DIE WISSENSCHAFT VON ZEIT UND TEMPERATUR
ZEITANGABEN KÖNNEN TRÜGEN
Zeitangaben sind nützlich fürs Kochen, aber oft wird ihnen zu viel Bedeutung beigemessen. Unsere Rezepte enthalten sowohl Zeitangaben als auch weitere Hinweise, um abschätzen zu können, wann die einzelnen Zubereitungsschritte abgeschlossen sind. Die angegebenen Zeiten sollten Ihnen als grobe Orientierung für die Planung der Mahlzeit dienen (schließlich ist es nicht unerheblich, ob ein Braten eine Stunde braucht oder zwei) und nicht als exakte Anweisung, die es genau zu befolgen gilt. Vertrauen Sie auf Ihre fünf Sinne, um zu entscheiden, ob ein Teilschritt abgeschlossen oder das ganze Rezept fertig ist. Sieht das Essen aus wie beschrieben? Wenn im Rezept steht, dass Sie etwas garen sollen, bis es „fest“ ist, prüfen Sie die Konsistenz mit den Fingern. Genauso, wenn das Rezept sagt, man solle etwas kochen, bis es „aromatisch duftet“. Verlassen Sie sich lieber auf diese sensorischen Hinweise als auf die Zeitangaben.
TEMPERATURGENAUIGKEIT VON BACKÖFEN
15 unserer Köche stellten ihre Backöfen daheim auf 175 °C. Die tatsächlich gemessenen Temperaturen lagen zwischen 150 und 200 °C.
Letztere sind deshalb nicht besonders zuverlässig, weil die Eigenschaften der benutzten Gerätschaften und Zutaten variieren können. Die Heizleistung von Grills und Kochfeldern unterscheidet sich von Gerät zu Gerät, und ebenso beeinflussen das Gewicht und der Durchmesser Ihrer Töpfe die Garzeit.
Auch Ihr Backofen ist nicht so zuverlässig, wie Sie vielleicht glauben. Woher wir das wissen? In unserer Versuchsküche haben wir mehr als zwei Dutzend Backöfen, und in jedem von ihnen steht ein Ofenthermometer, damit wir sicher sein können, dass sie noch genau kalibriert sind. Anders formuliert: Erreichen und halten sie wirklich die eingestellte Temperatur? Unserer Erfahrung nach klaffen die eingestellte und die tatsächliche Temperatur eines Ofens nach wenigen Monaten intensiver Nutzung weit auseinander, sodass wir ihn vom Fachmann neu einstellen lassen müssen. In der heimischen Küche geht dieser Prozess sicher langsamer vonstatten, aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Ihr Backofen nicht 175 °C heiß ist, selbst wenn die Skala am Drehknopf das anzeigt. Um das zu überprüfen, haben wir 15 unserer Köche ein hoch präzises Ofenthermometer mit nach Hause gegeben, um dort ihre Backöfen zu testen. Sie haben das Gerät auf 175 °C eingestellt und es eine halbe Stunde heizen lassen, dann haben sie die tatsächliche Temperatur gemessen und notiert. Die Messergebnisse haben zwischen 150 und 200 °C geschwankt. Für einen Kuchen, der bei 175 °C gebacken werden soll, kann es einen erheblichen Unterschied machen, ob der Ofen 25 °C heißer oder kälter ist. Es liegt auf der Hand, dass die notwendige Backzeit sich ändert, aber auch auf die Farbe und Konsistenz des Teigs hat eine höhere oder niedrigere Temperatur Auswirkungen. Was fangen wir nun mit diesem Wissen an?
Zunächst sollten Sie nicht davon ausgehen, dass die Temperatur ihres Backofens akkurat stimmt, und das Essen besser schon eine Weile vor Ablauf der angegebenen Garzeit im Auge behalten. Kaufen Sie sich außerdem ein Ofenthermometer (auf Seite 227 finden Sie einige Empfehlungen). Dieser Einkauf könnte die Qualität der Speisen, die Sie in Ihrem Ofen zubereiten, dramatisch verbessern. Sollte Ihr Ofen wirklich deutlich heißer oder kälter sein als die eingestellte Temperatur (sagen wir 25 oder 30 °C), sollten Sie sich überlegen, ob Sie ihn nicht von einem Fachmann neu einstellen lassen.
Eine geringe Abweichung dagegen ist ganz normal. Ein Backofen heizt nämlich nicht einfach hoch, bis er die gewünschte Temperatur erreicht hat und hält diese dann. In den meisten Modellen kennen die Heizelemente nur zwei Zustände: aus und an. Um die gewünschte Temperatur zu halten, werden die Heizelemente entsprechend der vom Hersteller festgelegten Automatik zyklisch ein- und ausgeschaltet; sie heizen den Ofen bis knapp über die Wunschtemperatur und schalten sich dann ab, bis er wieder knapp unter diese abgekühlt ist. So haben unsere Messungen genau im Zentrum eines auf 175 °C vorgeheizten Elektrobackofens ergeben, dass die Temperatur zyklisch zwischen 168 und 183 °C geschwankt hat. Auch in einem Gasbackofen haben wir entsprechende Messungen durchgeführt; hier lag die Schwankung zwischen 173 und 182 °C.
Die simple Schlussfolgerung lautet: Beurteilen Sie Ihren Ofen nicht nach einer einzigen Messung und machen Sie sich keine Sorgen, falls die abgelesenen Temperaturen 5 oder 6 °C zu hoch oder zu niedrig sind – das liegt im Normbereich. Ist Ihr Ofen allerdings immer deutlich, d. h. 15 °C oder mehr, zu heiß oder zu kalt, haben Sie ein Problem.
ENTSCHEIDEND IST IMMER DIE TEMPERATUR
Die spezifischen Eigenschaften der verwendeten Geräte beeinflussen zwar die Garzeit, doch lassen sich diese Variablen nur schwer bestimmen. Woher soll man schließlich wissen, ob die eigene Pfanne schneller heiß wird als die, die wir in unserer Versuchsküche verwenden? Die zweite variable Größe, die Einfluss auf die Garzeit hat, ist dagegen leichter zu fassen.
KALIBRIERUNG EINES DIGITAL-THERMOMETERS
Ein digitales Bratenthermometer ist nur dann sinnvoll, wenn es auch genau misst. Daher sollten Sie die Messgenauigkeit direkt nach dem Kauf prüfen und die Prüfung in regelmäßigen Abständen wiederholen. Dazu gehen Sie folgendermaßen vor:
HERSTELLUNG EINES WASSER-EIS-GEMISCHS
Füllen Sie ein Glas oder eine Schüssel mit einer Mischung aus Eis und möglichst kaltem Leitungswasser und lassen Sie das Ganze zwei Minuten stehen, damit die Temperatur sich stabilisiert. Tauchen Sie nun die Sonde des Thermometers in das Gemisch, ohne dass sie die Wände oder den Boden des Gefäßes berührt. Wenn die angezeigte Temperatur nicht 0 °C beträgt, setzen Sie die Kalibriertemperatur mit dem entsprechenden Knopf auf 0 °C. Haben Sie ein analoges Thermometer mit Zeiger, stellen Sie diesen auf die Null-Grad-Position (die Vorgehensweise unterscheidet sich von Modell zu Modell; eventuell müssen Sie mit einer Zange eine kleine Stellschraube auf der Rückseite betätigen).
Die Ausgangstemperatur der Zutaten spielt für viele Rezepte eine wichtige Rolle. Wie entscheidend sich diese Temperatur auf die Garzeit auswirken kann, zeigt das folgende Beispiel:
Grillen Sie zwei große Steaks, wobei Sie das eine direkt aus dem Kühlschrank auf den Grill geben und das andere erst eine Weile zum Anwärmen auf der Arbeitsplatte liegen lassen. Dabei werden Sie feststellen, dass die Garzeiten erheblich voneinander abweichen. Wir haben dieses Experiment mit zwei 900-Gramm-Rindersteaks aus der Keule durchgeführt, von denen jedes knapp 4 cm dick war. Das erste ist direkt aus dem Kühlschrank gekommen; die Temperatur hat etwa 4,5 °C betragen, als es auf den Grill gekommen ist, und es hat 22 Minuten gedauert, bis die gewünschte Kerntemperatur von 49 °C erreicht war. Das zweite Steak wurde in Frischhaltefolie eingeschlagen und eine Stunde in einen Eimer mit Wasser gegeben, bis es 21 °C warm war. Dieses Steak hat auf dem Grill nur 13 Minuten gebraucht, um dieselbe Kerntemperatur zu erreichen. Kalte Lebensmittel brauchen demnach länger zum Garen als jene mit Zimmertemperatur. Verlangt ein Rezept explizit eine gekühlte Zutat oder eine, die Zimmertemperatur hat, so sollten Sie diese Anweisung ernst nehmen.
Die Ausgangstemperatur der Zutaten beeinflusst nicht nur die Garzeit, sondern auch die Beschaffenheit des fertigen Gerichts. Wenn die Butter für Ihren Mürbeteig nicht richtig kalt ist, wird das Ergebnis zäh und ledrig anstatt schön locker und mürbe. Gekühlte Eier lassen sich besser trennen, weil das Eiklar dann dickflüssiger ist. Bitte beherzigen Sie die folgenden Hinweise zur Temperatur von Zutaten:
GARSTUFEN FÜR FLEISCH, GEFLÜGEL UND FISCH
Da die Kerntemperatur von Fleisch (Rind, Schwein und Lamm) durch Ruhenlassen nach dem Garen noch weiter ansteigt (Nachgareffekt), sollte man es aus dem Ofen, vom Grill oder aus der Pfanne nehmen, wenn die Temperatur noch 3 bis 6 °C unter der gewünschten Serviertemperatur liegt. (Genaueres zu diesem Phänomen ist in Buch 1, Konzept 1.4 nachzulesen.) Der Nachgareffekt tritt bei Geflügel und Fisch nicht auf (ihr Fleisch speichert Wärme nicht so gut wie das dichte Muskelgewebe beim Rind, Schwein und Lamm), deshalb sollte man diese tatsächlich bis zur gewünschten Serviertemperatur erhitzen. Der folgenden Tabelle ist zu entnehmen, bei welcher Temperatur man den Garprozess am besten beendet.
LEBENSMITTEL | | KERNTEMPERATUR |
RIND/LAMM | Blutig/rare | 46 bis 49 °C (49 bis 52 °C nach dem Ruhen) |