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E-Book

Pergamon

Geschichte, Kultur, Archäologie

AutorMartin Zimmermann
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2011
ReiheBeck'sche Reihe 2740
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783406621406
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Im Jahr47v.Chr. ist ein Teil der weltberühmten Bibliothek von Alexandria im Zuge des römischen Bürgerkriegs ein Raub der Flammen geworden. Wenige Jahre später kommt Marcus Antonius, der neue Machthaber im Osten, auf den Gedanken, seiner Königin Kleopatra und der Stadt Alexandria als Ersatz die Bibliothek von Pergamon zu schenken, die zu diesem Zeitpunkt die ungeheure Zahl von 200.000 Schriftrollen beherbergt haben soll. Diese Begebenheit illustriert sinnfällig, welchen Rang Pergamon im Konzert der großen Kulturmetropolen der Antike eingenommen hat. Noch heute stehen wir staunend vor den Kunstwerken und respektgebietenden Ruinen der untergegangenen Stadt - Tempel, Heiligtümer, Paläste, Gymnasien - und nicht zuletzt vor dem monumentalen Pergamonaltar mit seinem dramatisch gestalteten Figurenfries, der bis auf den heutigen Tag Millionen von Besuchern aus aller Welt anlockt und fasziniert. Martin Zimmermann erzählt in diesem Band spannend, informativ und anschaulich die Geschichte vom Aufstieg und Fall Pergamons vom 4.Jh.v.Chr. bis in byzantinische Zeit - von seinen Mythen und seinen Herrschern, von seiner Kunst und seiner Kultur, von seinen Feinden und seinen Förderern. Und er erzählt die Geschichte von der Wiederentdeckung des versunkenen Pergamons im 19.Jh. und von der Freilegung und Bergung seiner kulturhistorisch einzigartigen Schätze.

Martin Zimmermann lehrt als Professor für Alte Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er selbst erforscht seit Jahren das Umland von Pergamon und gilt als Fachmann für die griechische und römische Geschichte des westlichen Kleinasien.

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Leseprobe

I. Geschichte


Auftakt: Die Entdeckung des Pergamonaltars und «einer ganzen Kunstepoche»


Das antike Pergamon an der kleinasiatischen Westküste ist nach seinem Untergang nie ganz in Vergessenheit geraten. Der Name des modernen Städtchens Bergama, das an der Stelle der antiken Stadt entstanden war, und die antiken Texte hielten die Erinnerung wach. Schon Pilgerreisende oder Kaufleute des Mittelalters, wie der italienische Humanist Cyriacus von Ancona (1391–1455), berichteten, daß sie die Ruinen der untergegangenen Stadt gesehen hätten. Aber erst im 19. Jh. begann die wissenschaftliche Erkundung durch gelehrte Reisende. Abenteurertum und der Ehrgeiz, für ihre Heimatländer Kunstschätze zu finden und die Museen zu füllen, waren oft die Motive dieser Expeditionen. Entsprechend knapp blieben meist die Berichte, aber es gab auch Liebhaber der Antike, denen an der Dokumentation der Monumente lag. Für Pergamon sind neben den 1809 publizierten Arbeiten von Marie-Gabriel Choiseul-Gouffier jene von Charles Texier zu nennen, der von 1833 an weite Teile der kleinasiatischen Küste bereiste und seine Erkundungen in seiner Description d’Asie Mineure 1838 bis 1849 veröffentlichte.

Die eigentliche Entdeckung Pergamons erfolgte wie ein Paukenschlag. So wie die Ausgrabung Troias ohne die Beharrlichkeit Heinrich Schliemanns schwerlich vorstellbar ist, so steht auch am Beginn der Entdeckung Pergamons das Engagement und die Ausdauer eines Laien, aber echten Liebhabers der Antike, nämlich Carl Humanns (1839–1896). Kurz nach der Mitte des 19. Jh.s war der Deutsche als Vermessungsingenieur und Bauleiter vom türkisch-osmanischen Staat mit dem Bau einer Küstenstraße beauftragt worden. Die Trasse sollte von Norden kommend an der kleinasiatischen Westküste entlang nach Smyrna, dem heutigen Izmir, führen, und das florierende Landstädtchen Bergama passieren.

Im Jahr 1869 verlegte Humann seinen Bauhof in diese Stadt und mietete sich dort eine Wohnung. Der Burgberg mit seinen antiken Ruinen, der als mächtiger Hügel über dem malerischen Bergama thront, hatte schon bei ersten Planungen des Straßenbaus 1865/67 seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der Bauleiter war nämlich nicht nur ein Organisationstalent und Kenner von Land und Leuten, sondern auch an den antiken Überresten interessiert, die es überall entlang der Baustrecke zu besichtigen gab. Insbesondere die großformatigen Reliefplatten, die aus dem Schutt der Ruinen herausragten, hatten sein Interesse geweckt. In seinem Bauhof richtete er ein kleines «Museum» ein, auch um die antiken Kunstwerke vor der Zerstörung zu bewahren. Die türkische Bevölkerung verbrannte nämlich den antiken Marmor zu Kalk, der als Baumaterial benötigt wurde. Wenn die antiken Überreste eine Zukunft haben sollten, mußte rasch etwas geschehen.

Als Humann 1871 in Konstantinopel zufällig den Professor für Klassische Archäologie aus Berlin Ernst Curtius traf, der gleichzeitig Leiter des Königlich-Preußischen Museums war, erzählte er von seinen Funden und lud ihn nach Bergama ein. Im darauffolgenden Sommer besuchte eine kleine gelehrte Reisegruppe unter der Leitung von Curtius die Ruinen und zeigte sich beeindruckt. Dadurch ermuntert, fasste Humann den Plan, eine Grabung zu beginnen. Er mußte sich freilich gedulden. Curtius selbst war im antiken Olympia gebunden, das ihn wegen seiner klassischen Kunstwerke offenbar stärker interessierte. Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, daß die Grabung Humanns zehn Jahre später als archäologische Sensation gefeiert und sein Entdecker mit Ehrungen überhäuft werden sollte. Die hohe Qualität der von ihm nach Berlin entsandten Reliefs erkannte aber Alexander Conze, der 1877 die Abteilung der Antiken Skulpturen der Berliner Museen übernommen hatte. Sie schienen die antike Überlieferung, die von Pergamon als Stadt der Kunst berichtet, zu bestätigen. Conze initiierte eine Museumsgrabung, die naheliegenderweise unter der Leitung Carl Humanns stehen sollte – nicht nur die erste, sondern, wie sich rasch zeigte, eine ausgezeichnete Wahl.

Abb. 1: Carl Humann. Stich in der «Berliner Illustrirten Zeitung» vom 4. November 1882

Von 1878 bis 1886 dauerte diese erste Grabung, welche unter anderem den Pergamonaltar mit seinen mehr als 100 m langen Reliefs zutage förderte. Angesichts der hohen Zahl und ausgezeichneten Qualität der ausgegrabenen Reliefplatten und Fragmente war die Sensation perfekt. Dies um so mehr, da das Bauwerk selbst in der antiken Überlieferung nur einmal erwähnt wird. In der Enzyklopädie, die Lucius Ampelius im 2. Jh. n. Chr. unter dem Titel Liber memorialis zusammenstellte, findet sich der knappe Hinweis, in Pergamon stehe «ein großer marmorner Altar, 40 Fuß hoch, mit sehr großen Skulpturen. Er enthält eine Gigantomachie.»

Obgleich Ampelius den Altar zu den Weltwundern zählte und damit andeutete, daß es sich um ein recht beachtliches Monument handelte, konnte man sich vor der Grabung keine Vorstellung von seinem Aussehen machen. Die von Conze begutachteten Reliefs ließen immerhin Aufsehenerregendes erwarten. Schon bei Beginn der erfolgreichen Ausgrabung 1878 konnte Humann denn auch in einem Brief an Conze schreiben, man habe nicht «ein Dutzend Reliefplatten, sondern eine ganze Kunstepoche, die begraben und vergessen war, aufgefunden». Dank der mit der Hohen Pforte in Konstantinopel vereinbarten Fundteilung hatten die Ausgräber die Erlaubnis, die Kunstwerke nach Berlin zu bringen. Auch der osmanisch-türkische Anteil wurde den Deutschen gegen eine stattliche Geldzahlung überlassen.

Humann und mit ihm Conze wurden in der Presse und in Gelehrtenkreisen gefeiert. Berlin hatte seine archäologische Sensation: ein antikes Weltwunder. Endlich konnte man den großen Museen in Rom, Paris oder London auf Augenhöhe begegnen. Reichskanzler Bismarck und Kronprinz Friedrich Wilhelm, der spätere Kaiser Friedrich III., begeisterten sich für die Ausgrabung. Rasch entstanden Pläne für eine museale Präsentation. Bereits 1901 wurde das von Fritz Wolf erbaute Alte Pergamonmuseum mit einer feierlichen Enthüllung einer Statue Carl Humanns eröffnet. 1906 begann Wilhelm von Bode, der neue Direktor der Königlichen Museen, mit Planungen für einen Neubau, da sich am älteren Gebäude bereits Schäden zeigten und der Platz für die Funde anderer Grabungen nicht mehr ausreichte. Nach langer Bauzeit, die durch politische Unruhen, aber auch durch heftig geführte öffentliche Debatten über das Ausstellungskonzept überschattet war, konnte das neue Museum schließlich 1930 eröffnet werden. Noch heute strömen trotz der wechselvollen Geschichte der Sammlung große Besucherscharen in das Pergamonmuseum, um die Funde zu besichtigen. Der Pergamonaltar nimmt unter den in Berlin gezeigten archäologischen Pretiosen immer noch eine Sonderstellung ein.

Mit der antiken Stadt Pergamon verbindet man seit den Entdeckungen von Humann und Conze in erster Linie diesen bedeutenden Altar. Pergamon bietet freilich mehr. Die Stadt war, wie die nun mehr als 130 Jahre dauernden Ausgrabungen gelehrt haben, neben Alexandria, Antiochia, Ephesos, Athen und Rom eine der großen Metropolen der antiken Mittelmeerwelt mit einem spektakulären Stadtbild. Öffentliche Bauten, eine ausgedehnte Wohnstadt und beeindruckende Festungsmauern dokumentieren eine wechselvolle Geschichte zwischen Blüte, Stagnation, erneuter Blüte und allmählichem Niedergang. Als Zentrum für Kunst und Kultur strahlte Pergamon weit über die Region hinaus. Die Stadt war zudem Residenz eines hellenistischen Königreiches, das die Geschichte Kleinasiens für zwei Jahrhunderte prägte. Die dort herrschende Dynastie wirkte weit über ihre Stadt hinaus und schuf die Grundlagen dafür, daß Pergamon auch unter römischer Herrschaft nur wenig von seiner Strahlkraft einbüßte, obwohl die Konkurrenz mit Smyrna und Ephesos hart war und diese Städte im Wettstreit um die Gunst von Besuchern und Kaisern bisweilen erfolgreicher waren. Um die überaus farbige und lehrreiche Geschichte der Stadt soll es in diesem Buch gehen.

Die Landschaft Pergamons


Ohne einen Blick auf die Landschaft, in der eine Stadt gebaut wurde, bleibt ihre Geschichte unverständlich. Eine sichere Lage und die gute Versorgung mit Wasser, Nahrung, Bau- sowie Brennmaterial bildeten die Basis für Entstehung, Erhalt oder in manchen Fällen auch Prosperität antiker Städte. Der Siedlungsplatz Pergamons nahe der kleinasiatischen Westküste, ca. 110 km nördlich des heutigen Izmir, war in dieser Hinsicht ausgezeichnet gewählt: Der ca. 330 m hohe und im Norden, Westen und Osten steil abfallende Burgberg von Pergamon war leicht zu befestigen, und der sanfter abfallende Südhang bot ausreichend Platz für eine ausgedehnte Wohnsiedlung. Die Stadt lag zudem ca. 27 km vom Meer entfernt, was zusätzliche Sicherheit schuf – Feinde, die von dort kamen, konnte man frühzeitig erkennen. Der Berg dominierte das weite und fruchtbare Tal des antiken Kaikos, des heutigen Bakir Çay. Dieser Fluß folgte einem von West nach Ost laufenden, markant eingeschnittenen Tal – ein für das westliche Kleinasien typisches...

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