Teil I Grundlagen der Pflegewirtschaftslehre
1 Entwicklungslinien und Basiskonzepte der Betriebswirtschaftslehre
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Im ersten Kapitel wird als Einstieg auf historische Aspekte eingegangen. Daneben werden (ausgewählte) theoretische Ansätze der Betriebswirtschaftslehre vorgestellt.
1.1 Entwicklungslinien der Betriebswirtschaftslehre
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Die Geschichte der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre wird anhand der Phasen Aufbau, Ausbau und Interdisziplinarität erläutert.
1.1.1 Aufbauphase: ca. 1900 bis 1945
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Mit der zunehmenden Industrialisierung des Deutschen Reiches vor und nach der Jahrhundertwende und mit dem Wachstum der Unternehmen (Kapital, Personal) stellte sich für die Unternehmer und die Unternehmen zunehmend das Problem der Steuerung ihres Betriebes. Sie benötigten dafür vor allem auch Personal, das in der Lage war, diese Steuerung im kaufmännischen Bereich mit wahrzunehmen. So entstanden um die Jahrhundertwende die ersten Handelshochschulen, die diese Fachkräfte ausbildeten. Die theoretischen Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre prägten vor allem die Probleme in den Unternehmen, sie bestimmten den Gegenstandsbereich, die Forschung und die Modellbildung/Theorieformulierung und damit die Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre in Deutschland (vgl. Wöhe/Döring 2010, S. 13 ff.).
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Die Herausbildung der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft ist im engen Zusammenhang mit dem Bedarf an hoch qualifizierten Kaufleuten (Managern) in den Wirtschaftsunternehmen zu sehen. Deshalb kam es zu den Gründungen der Handelshochschulen. Diese Situation war z. B. in den USA ähnlich. Die Bezugsdisziplin zur deutschen Betriebswirtschaftslehre ist dort Business Administration. Die nachfolgende Tabelle 1 zeigt den Vergleich zwischen Deutschland und den USA im Hinblick auf die Anfänge der hoch qualifizierten Ausbildung von Managern.
Tab. 1:
Betriebswirtschaftliche Ausbildungsgänge USA/Deutschland
Fachgebietsbezeichnung | Business Administration | Betriebswirtschaftslehre (früher: Handelswissenschaft) |
Institutionen, an denen dieses Fach gelehrt wird | 1881 Wharton School of Commerce and Finance, Universität von Pennsylvania 1908 Harvard Business School ab 1918 Gründungswelle von Business Schools | 1898 Handelshochschule Leipzig 1906 Handels-Hochschule Berlin 1914 WiSo-Fakultät an der Universität Frankfurt (1919 Köln) ab 1945 Gründung weiterer WiSo-Fakultäten |
Abschluss, Diplom | Bachelor of Arts (Science) in Business Adm. BA Master of Arts (Science) in Business Adm. MBA Doctor of (Philosophy in) Business Adm. DBA, Ph. D. | Diplom-Kaufmann Diplom-Ökonom Diplom-Handelslehrer Dr. oec., Dr. rer. pol. Dr. habil. (Privatdozent) |
Quelle: Staehle 1994, S. 5.
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In den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts (Weimarer Republik) hatten die Unternehmen zunächst mit der Inflation (Währungsreform 1923), dann im Zuge des Wirtschaftsaufschwungs mit zunehmender Spezialisierung und Automation (Rationalisierung) zu tun. Auch diese Herausforderungen schlugen auf die Betriebswirtschaftslehre als wissenschaftliche Disziplin durch, etwa in der Bearbeitung von Fragen der Bewertung (Bilanztheorie), der Kalkulations- und Preispolitik sowie der Finanzierung und Liquiditätspolitik.
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In den 30er- und frühen 40er-Jahren des nationalsozialistischen Systems agierten die Unternehmen in einer gelenkten Wirtschaft. Die Betriebswirtschaftslehre befasste sich deswegen vor allem mit den Fragen des Rechnungswesens. Die theoretischen Grundlagen für die Produktions- und Kostentheorien wurden in jenen Jahren gelegt. Daneben wurden auch Fragen der betrieblichen Preispolitik erörtert.
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Für die Aufbauphase der Betriebswirtschaftslehre sind besonders drei Namen hervorzuheben, weil sie als Begründer dieser Wissenschaftsdisziplin anzusehen sind:
- Eugen Schmalenbach (1873–1955)
- Wilhelm Rieger (1878–1971)
- Heinrich Nicklisch (1876–1946)
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Schmalenbach, dem die Betriebswirtschaftslehre ihren Namen verdankt, verfolgte mit seinen Ansätzen den Leitgedanken der Wirtschaftlichkeit. Er trat dafür ein, dass sich die Betriebswirtschaft für den Betrieb und nicht für den Unternehmer zu interessieren habe. Für seinen Antipoden Rieger stand die Rentabilität im Mittelpunkt seiner Ansätze. Der Gegensatz zwischen beiden wird in einer Äußerung Schmalenbachs deutlich: „Die Frage lautet tatsächlich nicht: „Wie verdiene ich am meisten?“, sondern: „Wie fabriziere ich diesen Gegenstand mit der größten Ökonomie?“ (vgl. Wöhe 1993, S. 28).
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Nicklisch verfolgte mit seinen Ansätzen die Idee der Betriebsgemeinschaft. Er sah in den Betrieben „Sozialgebilde“ und war davon überzeugt, dass es für das betriebswirtschaftliche Gestalten wichtig ist, eine Sozialphilosophie zu haben. Er stellte den Menschen in den Mittelpunkt seiner Ausführungen.
1.1.2 Ausbauphase: ab 1945
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Im Zusammenhang mit dem Auf- und Ausbau der Sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg standen für die Betriebswirtschaftslehre die Bereiche „Absatz“, „Markt“ und „Werbung“ im Vordergrund der Forschung und Theoriebildung. Daneben wurden Fragen der „Unternehmensführung“ und der „Gestaltung der Organisation“ erörtert. Diese Weiterentwicklung der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft ist vor allem mit dem Namen Erich Gutenberg (1897–1984) verbunden. Gutenberg hat mit seinem Werk ein erstes geschlossenes theoretisches System für die Betriebswirtschaftslehre vorgelegt. Für ihn stand die (Produktivitäts-)Beziehung zwischen Faktoreinsatz – z. B. Arbeitskräfte (Input) – und Faktorertrag – z. B. erzielter Gewinn (Output) – im Vordergrund.
1.1.3 Phase der Interdisziplinarität: ab 1970
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Mit der etwa 1970 einsetzenden Phase war die Öffnung der Betriebswirtschaftslehre zu den sozialwissenschaftlichen Disziplinen verbunden. Im Hinblick auf im Betrieb zu treffende Entscheidungen wurden auch sozialwissenschaftliche Erkenntnisse mit berücksichtigt. Die Komplexität des Betriebes und deren Vernetzung mit der Umwelt versuchten viele Theoretiker mithilfe systemischer Ansätze zu beschreiben.
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In Ergänzung zu den bisherigen Ausführungen unterscheidet Wunderer (2011, S. 518 f.) bei der Beschreibung der Entwicklungslinien der deutschen Betriebswirtschaftslehre entsprechend der chronologischen Abfolge zwischen sieben Phasen:
- 1. Ethiken und Techniken des „ehrbaren Kaufmanns“
- 2. optimale Nutzung der Betriebselemente „Kapital“ und „Arbeit“
- 3. Management durch betriebliche Instrumentalfunktionen
- 4. optimale Kombination der Produktionsfaktoren
- 5. Führung von/durch Individuen oder Management von Systemen
- 6. Führung als strukturierte Interaktionsbeziehung
- 7. Betriebswirtschaftslehre als ökonomische Theorie
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Die weitere Umschreibung dieser Phasen ist Tabelle 2 zu entnehmen.
Tab. 2:
Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre
1. Ethiken und Techniken des „ehrbaren Kaufmanns“ | Zeitraum: um 1900 Gegenstand: ethische Prinzipien, praktisch-normative Verhaltensregeln, Bilanzwesen, Handelssprachen |
2. Optimale Nutzung der Betriebselemente „Kapital“ und „Arbeit“: | |
2a. BWL als kapitalorientierte Führungslehre | Zeitraum: 1900–1930 (erste Phase) Gegenstand: Kosten- und... |