzeugen können, am niedrigsten ist –, können wir damit ohne zusätzliches Gewicht einen Krafttrainingsreiz setzen. Fortgeschrittene Kraftübungen an Ringen, bei denen die Arme perfekt gestreckt gehalten werden, etwa beim Kreuzhang (Iron Cross), sind ein perfektes Beispiel. Die durchgestreckten Arme bringen den Bizeps fast auf maximale Länge und erfordern so einen erheblichen Kraftaufwand und Muskelmasse, um die Übung sicher ausführen zu können.
In der Stützwaage wird der vordere Deltamuskel (Hauptschultermuskel) weiter gestreckt als etwa beim Schulterdrücken (Overhead Press). Der mechanische Vorteil ist kleiner und der Körper passt sich an diese Belastung an, indem er Muskelkraft und -masse erhöht. Daher haben Turner, die die Stützwaage beherrschen, typischerweise größere Schultermuskeln und außergewöhnlich viel Kraft. Es gibt Geschichten von Turnern, die die Stützwaage ausführen können und beim Bankdrücken (Bench Press) das Zweifache ihres Körpergewichts stemmen,...