5. Die Ökonomie der Aufmerksamkeit und der Erkenntnisgewinn für die Medienunternehmen
5.1 Neue Sicht: Kommunikation als Austausch von Aufmerksamkeit
Der größte Verdienst der Ökonomie der Aufmerksamkeit liegt meines Erachtens in der Idee, Aufmerksamkeit als wirtschaftliches Gut zu betrachten und den Austausch von Aufmerksamkeit als Marktgeschehen zu beschreiben. Durch diese Idee verändert sich die Sichtweise auf die Medien und unser zwischenmenschliches Agieren. Oder wie es der bereits zitierte Kulturphilosoph Jörg Bernardy erklärt: Franck beschreibt menschliche Kommunikation als Austausch von Aufmerksamkeit.129
An dieser Stelle wird deutlich, was der Entwurf einer Ökonomie der Aufmerksamkeit für eine Bedeutung für den Journalismus haben kann, wenn man seine Erkenntnisse in die Praxis überträgt. Ein für klassische Ökonomen so schwierig zu fassender Begriff wie Aufmerksamkeit wird zum zentralen Handels- beziehungsweise Tauschgut. Nicht nur das: Die Aufmerksamkeit wird aus einem moralisierenden Kontext herausgelöst, der den Wunsch nach Aufmerksamkeit als Eitelkeit, Gier oder Nazismus geißelt, ohne sich um die Mechanismen dahinter zu kümmern. Oder wie es Georg Franck an anderer Stelle schreibt: „Was früher Ausdruck von Größenwahn gewesen wäre, wird nun zum business plan.“ 130 Denkt man dies konsequent weiter, wird verständlich, warum Aufmerksamkeit zum mentalen Kapital wird. Der Unternehmer in Sachen Selbstwertgefühl muss aus rationalen Gründen nach Aufmerksamkeit streben, will er sein Selbstwertgefühl mehren. Und das ist anscheinend ein zentrales, menschliches Bedürfnis. Wie Franck aufgezeigt hat, unterliegen selbst hehre Sektoren wie der Wissenschafts- und Kulturbetrieb den Gesetzen der Ökonomie der Aufmerksamkeit.
Wenn wir Francks Gedanken folgen, kommt den Medienunternehmen, für die wir Journalisten arbeiten, eine neue Bedeutung zu: „Das Massengeschäft mit der Information, die auf den Endkunden losgelassen wird, besteht in der bezahlten Herstellung von Attraktoren für die Lenkung und Umlenkung massenhafter Aufmerksamkeit. Die Stichwörter hier sind die Transformation der klassischen Publikationsmedien in die modernen Massenmedien und das Heranwachsen der Werbung zur eigenen Industrie.“ 131
Wenn Aufmerksamkeit das Gut ist, um das sich im Mediengeschäft der Gegenwart und nahen Zukunft alles dreht, dann ist der People-Journalismus die effektivste Form des journalistischen Geschäfts mit der Aufmerksamkeit:
Im direkten Tauschgeschäft: Schenken wir einer Person mediale Aufmerksamkeit (Interview, Porträt, Fotoserie, Zitat), steigt ihr mentales Einkommen.
Im indirekten Tauschgeschäft: Berichten wir über eine Person und schenken wir ihr Aufmerksamkeit, lösen wir ein Reden-über aus. Das ist jenes Tauschgeschäft, das Franck als Reden über Dritte132 beschreibt.
Rationales Ziel unseres Handelns als Aufmerksamkeits-Unternehmen oder Aufmerksamkeits-Tauschbörse muss es sein, das Medium zu werden, welches im Ruf steht, das größtmögliche Maß an Aufmerksamkeit zu schenken und zu generieren. Das People-Magazin BUNTE hat den eigenen Weg zu diesem Ziel 2003 mit der Image-Kampagne „BUNTE schafft Aufmerksamkeit“´ der Agentur Springer & Jacobi und 2004 mit der Slogan-Kampagne „Ohne BUNTE wäre es nur ...“ der Werbeagentur DDB Group Germany 2004 werbewirksam begleitet. 133 Zum besseren Verständnis: Ein Plakat der Serie zeigt die berühmte Promi-Insel Sylt und die Botschaft "Ohne BUNTE wäre es nur eine Nordseeinsel". Ganz deutlich ist hier der Einfluss von Georg Francks Ökonomie der Aufmerksamkeit zu erkennen. Der selbst bewertete die Ausrichtung des Verlagshauses Burda 2005 im Sinne seiner Ökonomie der Aufmerksamkeit wie folgt: „Der Erfolg des Hauses Burda belehrt all die eines Besseren, die glauben, daß die Ökonomie der Aufmerksamkeit eine Ökonomie im nur übertragenen Sinn sei. Das Haus ist Bank und Börse in Sachen Aufmerksamkeit. Wer schnell und richtig reich an Beachtung werden will, muß in die Bunte. (...)Das Medienhaus macht vor, wie die Vermögensverwaltung in Sachen des immateriellen Reichtums funktioniert. Aus einer kleinen Einlage mitgebrachter Bekanntheit kann ein Kapital werden, das sich rentiert. Die Bank investiert die Einlage in Präsentationsfläche. Je bekannter das Gesicht ist – und wird –, um so mehr bringt die Präsentation für den Einleger und freilich für die Bank. Die Bank kann aber auch Werte wie aus dem Nichts schöpfen. Sie kann nämlich mehr Kredite geben, als Einlagen da sind. Sie kann ein Mauerblümchen präsentieren, als sei es schon ein Sternchen. Wenn die Suggestion aufgeht, dann ist da plötzlich ein Renommee, das sich verzinst. Jetzt wird das Medium erst recht wichtig.“ 134 Franck beschreibt hier die neu erkannte Funktion des Mediums als Aufmerksamkeits- oder Beachtungs-Bank. Er setzt den Stellenwert dieses aufmerksamkeits-ökonomischen Handelns höher an als den der klassischen Konsumgüter-Anbieter und schreibt weiter: „Da gibt es auch nicht nur eine Klasse von neuen Reichen, die Medienprominenz. Da tritt eine neue Art von Sozialprodukt in Erscheinung: das Aufkommen an der Beachtung, die für den Konsum der Information ausgegeben wird, die in den Medien erscheint. Neu an dieser Ökonomie ist nicht, daß das Geld als Währung abgelöst würde. Neu ist, daß der Gewinn an Beachtung vor dem Profit kommt. Das Haus Burda versteht es wie wenige andere, aus diesem Wechsel der Prioritäten Kapital zu schlagen. Man weiß in diesem Haus, daß die Wachstumspole der Wirtschaft an die Schnittstellen zwischen der Ökonomie des Gelds und der Ökonomie der Aufmerksamkeit gewandert sind.“ 135
Aber wie erreiche ich es als Medienunternehmen beziehungsweise Medienunternehmer, zum führenden Aufmerksamkeits-Bankhaus zu werden? Indem ich mich auf die Kundschaft einstelle. Naheliegend ist es als People-Journalist, mit berühmten Menschen ins Gespräch zu kommen – in Form von Interviews, Homestorys, Einladungen zu Medien-Foren, weil sie Aufmerksamkeit generieren. Der Vorteil: Es ist das Aufmerksamkeitsgeschäft mit dem größten Gewinn für mich. Wenn ich Berühmtheiten („Ruhm“ 136) Beachtung schenke und von ihnen Beachtung zurück bekomme, mehre ich meine Reputation – die Beachtung durch beachtete Personen – als Journalist und Medium. Zudem erhöht sich mein Prestige durch das quantitatives Reden-über Dritter.137 Auch mein Ruf als Journalist – er ergibt sich aus den zu einem sozialen Konsens verrechneten, persönlichen Werturteilen Dritter –lässt sich so steigern. Allerdings ist es mitunter nicht einfach, Berühmtheiten zum direkten Aufmerksamkeitsaustausch zu bewegen.
Bleibt als zweite Möglichkeit der indirekte Aufmerksamkeitsaustausch mit berühmten Persönlichkeiten. Diese Berichterstattung über sie in Form des Redens-über führt im Idealfall zur Verbesserung meines Renommees als Medium. Allerdings ist es viel, viel schwieriger, so einen Gewinn an Reputation zu erzielen. Denn die qualitativ so wertvolle Beachtung durch ihrerseits beachtete Personen verlangt im People-Journalismus mittel- und langfristig den direkten Austausch mit Personen aus beachteten Kreisen. Will ich Reputation oder gar Ruhm als People-Journalist erlangen, muss ich darauf achten, auch qualitativ wertvolle Beachtung zu generieren. Erst so hebt sich das Renommee meines Mediums.
Einfacher ist der Umgang mit der Prominenz, der zweithöchsten Klasse der An- Beachtung-Reichen. Wie Georg Franck erklärt hat, ist es für diese Großverdiener rentierlichen Reichtums wichtig, dass sie im öffentlichen Bewusstsein als Großverdiener von beachtlichem Reichtum angesehen werden. Der ursprüngliche Grund für ihre Bekanntheit ist zweitrangig. Anders als die Berühmtheiten können sie sich nicht darauf verlassen, dass ihre Bekanntheit fortdauernde Beachtung garantiert.
Weil sie auf Beachtungsgewinne angewiesen sind, ist es einfacher, mit ihnen ins Geschäft zu kommen. Auch hier verspricht der direkte Austausch die höchsten Gewinne. Der Prominente wünscht sich mehr Prestige (quantitative Beachtung) und mehr Reputation (qualitative Beachtung durch ihrerseits beachtete Personen). In welchem Verhältnis der Wunsch nach Prestige und der Wunsch nach Reputation stehen, entscheidet über die Möglichkeiten des Agierens mit dem Prominenten. Geht ihm quantitativer Reichtum an Beachtlichkeit über alles, ist er ,reif’ für Formate wie die RTL-Dschungelshow, Promi-Rateshows oder TV-Sport- und Geschicklichkeitswettbewerbe. Ist ein Prominenter vor allem auf seine Reputation bedacht, taugt er eher zum themenbezogen herbeizitierten Experten oder Gast in für ihre Seriosität bekannten Talkformaten. Manchmal wandeln sich die Präferenzen der Prominenten mit der Zeit. So wurde beispielsweise der Literaturkritiker Hellmuth Karasek (1934-2015), dessen Ausführungen im ,Literarischen Quartett’ des ZDF ihm viel Reputation brachten, in den letzten Jahren seiner Promi-Karriere zum Prestige-Jäger. Er trat in RTL-Formaten wie der 5-Millionen-SKL-Show oder der NDR-Talkshow auf, ums sich in einem Fall sogar von den Moderatoren Barbara Schöneberger und Pierre M. Krause veräppeln zu lassen.138 Für den People-Journalisten und Medienmacher ist ein solcher Prominenter ein Geschenk: Zunächst verspricht...