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E-Book

Philharmonische Begegnungen

Die Welt der Wiener Philharmoniker als Mosaik

AutorClemens Hellsberg
VerlagBraumüller Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl420 Seiten
ISBN9783991001621
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Sie zählen zu den weltweit führenden Orchestern, ihr Neujahrskonzert lockt Jahr für Jahr ein Millionenpublikum vor die Bildschirme: die Wiener ­Philharmoniker. Voraussetzung für den Ruhm ist harte Arbeit des einzelnen Mitglieds wie des Kollektivs. Clemens Hellsberg, von 1997 bis 2014 Vorstand des Orchesters, gewährt in diesem Buch ungewöhnliche Einblicke und ­Ansichten: Das Resultat ist ein Mosaik, das einen Bogen über die Gründung im Jahre 1842 durch Otto Nicolai bis zur Tätig­keit des Ensembles in der Welt von heute spannt.

Clemens Hellsberg, 1952 in Linz geboren, studierte Musik­wissenschaft und Alte ­Geschichte an der Universität Wien sowie Konzertfach Violine an der Musik­hochschule Wien. Seine ­Karriere an der Wiener Staatsoper begann 1976 als Sekund­geiger, zwei Jahre darauf wurde er Primgeiger. 1980 erfolgte seine Aufnahme in den Verein Wiener Philharmoniker, deren Vorstand er von 1997 bis 2014 war.

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Leseprobe

„WIR MUSIKER MÜSSEN VORBILD SEIN“: DAS VERMÄCHTNIS BRUNO WALTERS


Auch wenn die Geschichte eine unablässige Folge von Krieg, Grausamkeit und Terror zu sein scheint: Es gab und gibt zu allen Zeiten Boten der Humanität, die den Glauben an Menschlichkeit aufrechterhalten. Die meisten von ihnen bleiben einer breiten Öffentlichkeit unbekannt; aber für sie stehen Symbolfiguren, ob sie nun Mahatma Gandhi, Albert Schweitzer, Mutter Teresa, Nelson Mandela oder Papst Johannes Paul II. heißen – Leuchttürme der Humanität und Träger der Hoffnung, dass wir uns doch auf dem Weg zum wahrhaft humanen Menschen befinden.

Die Geschichte der Wiener Philharmoniker ist von der Qualität der aktiven Mitglieder ebenso bestimmt wie von den überragenden Künstlerpersönlichkeiten, die das Ensemble präg(t)en. Ein Dirigent nimmt in dieser illustren Reihe einen besonderen Platz ein – Bruno Walter, geboren am 15. September 1876 in Berlin, verstorben am 17. Februar 1962 in Beverly Hills, hinterließ dem Orchester ein einzigartiges moralisches Vermächtnis, das gleichzeitig eine für immer fortbestehende Verpflichtung darstellt.

Allein die Jahreszahlen dieser Verbindung sind unerhört beeindruckend: Sein erstes Philharmonisches Konzert dirigierte Walter 1907, das letzte 1960; rechnet man sein Debüt in der Hofoper dazu, das 1901 erfolgte, dann beträgt der Zeitraum der künstlerischen Zusammenarbeit 59 Jahre; und bedenkt man schließlich, dass er das Ensemble 1897 erstmals hörte und dieser Eindruck für ihn „absolut lebensentscheidend“ war, während andererseits der letzte (schriftliche) Kontakt aus dem Jahr 1961 datiert, dann sprechen wir von einer 64-jährigen Verbindung.

Die Zahl wird noch beeindruckender durch die Zeit, in welche diese 64 Jahre fielen: Sie beinhaltet den Untergang der Habsburgermonarchie, den Ersten Weltkrieg und die Ausrufung der Ersten Republik, den Ständestaat, die nationalsozialistische Diktatur und den Zweiten Weltkrieg ebenso wie die Gründung der Zweiten Republik und der Vereinten Nationen. Ereignisse also, welche aus historischer Sicht wie in einem Zeitraffer die gesamte Bandbreite von Gut und Böse widerspiegeln – Barbarei und Menschenverachtung einerseits, Größe und Großartigkeit in Idee und Anspruch wie etwa die Deklaration der Menschenrechte andererseits.

Im Mai 1960 schilderte Walter in einem Radiointerview die Eindrücke seines ersten Wienbesuchs im Jahre 1897: „Da hatte ich ein Engagement an dem kleinen Stadttheater Preßburg […]. Aber als ich in Wien war, hörte ich nun die Philharmoniker zum ersten Mal. […] Da habe ich das Gefühl [gehabt], so soll ein Orchester klingen, so soll es spielen […]. Die Schönheit, diese Ruhe des Klangs, diese Art von Glissando, die Art von Vibrato, der Streicherklang, die Mischung von Holz mit Streichern, mit Blech, das Maß im Blech, das sich einfügte mit dem Schlagzeug zusammen in den Gesamtklang des Orchesters. Für mich war dieser Eindruck 1897 absolut lebensentscheidend. Und […] dieser Klang von 1897 ist heute der gleiche. […] Anfang der Fünfziger [tatsächlich: 1947], nach der fürchterlichen Zeit, ich war in Amerika, ich traf mich mit den Wiener Philharmonikern in Edinburgh, […] es war ein rührendes Wiedersehen mit ihnen nach langer Trennung. Und als sie anfingen zu spielen, es war derselbe Klang, und jetzt, als ich mit ihnen musizierte und anfing, Schubert zu probieren, derselbe Klang, den ich 1897 mit solchem Entzücken in mich aufgenommen hatte. Was das ist, das dürfte man Tradition nennen. Hier ist eine lebendige Stadt, die ihre Musikalität in diesen Menschen ausdrückt, die da zum Orchester versammelt sind. Die musikalische Kultur hat sich gerade in Wien in einer ganz bestimmten lokalen Form ausgedrückt. So klingt Wien.“

An der Begeisterung, die noch 63 Jahre nach dieser ersten Begegnung in ihm nachwirkte, lässt sich ermessen, welch ein Traum sich für Bruno Walter erfüllte, als ihn der damalige Hofoperndirektor Gustav Mahler 1901 nach Wien berief, wo er mit Verdis „Aida“ debütierte. Am 27. Jänner 1907 stand er erstmals am Pult der Wiener Philharmoniker; aber weil diese damals das „Abonnementdirigentensystem“ praktizierten (das Plenum wählte einen Künstler, der alle Abonnement- sowie einen Großteil der Sonderkonzerte leitete) und Walter von 1913 bis 1922 als Operndirektor am Münchner Nationaltheater tätig war (wo er u. a. Hans Pfitzners „Palestrina“ oder Walter Braunfels’ Oper „Die Vögel“ uraufführte), blieb die Zahl der gemeinsamen Konzerte zunächst gering. Dafür gab es aber ein Ereignis von musikhistorischer Relevanz: Im Rahmen einer „Wiener Musikfestwoche“ brachte er mit den Philharmonikern am 26. Juni 1912, also 13 Monate nach Mahlers Tod, dessen Neunte Symphonie zur Uraufführung.

Aufgrund wachsender Spannungen des Orchesters mit Felix von Weingartner, der von 1908 bis 1927 als Abonnementdirigent fungierte, gab es eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit Walter, und 1927 wollte man neue Wege gehen und die Konzerte zwischen ihm, Wilhelm Furtwängler und Franz Schalk aufteilen. Überglücklich sagte Walter zu, aber noch während sein Brief aus London unterwegs war, hatte sich der angesehene und ansonsten besonnen agierende Vorstand Alexander Wunderer der Forderung Furtwänglers gebeugt, „den größeren Teil der philharmonischen Konzerte ab Herbst dieses Jahres“ zu leiten, was auch prompt in der Zeitung zu lesen war.1 Walter zeigte sich zu Recht schockiert: „Am unbegreiflichsten aber ist mir, daß Sie, nachdem Sie mir offiziell drei bis vier Ihrer ordentlichen Konzerte angeboten hatten, Herrn Furtwängler’s Bedingung fünf bis sechs Konzerte zu dirigieren akzeptierten, wodurch Sie gezwungen waren, die einmal an mich ergangene Einladung nachträglich zu reduzieren. Sie werden verstehen, daß ich das, als mit meinem Prestige nicht vereinbar, nicht annehmen kann. Mit den besten Empfehlungen bin ich Ihr hochachtungsvoll ergebener Bruno Walter.“2

Als Furtwängler drei Jahre später seinen Vertrag nicht mehr verlängerte, reagierte man von philharmonischer Seite erneut wenig einfühlsam: „Wie Sie mir mitteilen“, hielt nämlich Bruno Walter fest, „haben Sie an alle bedeutenden Dirigenten, die in Betracht kommen, zu informativen Zwecken geschrieben. Dass somit mein Name sozusagen in einer Wahlurne mit denen einer Anzahl von Kollegen liegt, ergiebt [!] eine Situation für mich, die ich weder mit unseren Beziehungen, die Sie so freundlich erwähnen, noch mit der Stellung, die ich mir in der Welt errungen habe in Einklang bringen kann. Auch mahnt mich die Erinnerung an die Vorgänge bei Ihrer letzten Dirigentenwahl, soweit sie mich betrafen, ähnlichen Möglichkeiten vorzubeugen. Hätten Sie mir, wie es angesichts der erwähnten beiden Fakten nur natürlich erscheint, spontan die Stellung Ihres Dirigenten angetragen, so hätte ich für nächste Saison zwar nur einen kleinen, dann aber einen wesentlichen Teil Ihrer Konzerte übernehmen können. So aber müssen Sie mir erlauben, mich der Beantwortung Ihrer Fragen zu enthalten, wobei ich bitte, mir zu glauben, dass ich zu viel Achtung vor dem Recht des Anderen auf seine Meinung habe, um Ihnen die aus Ihrer Meinung entspringende Behandlung der Sache zu verübeln, so wie ich andererseits auch von Ihnen Verständnis für meine Einstellung erwarte.“3

Damit verblieb als einzige Alternative die Etablierung des damaligen Operndirektors Clemens Krauss als Abonnementdirigent, wobei Wunderer allerdings einen bedeutenden Trumpf in Händen hatte: die Zusage von Richard Strauss, „den Philharmonikern doch noch einmal ein Opfer zu bringen“ und in der Saison 1930/31 vier Abonnementkonzerte zu dirigieren „für den Fall, daß […] Krauss die andere Hälfte übernim[m]t. Ich stelle nur zur Bedingung, daß ich keine Novität einstudieren muß u. keine Sinfonien von Brahms u. Bruckner zu dirigieren brauche, sondern 4 Program[m]e mit Klassikern, Wagner, Liszt u. Berlioz aufstellen darf.“4 Als dann die Wahl von Krauss zum „ständigen Dirigenten“5 der Philharmoniker feststand, trat Strauss sofort eine Veranstaltung ab, weil er merkte, dass der Operndirektor die Mehrheit der Konzerte wünschte. „Ich habe keinen Ehrgeiz mehr, freue mich, wenn ich mich noch irgendwie nützlich machen, einer guten Sache dienen kann, freue mich im[m]er, wenn ich die lieben Philharmoniker dirigieren darf, höre aber auch ebenso gerne zu, wenn der vortreffliche Krauss Sie dirigiert.“6

Drei Jahre später endete die Ära von Krauss unter turbulenten Umständen, und gleichzeitig gaben die Philharmoniker die seit 1860 gepflegten Usancen auf und führten das Gastdirigentensystem ein. Am 3./4. März 1934 debütierte Bruno Walter in den Abonnementkonzerten, wo er bis 1938 neun Produktionen leitete. Das Konzert vom 20. Februar 1938 sollte das vorletzte vor dem Untergang Österreichs sein. Auf dem Programm standen Felix Mendelssohn Bartholdys Ouvertüre zu „Ein Sommernachtstraum“ und Anton Bruckners...

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