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E-Book

PflanzenPalaver

Belauschte Geheimnisse der botanischen Welt

AutorFlorianne Koechlin
VerlagLenos Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl255 Seiten
ISBN9783857875632
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Pflanzen galten lange als Automaten, die ihr Verhalten nach eingebauten Programmen einfach abspulen. Aber das ändert sich. Florianne Koechlin hat sich auf die Reise gemacht zu denjenigen, die den Geheimnissen von Pflanzen näherzukommen versuchen. Da sind einmal die Bauern, die in Tirol in 1300 Metern Höhe Kiwis zum Reifen bringen oder in indischen Waldgärten dank einer traumhaften Vielfalt gute Hektarerträge erwirtschaften. Da sind die Forschenden in Universitätslabors, die mit den modernsten Methoden die Sprache der Pflanzen untersuchen. Einige orten bei den Gewächsen gar nervenähnliche Strukturen. Dann gibt es tausendjährige Texte aus der indischen Philosophie, die hochaktuell anmuten, aber auch die lange abendländische Kulturgeschichte, die Pflanzen ganz anders sieht. Und es gibt die intuitiv Wissenden, die Künstler, die sich ganz auf die Pflanzen einlassen und sie dabei neu entdecken. Es gelingt der Autorin auf beeindruckende Art, aus diesen Mosaikstücken ein neues Bild der Pflanze zu entwerfen, das vielfältiger, spannender und aufschlussreicher ist als alles, was wir bisher über Pflanzen zu wissen glaubten.

Florianne Koechlin, geboren 1948, studierte Biologie und Chemie. Sie wurde bekannt als Gentechnikkritikerin und Autorin. Sie ist Stiftungsrätin der Zukunftsstiftung Landwirtschaft und der Swissaid, Geschäftsführerin des Blauen-Instituts und war Mitglied der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich EKAH. Sie lebt in Münchenstein bei Basel.

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Leseprobe

Sepp und Veronika Holzer, Keusching (Salzburg)


Ein Garten Eden in garstiger Höhe


Im österreichischen Tauerngebirge, wo die jährliche Durchschnittstemperatur gerade einmal vier Grad Celsius beträgt, sollen Orangen, Maiherzkirschen und exotische Orchideen wachsen? Unmöglich! Und doch sah ich es mit eigenen Augen auf dem Krameterhof von Sepp und Veronika Holzer. Ich nahm an einer ihrer Hofführungen teil – und war begeistert. Das war im September 2006.

Der Krameterhof liegt einhundert Kilometer südöstlich von Salzburg auf 1100 bis 1500 Metern Höhe. Gleich hinter dem schweren schmiedeeisernen Tor beginnt eine andere Welt. Draussen, vor dem Tor, eine karge, steile Berglandschaft mit Weiden und Gebüsch. Drinnen wächst ein undurchdringliches Dickicht. Ich bleibe erst einmal stehen, überwältigt von all dem drängenden Wachsen und Spriessen um mich herum. Mit der Zeit entdecke ich im dichten Gehölz einen Mirabellenbaum, seine Früchte sind gelb, süss und saftig. Dann einen Apfel-, einen Birnen- und einen Pflaumenbaum. Alles wächst wild durcheinander, zusammen mit vielen anderen Bäumen und Büschen. Das Ganze ist ein essbarer Dschungel.

Inzwischen haben sich am Treffpunkt rund dreissig Leute für die Hofführung versammelt und warten auf Sepp Holzer. Dieser erweist sich als stämmiger Bauer mit angegrautem Vollbart und einem Schlapphut. Als erstes zeigt er uns oben am Hang einen kleinen Orangenbaum voller reifer Früchte, die in der Sonne orange leuchten. Es stimmt also, hier wachsen Orangen! »Natürlich ist das Spielerei, Experimentierfreude. Ich habe hier oben keine Orangenplantage. Doch da wachsen massenhaft Gurken, Zucchini, Kürbisse und natürlich viel Obst. Wir haben Tausende von Obstbäumen«, sagt Sepp Holzer.

Er erklärt auch gleich, warum der Orangenbaum so gut gedeiht: »In dieser Mulde am Hang ist es windgeschützt und folglich wärmer. Dorthin lege ich grosse Steine. Die speichern die Wärme – das ist der Kachelofeneffekt. Die Steine schwitzen, unter ihnen bildet sich Kondenswasser. Die feuchten Orte sind ideal für Regenwürmer, die den Pflanzen Nährstoffe zur Verfügung stellen. In diese ›Sonnenfallen‹ setze ich besonders wärmebedürftige Pflanzen, wie eben einen Orangen- oder einen Kiwibaum.« Er fügt an, dass auf dem Krameterhof fünf verschiedene Kiwisorten wachsen. Der Biobauer aus Österreich ist inzwischen weitherum bekannt für seine ausgeklügelte Bewirtschaftungsart.

Als Sepp Holzer den fünfzig Hektar grossen Hof 1962 von seinem Vater übernahm, begann er als erstes mit einer radikalen Umgestaltung der Steilhänge. Mit Baggern liess er das Gelände terrassieren und grosse Mulden für Teiche ausgraben. Heute staffeln sich die breiten Terrassen den Hang hinauf, über eine Höhendifferenz von 400 Metern bis auf 1500 Meter. Zwischen Wäldchen und Hügelbeeten sind über siebzig Teiche und Tümpel. Mit ihnen könne er den Kachelofeneffekt nochmals unterstützen, erklärt der Biobauer: In den windgeschützten Mulden der Terrassen lege er Teiche und Tümpel an. Hinten und vorn plaziere er grosse Steine. »Die Sonne scheint ins Wasser und wird reflektiert. Die Steine speichern diese Wärme. Dank Brennglaseffekt und Wärmereflexion entsteht in dieser Mulde ein Kleinklima wie in einem Backofen, und zudem habe ich Feuchtigkeit gestaut.« Dort kämen besonders wärmebedürftige Pflanzen hin.

Sepp und Veronika Holzer betreiben eine eigene Art der Permakultur. Der Begriff heisst »permanente Kultur«: In dieser Art der Bewirtschaftung soll immer etwas wachsen, zu jeder Jahreszeit. Die Permakultur wurde vom Australier Bill Mollison entwickelt, der dafür 1981 den Alternativen Nobelpreis erhielt. Sie setzt in noch viel grösserem Ausmass auf Vielfalt als der Biolandbau. Die natürlichen Wechselwirkungen zwischen Pflanzen, Tieren und der physikalischen Umwelt auszunutzen ist ein weiteres zentrales Merkmal dieser Landbewirtschaftung. Ein Beispiel sind die »Sonnenfallen«, die Sepp Holzer uns soeben demonstriert hat. »Permakultur beschreibt weniger eine bestimmte Anbaumethode als vielmehr eine Philosophie, wie landwirtschaftliche und soziale Systeme nachhaltig aufgebaut werden sollen«, schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Rotter von der Universität Wien, der den Krameterhof lange Zeit wissenschaftlich untersucht hat. »Zentraler Punkt ist das Lernen und Nachvollziehen natürlicher Vorgänge in Ökosystemen.«

Wir beginnen die Exkursion. Sepp Holzer schreitet zügig voran, und bald erreichen wir einen grösseren Teich, vielleicht hundertzwanzig Meter lang und vierzig Meter breit. Hier gebe es Schwarzbarsche, Regenbogen- und Bachforellen, Hechte, Welse, Karpfen, Schleien und Störe, erzählt der Biobauer – »Ja, die Störe gefallen mir halt besonders gut« –, sowie natürlich Krebse und Muscheln. Der Teich ist an einem Ende flach, durchsetzt mit Baumstrünken und grossen Steinen. Ein Schwarm Jungfische flitzt gerade ins Holzdickicht. »Stell dir vor, du wärest da drinnen eine junge Forelle, da würdest du dich in diesen geschützten Ecken wohl fühlen«, sagt Sepp Holzer. Diese Aufforderung werden wir während der Exkursion immer wieder hören: Wir sollten uns in die Tiere, in die Pflanzen hineindenken, richtig hineinfühlen müssten wir uns, wenn wir herausfinden wollten, wie sie am besten gedeihen.

Er zeigt auf einen träge dahinschwimmenden Karpfen und fährt fort: »Im Teich gibt es reichstrukturierte Flach-, Kraut- und Tiefzonen mit unterschiedlichen Temperaturen. Mit diesen verschiedenen Biotopen kann ich Fried- und Raubfische in einem Teich halten. Da hat jeder seinen Laichplatz. Das Leben im Teich reguliert sich selber, ein wunderbar funktionierender Futterkreislauf, da muss ich nichts dazu tun, kein Futter, keine Pflege, nichts.« Er erklärt, dass alle zweiundsiebzig Teiche durch Kanäle miteinander verbunden seien und ein einziges grosses zusammenhängendes Wassernetz bildeten. Mittels Hochdruckturbinen produziere er mit diesem Wassersystem den Strom für den Betrieb.

Wir gehen weiter. Der Weg führt steil den Hang hinauf, durch offenes, steiniges Gelände. Sepp Holzer wartet bei einem bewachsenen Steinhaufen und schüttelt einige der grossen Pflanzen – ein intensiver Zitronengeruch erfüllt die Luft. Es ist Zitronenmelisse. Daneben spriessen Minze, Thymian, Salbei und Majoran. »Auf diesem Steinhaufen ist kaum Erde«, sagt Sepp Holzer, »nur Staub und Steine. Auf dem kargsten, dem trockensten Platz wachsen die Pflanzen mit dem besten Samen.« In Fachbüchern stehe, fährt er fort, dass man das beste Saatgut von den grössten Pflanzen an den besten Standorten erhalte, von Pflanzen also, die immer verhätschelt, gegossen und gedüngt würden. Diese würden abhängig und süchtig, und das sei falsch: »Ich möchte Saatgut von Pflanzen, die auf kargstem Boden gerade noch Samen hervorbringen; diese Körnchen sind die besten, da ist Energie drin, die bauen auf.«

Er fährt sich mit seiner grossen Hand durch den Bart und nimmt seine philosophischen Betrachtungen wieder auf. »Experimentieren müsst ihr«, sagt der Biobauer. »Oft denkt man sich: Nein, das geht nimmer, das geht kaputt. Man stutzt sich immer selber die Flügel, aber so kann man das Fliegen nie lernen. Doch ihr müsst neugierig sein, ihr müsst euch von der Natur mitnehmen lassen: Probiert aus, ob die Pflanze hier im Licht besser wächst oder dort im Schatten und welche sie besonders gern als Nachbarinnen hat.« Er nennt ein Beispiel: »Wenn der Boden sehr feucht ist, kann ich einen Teich ausgraben und Fische züchten. Wenn aber dort wertvolle Gräser und Knabenkraut – eine Orchideenart – wachsen, kann ich diese vermehren und eine Orchideenzucht beginnen oder verschiedene Heilkräuter anpflanzen, Kalmuswurzeln zum Beispiel. Wichtig ist, dass ich die Vielfalt erhalte und erhöhe, damit bewahre ich das ganze System. Eine Pflanze hilft der anderen, es kommt zu Wechselwirkungen und zu Symbiosen. Das ergibt hochwertige Produkte, da wird die Nahrung zu deiner Medizin und nicht nur magenfüllend.« Und er poltert los, gegen Industrie, Politiker und »Gschtudierte«, die Industrienahrungsmittel produzierten und alles falsch machten. Die Rolle des David, der den Goliath bekämpft, gefällt ihm sichtlich, eines seiner Bücher heisst – nicht bescheiden – Der Agrar-Rebell.

Wieder geht’s bergauf, entlang einem kleinen Wald. In Einerkolonne steigen wir hoch. Es ist eine vergnügte Gruppe, einige essen eine eben gepflückte Williams Christbirne, andere einen Apfel oder eine Reineclaude. Fast alle sammeln links und rechts des Weges Samen ein. Ein Schweizer Ehepaar, das im Napfgebiet einen Bauernhof betreibt, ist mit grossen Papiersäcken unterwegs. Das sei ihr dritter Besuch hier auf dem Krameterhof, erzählt die Bäuerin, und dieses Mal wollten sie vor allem Saatgut sammeln, Lupinensamen zum Beispiel oder Samen von der Färberkamille, von Heilkräutern, bodenverbessernden Pflanzen, von Getreide und Gemüse. Die wollten sie auf ihrem Hof im Napfgebiet aussäen und ausprobieren, was am besten gedeihe.

Wir erreichen den nächsten Teich, spazieren entlang dem Wasser und sehen einige Fische. Sepp Holzer ist bereits wieder am Erklären, ungeduldig, weil noch nicht alle da sind, auf seiner Stirn glänzen Schweissperlen. Ich höre gerade noch, wie er die verschiedenen Irissorten am Teichrand aufzählt: Iris sibirica, Iris germanica und Iris pseudacorus. Diese grossen Irisstöcke könne er gut verkaufen. Ein Hotel, das gerade einen Teich anlege, zahle dafür rund 1200 Euro, für besonders grosse Stöcke erhalte er gar 2000 Euro. Auch die Samen könne er verkaufen.

Es imponiert mir, dass Sepp Holzer kein Schwärmer, kein ökologischer...

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