III. BISHERIGE BESCHREIBUNGEN DER "HÜLSENBECKSCHEN KINDER"
Die folgend angeführten bestehenden Beschreibungen der "Hülsenbeckschen Kinder" sollen auf die Begriffe aufmerksam machen, die nach der verborgengeometrischen Analyse jenes Bildes erneut besprochen werden sollen. (Die vom Autor unterstrichenen Begriffe sind damit gemeint. In eckigen Klammern werden die Zusätze des Autors gegeben.)
Paul Ferdinand Schmidt "Philipp Otto Runge", 1923:
Schmidt meint, dass Runges ">Tageszeiten< mit ihren Ablegern [etwa den Illustrationen zu Tiecks Minneliedern] wirklich die Sichtbarmachung der romantischen Weltanschauung darstellen." [1]
Christian Adolf Isermever "Philipp Otto Runge", 1940:
" >Schrecklich< klagte er [Runge], >wenn die Leute verlangen, ich soll ihnen die Gedanken bei jedem einzelnen Ding darin [in seinen Radierungen der "Tages-Zeiten"] sagen<, denn >wenn eine Darstellung aus noch so vielerlei Gegenständen zusammengesetzt werden kann, so ist die eigentliche Totalform doch ein Gewächs<." [2]
">Das, was ich die Kunst nenne<, erläutert er [Runge] seinem Vater, >ist so beschaffen, daß, wenn es den Leuten nur so eben geradezu gesagt würde, es niemand verstände, und sie mich für rasend, verrückt oder albern erklären würden<. Und an Tieck schreibt er: >Es muß in der Welt eine große Konfusion machen [...], wenn einer das Höchste ausspricht: der Same findet keinen Grund und geht nicht auf<." [3]
Es sei hier an Runges Worte, die er 1802 an seine Mutter gerichtet hatte, erinnert: "Ich kann Ihnen es nicht so deutlich sagen, wie ich es wohl weiß, daß eine schöne und wohl bessere Kunst vor uns liegt, die wir finden werden und worauf hin alle meine Kräfte steuern." [4]
Jörg Traeger "Philipp Otto Runge und sein Werk", 1975:
"Am 16. Oktober 1805 fing Runge ´bey Hülsenbecks Kinder an zu mahlen´. Am 2. November beschrieb er das Bild >von Hülsenbecks 3 Kinder, worauf die beyden größten das Kleine im Garten fahren, wo bey der Garten und Hamburg alles Portrait ist, und wird viel Effect machen<. " [5]
Katalog 1977 ("Runge in seiner Zeit" Hrsg. Werner Hofmann, 1977):
[Zur Vorzeichnung, Traeger Nr. 311] "Die von Daniel erwähnte ´Zeichnung in Federumrissen mit einiger Abweichung´ (HS I, S. 365) ist sicher [zeitlich] vor dem Gemälde entstanden, worauf schon die Quadrierung hinweist." [6]
[Zum Ölbild, Traeger Nr. 312] "Es ist der Garten von Hülsenbecks Landhaus in Eimsbüttel [...] Man erkennt am Horizont von rechts nach links die Türme von St. Katharinen, St. Nicolai, St. Petri und (hinter der Sonnenblume) St. Jacobi." [7] [Die Reihenfolge ist hier vertauscht. Es muss heißen "St. Nicolai, St. Katharinen.]
Runges "auf Synthese gerichtetes Denken erfindet sich in der Ersten Figur [der Stern-Blume [8] ) den Stütz- und Mittelpunkt aller Gestaltungsprozesse." [9] [Abb. 9a]
Peter Betthausen "Philipp Otto Runge", 1980:
"Unter Eichs Aufsicht malte Runge im zweiten Halbjahr 1804 das Ölbild >Die Mutter an der Quelle<. [...] "Das Bild sollte eine Quelle wiedergeben, aber auch eine Quelle im übertragenen Sinne darstellen, nämlich das künstlerische Gründungsmanifest der neuen >Landschafts<-Kunst." [10]
"Eine in sich versunkene, liegende Frau, die den schweren Kopf mit dem rechten Arm stützt, hält in der Linken ein Kind, das mit den Füßen im Wasser steht und mit den Händen nach seinem Spiegelbild greift. In der rechten Bildhälfte wuchern üppige Pflanzen, darunter Passionsblumen und eine Narzisse, die sich ebenfalls zum Wasser neigt. Der Sinn des Bildes ist wiederum mehrschichtig. Er hat eine antik-mythologische und eine christliche Ebene. Auf die erstere deuten die Narzisse und Runges Erwähnung einer Nymphe in der Beschreibung des geplanten Quell-Bildes in jenem Brief vom 27. November 1802 hin. Danach wäre das sich im Wasser betrachtende Kind eine Anspielung auf Narcissus, den schönen, in sein eigenes Spiegelbild verliebten Jüngling, und die liegende Frau die Nymphe Leiriope, seine Mutter Die christliche Schicht erschließt die Passionsblume, deren Blätter hinter der Narzisse zu erkennen sind. Sie symbolisiert den Opfertod Christi für die seit ihrer selbstverschuldeten Vertreibung aus dem Paradies in Sünde lebenden Menschen. Das Greifen des Kindes nach seinem Spiegelbild deutet das Streben nach Erkenntnis und somit die Gefahr der Sünde an. Das Kind steht im Begriff, sich aus der Umarmung der Mutter zu lösen und des Paradieses verlustig zu gehen.
[Abb. 9 a] Kopie, ungefähr, nach: "Runge: Mystische Kreisßguration, 1803." In: Hofmann 1977, Seite 32, Abb. 1."
Bereits in einem Brief an Pauline vom April 1803 hatte Runge diesen Gedankenkomplex mit folgenden Worten umschrieben: >So wie das Kind im Paradiese lebt und sich selbst unbekannt selig ist; es kommt aber, wie es anfängt zu lernen, die Sünde in ihm: das ist die Erbsünde, die nun einmal in der Welt ist, denn durch die Wissenschaft sind Körper und Seele getrennt worden<. Ihre Wiedervereinigung geschehe durch die Liebe: >das ist die alte Sehnsucht zur Kindheit, zu uns selbst, zum Paradiese, zu Gott<." [11]
">Die Mutter an der Quelle< ist in diesem Sinne Historie und Utopie in einem: Das Bild stellt den Übergang vom paradiesischen zum irdischen Sein des Menschen dar, und indem die Folgen, die dem Menschen aus dem Verlust des Paradieses erwachsen, ausschließlich negative Vorzeichen erhalten, wird es ebenso zur Allegorie der Sehnsucht nach einem neuen paradiesischen Zeitalter und der Aufhebung aller bisherigen Geschichte." [12]
Jörg Traeger "Philipp Otto Runge. Die Hülsenbeckschen Kinder", 1987]:
[...] "Für die Systematik, mit der Runge [...] ans Werk ging, sind die >Hülsenbeckschen Kinder< das Musterbeispiel. Das haptische Verhalten erscheint nach Altersphasen genau unterschieden und ausdrucksmäßig jeweils auf den Bewußtseinsgrad abgestimmt. Das Kleinkind [Friedrich] ist noch ganz ohne Einsicht in das Geschehen. Mehr Objekt als Subjekt des Spiels, behindert es die mit ihm veranstaltete Fahrt im Leiterwagen, indem es mit der Rechten den Stengel eines Sonnenblumenblatts umklammert. Das Gesicht wendet es weniger blickend als äugend, fast glotzend nach außen zum Betrachter Das mittlere Kind [August] agiert bereits in der Klarheit wacher Augen. Beide Hände sind greifend mit einem zum Greifen bestimmten Gegenstand verbunden, die rechte mit dem Griff der zum Knall erhobenen Peitsche, die linke mit der Deichsel des gezogenen Wagens. Das größere Mädchen daneben [Maria] vertritt eine zusätzliche Differenzierung. Die linke Hand am Deichselgriff hat es im Einklang mit der Kopfwendung den rechten Arm mit geöffneter Hand zum kleinen Bruder im Wagen [Friedrich] zurückgestreckt, wohl um ihn zum Loslassen des Blattstengels aufzufordern. Die Kinderhand ist frei geworden zur Gebärde." [...] "Vor unseren Augen vollzieht sich jetzt eine schrittweise Entfaltung kindlichen Handelns vom bloßen Anfassen über funktionales Bewerkstelligen zu gestischer Gelöstheit." [13]
Prestel Museumsführer "Hamburger Kunsthalle", 1994:
DIE HÜLSENBECKSCHEN KINDER "Zum Freundeskreis von Otto und Daniel Runge in Hamburg gehörte auch August Hülsenbeck, als Kaufmann Daniels Geschäftspartner. Runge malte dessen Kinder im Garten des Landhauses der Familie im Vorort Eimsbüttel. In der Ferne sind die Kirchtürme der Stadt wiederzuerkennen, die von St. Katharinen, St. Nicolai, St. Petri und – hinter der Sonnenblume – St. Jacobi. Die drei [Kinder] sind im Spiel vertieft, mit dem Ernst, der Kinder eignet. August, Pferd und Kutscher zugleich, schwingt die Peitsche wie ein Triumphator. Die große Schwester Maria wendet sich zum kleinen Friedrich im Bollerwagen, der nach einem Blatt der Sonnnenblume gegriffen hat. Die Pflanze ist größer als die Kinder. Ein scharfes...