1 Einführung
In den fast 200 Jahren seit der Erstbeschreibung durch James Parkinson in seiner Arbeit »An Essay on the Shaking Palsy« (Parkinson, 1917) haben die klinisch tätigen Neurologen gelernt, dass James Parkinson ein Syndrom und keine Krankheitsentität beschrieben hat. Als Syndrom ist der Parkinsonismus nach den derzeit gebräuchlichen Kriterien der englischen »Hirnbank« (»United Kingdom Parkinson’s Disease Society Brain Bank«) durch die obligate Brady- oder Hypokinese und mindestens eines der folgenden Symptome gekennzeichnet (Tabelle 1.1): Ruhetremor, Muskelrigor und/oder eine Störung der Stellreflexe (für Details siehe auch Kapitel 2.6.1 [Hughes, 1997; Hughes et al., 2002; Hughes et al., 1993; Hughes et al., 1992]).
Dabei darf die Störung der Stellreflexe naturgemäß nicht durch eine Störung des visuellen, vestibulären, zerebellären oder propriozeptiven Systems verursacht sein. Ein isolierter Ruhetremor darf also entsprechend dieser Definition nicht zu der syndromalen Diagnose eines Parkinson-Syndroms führen. Dieses charakteristische klinische Syndrom kann durch ganz unterschiedliche ätiologische und pathophysiologische Veränderungen bedingt sein. In aller Regel sind jedoch Kerngebiete der Basalganglien und hier insbesondere das Corρus striatum oder das nigro-striatale dopaminerge System betroffen. Ein Parkinson-Syndrom wird bei einer Vielzahl von Erkrankungen beobachtet, so beim idiopathischen Parkinson-Syndrom (IPS oder Morbus Parkinson), sozusagen dem Archetyp des Parkinson-Syndroms, anderen neurodegenerativen Erkrankungen und seltenen (häufig hereditären) neurologischen Erkrankungen, aber auch sekundär bei infektiösen, metabolischen oder toxischen Erkrankungen des zentralen Nervensystems.
Tab. 1.1: Definition des Parkinson-Syndroms
- Bradykinese (obligat)
und mindestens eines der folgenden Symptome:
- Rigor
- 4–6 Hz Ruhetremor
- Störung (Verminderung) der Stellreflexe, die nicht durch eine Störung des visuellen, vestibulären, zerebellären oder propriozeptiven Systems erklärt werden kann
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Zeichen für ein Parkinson-Syndrom finden sich häufig in der neurologischen Untersuchung des älteren Menschen. Eine Populations-basierte klinische Untersuchung auf ein Parkinson-Syndrom (definiert als zwei der vier Kardinalsymptome Bradykinesie, Rigidität, Tremor oder Gangstörung) an Menschen über 65 Jahren ergab eine Prävalenz von 14,9 % für Menschen zwischen 65 und 74 Lebensjahren, 29,5 % für solche zwischen 75 und 84 Jahren und 52,4 % für solche über 85 Lebensjahre (Bennett et al., 1996). Damit ist das Parkinson-Syndrom eine der häufigsten neurologischen Störungen, insbesondere im höheren Lebensalter. Das Todesrisiko insgesamt ist für diese Menschen doppelt so groß wie das einer vergleichbaren Kontrollpopulation. Die Gangstörung ist dabei der wesentliche Risikofaktor. In einer post-mortem-Kohorte von 620 Fällen mit Parkinson-Syndrom zeigten 79 % der Fälle die Pathologie des IPS, 10,2 % der Fälle zeigten eine andere neurodegenerative Erkrankung (z. B. Multisystematrophie [MSA] oder progressive supranukleäre Paralyse [PSP]) und 10,8 % der Fälle waren auf eine sekundäre (symptomatische) Ursache zurückzuführen (Jellinger, 1996).
1.1 Klassifikation der Parkinson-Syndrome
Bei dem überwiegenden Teil der Patienten mit einem Parkinson-Syndrom sollte es heute möglich sein, bereits in der Frühphase der Erkrankung eine korrekte Diagnose zu stellen. Neben den klinischen Charakteristika und Diagnosekriterien helfen moderne Zusatzuntersuchungen weiter, die eine frühzeitige Erkennung spezifischer neuronaler Defizite erlauben. Gelegentlich kann jedoch die Zuordnung aufgrund der klinischen Symptomatik, insbesondere wegen fehlender Daten aus der Krankengeschichte bezüglich der Progression und der Sequenz der Symptomentstehung, schwierig sein. Die wichtigsten Instrumente zur Diagnose und Differentialdiagnose des Parkinson-Syndroms sind die Anamnese, die klinische Untersuchung und insbesondere die klinische Verlaufsbeobachtung. Die genaue diagnostische Zuordnung zu den Entitäten hat für den Patienten aufgrund der spezifischen Prognose und der individuellen Behandlungsstrategien der einzelnen Erkrankungen eine erhebliche Bedeutung.
Neuere kliniko-pathologische Studien konnten eine Vielzahl von klar definierten Erkrankungen mit Parkinson-Syndrom abgrenzen, die zumindest neuropathologisch eindeutig diagnostiziert werden können (Tabelle 1.2). Es werden heute die degenerativen Parkinson-Syndrome von anderen neurologischen Erkrankungen mit Parkinson-Syndrom und den sekundären (symptomatischen) Parkinson-Syndromen unterschieden. Die degenerativen Erkrankungen mit im Vordergrund stehender Parkinson-Symptomatik werden heute in zwei große Gruppen unterteilt:
- Erkrankungen mit intrazellulären Anreicherungen des Proteins α-Synuklein (die sogenannten Synukleinopathien)
- Erkrankungen mit Anreicherungen und/oder pathologischer Hyperphosphorylierung des Mikrotubuli-assoziierten Proteins Tau (Tauopathien).
Zu den Synukleinopathien gehören das idiopathische Parkinson-Syndrom (Morbus Parkinson), die meisten der genetisch bedingten Parkinson-Syndrome, die Multisystematrophie (MSA) und die Demenz mit Lewy-Körperchen (»dementia with Lewy bodies [DLB]«). Die Tauopathien mit dominantem Parkinson-Syndrom umfassen die progressive supranukleäre Paralyse (PSP, früher: Steele-Richardson-Olzewski-Syndrom) und die kortikobasale Degeneration (CBD). Die früher übliche Unterteilung in das IPS und die atypischen Parkinson-Syndrome (MSA, DLB, PSP, CBD) ist zugunsten der neuropathologischen Klassifikation verlassen worden. Im klinischen Alltag wird sie jedoch nach wie vor häufig verwendet. Ungenaue und nichtssagende Diagnosen oder Begriffe (wie z. B. Parkinson-Plus-Syndrom) sollten nicht verwendet werden.
Tab. 1.2: Synopsis der Erkrankungen und Ursachen von Parkinson-Syndromen
- Degenerative Synukleinopathien
- Idiopathisches Parkinson-Syndrom (Morbus Parkinson)
- Hereditäre (familiäre) Parkinson-Syndrome
- Multisystematrophie (MSA)
- Demenz mit Lewy-Körperchen (DLB)
- (REM-Schlaf-Verhaltensstörung)
- Degenerative Tauopathien
- Progressive supranukleäre Paralyse (PSP)
- Kortikobasale Degeneration (CBD)
- Andere Erkrankungen mit Parkinson-Syndrom
- Morbus Wilson
- Morbus Huntington
- Spinozerebelläre Ataxien (SCA)
- Doparesponsive Dystonie/Parkinsonismus
- Frontotemporale Demenzen
- Neuroakanthozytose Syndrome
- Sekundäre Parkinson-Syndrome
- Infektöse und parainfektiöse Parkinson-Syndrome
- Medikamenteninduzierte Parkinson-Syndrome
- Toxische Parkinson-Syndrome
- Metabolische Parkinson-Syndrome
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Im Gegensatz zu diesen neurodegenerativen Erkrankungen steht bei anderen neurologischen Erkrankungen, die mit einem Parkinson-Syndrom vergesellschaftet sein können (siehe Tabelle 1.2), das Parkinson-Syndrom nicht im Vordergrund oder tritt nur unregelmäßig oder selten in Erscheinung. Dementsprechend gehört es hier in der Regel auch nicht zu den diagnostischen Kriterien. Diese Erkrankungen spielen jedoch in der Differentialdiagnose des Parkinson-Syndroms, insbesondere des juvenilen Parkinson-Syndroms eine erhebliche Rolle. Bei den sekundären (symptomatischen) Parkinson-Syndromen liegt der Bewegungsstörung eine primär nicht-neurologische Störung zugrunde. Hier sind die medikamenteninduzierten, die toxischen/metabolischen und die infektiösen/parainfektiösen Parkinson-Syndrome zu nennen (Tabelle 1.2). Es ist trivial, dass diese Trennung nicht immer vollständig gelingt, so ist die Kupferstoffspeichererkrankung (Morbus Wilson) eine metabolische Ursache eines Parkinson-Syndroms, gleichzeitig jedoch in die Gruppe der seltenen neurologischen Erkrankungen mit Parkinson-Syndrom einzuordnen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind diese Erkrankungen mehrfach aufgeführt oder es wird entsprechend verwiesen.
Für den klinisch tätigen Neurologen sind die Parkinson-Syndrome nicht selten eine diagnostische Herausforderung. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Beschwerden des Patienten auf Gabe von L-Dopa oder anderen Dopaminergika nicht zufriedenstellend bessern. Man geht heute davon aus, dass für etwa 80 % aller Parkinson-Syndrome das IPS verantwortlich ist (Hughes et al., 2002). Dieses Krankheitsbild spricht gut auf die Gabe von L-Dopa oder Dopaminagonisten an (Marsden, 1994). Die...