In der Nacht ist es bequemer, als ich dachte, und ich kann recht gut meditieren auch schlafen, werde jedoch alle Stunden geweckt. Unter mir zieht um 1 Uhr eine Familie ein und das Baby schreit wiederholt. Das letzte Mal wache ich um 6:30 Uhr auf und da steht die Sonne schon hoch über dem Horizont. Bin ja schließlich seit gestern 500 km nach Osten gefahren. Die Landschaft hat sich auch verändert. Große Felsbrocken (teilweise haushoch) liegen verstreut in der hügeligen Landschaft. Ein junger Mann, Santosch, spricht mich an. Er erklärt mir, der Zug würde nicht direkt nach Hyderabad fahren, wenn ich nach Hyderabad wolle, müsse ich an einer Station aussteigen, an der er auch aussteigt. Wir kommen ins Gespräch, und als er erkennt, dass ich an religiösen Dingen und am Hinduismus interessiert bin, bietet er sich an, mich zu einigen Tempeln zu führen.
8:30 Uhr Ankunft (350 km in fast 12 h). Zum ersten Tempel laufen wir von der Station hin, an der wir aussteigen. Der nächste ist der Birla Mandir auf einem Hügel in der Stadt. Oben angelangt, bedeutet man uns, dass ich mit meinem Gepäck nicht hinein könne. Santosch bietet an, auf mein Gepäck aufzupassen und ich vertraue ihm, obwohl das natürlich der Supergau wäre, würde er sich mit allem aus dem Staub machen, ich habe nur Geldbeutel und Brusttasche mit. So schaue ich mir die Pilgerstätte relativ zügig an. Alles aus weißem Marmor. Von oben hat man einen wunderbaren Ausblick auf die Stadt. Häuser so weit das Auge reicht. Unten ein See mit einer riesigen Buddha-Statue und Santosch ist Gott sei Dank noch da, als ich zurückkomme …
Dann geht’s mit dem Bus zum nächsten Tempel, Sai Baba Tempel, wie Santosch sagt. Es stellt sich dann aber heraus, dass er schon älter ist (also die vorige Inkarnation von dem heute bekannten Sai Baba). Der Sai Baba, der letztes Jahr seinen Körper verlassen hat, wird dort auch verehrt. Ursprünglich wollte ich ein paar Tage in Hyderabad bleiben. Santosch kennt jedoch keine geeignete Unterkunft und ich finde es auch besser, gleich in Puri für mehrere Tage ein Zimmer zu nehmen. Also geleitet mich Santosch noch zu dem Bahnhof, von dem ich abfahren muss (auf dem Weg halten wir ein weiteres Mal in einem großen bunt bemalten und ausgeschmückten Tempel, wo wieder keine Fotos erlaubt sind und Santosch wieder auf mein Gepäck aufpasst. Am Bahnhof kaufe ich mir problemlos die Karte nach Bhubaneswar. Bis zur Abfahrt um 4 mache ich mich mit dem Gepäck auf dem Rücken noch in eine der anschließenden prall gefüllten Geschäftsstraßen auf, raste, esse und lese an einem etwas ruhigeren Ort, wo mich nur eine Kuh mal relativ aufdringlich anbettelt. Als mir eine Verkäuferin einen langen Stock reicht, mit dem ich etwas herumfuchtele, verschwindet das Vieh schneller, als es gekommen ist.
Mir fällt auf, dass an der Tür meines Sitzplatzes, wo ich wieder mal beobachte und lese, viele junge Männer in einem eleganten violett-weiß klein gestreiften Hemd aus und eingehen. Nun fragt mich jemand (nicht in der Uniform), der dieselbe Tür benutzt, ob ich was suche. Da ich gemerkt habe, dass in Indien derartige Fragen gar nicht so aufdringlich oder rhetorisch sind und die Leute einem immer gern weiterhelfen, frage ich, was in dem Gebäude sei, weil da diese gut gekleideten jungen Männer ein und ausgehen. Da antwortet er mir, es sein ein Hostel, die Frage nach einem Zimmer für 200 Rupien beantwortet er positiv. Die Zimmer möchte ich mir natürlich gern mal ansehen, obwohl ich die Fahrkarte Richtung Puri schon in der Tasche hab. Er zeigt mir dann auch ein Zimmer in dem riesigen, aber recht unsauberen Gebäude, das er mir gerne geben würde, die Kommunikation ist, wie meistens in Indien, nicht so ganz eindeutig. „Vielleicht beim nächsten Mal“, kann ich zum Abschluss nur sagen. Die uniformierten Männer (die sich hier auch verköstigen, mehrere sitzen beim Essen) arbeiten in der Indien Mall und zahlen 4000 Rupien pro Monat. Santosch (21), der in einem Call-Center (Hindi, Kanada) arbeitet und ein Diplom hat, wohnt in einer WG weit außerhalb und zahlt 500 Rupien im Monat.
Um rund drei Uhr komme ich zum Bahnhof zurück und sehe, dass das Gleis meines Zuges bereits angegeben ist. Auf dem Gleis steht auch schon ein Zug, doch bis ich merke, dass das meiner ist, ist er schon ziemlich voll. Ich steige da ein, wo noch Sitzplätze frei zu sein scheinen. Da sagt man mir, ich könne hier nur sitzen, wenn ich eine Reservierung hätte. Sie schauen auf meine Fahrkarte und sagen, das sei eine generelle Buchung, dafür fände ich Wagons am Ende. Das Ende ist dort, wo keine Reservierungslisten neben Türen hängen. Dort ist schon alles gedrückt voll. Ich gehe zum Vorletzten, vor dem Frauenwagon. Da kann ich zumindest noch einsteigen. Ich komme nicht vor und nicht zurück und die Männer, die mir gegenüberstehen, scheinen mir nicht ganz geheuer. Sind das nun endlich einmal diejenigen, vor denen ich ständig von denen gewarnt werde, die mir behilflich sind. Falls ja, bin ich ihnen auf dieser langen Strecke hilflos ausgeliefert ...
Es ist erst halb vier und es kommen immer noch Passagiere die hereinwollen. Mit meinen Rucksäcken (vorn und hinten), hab ich keine Chance in die Gänge zu den Sitzplätzen zu gelangen, denke ich, und lass immer noch welche vorbei. Am Ende geht nichts mehr. Die Leute kommen auch nicht mehr an mir vorbei, ich solle doch nochmal aussteigen. Das tue ich nicht, weil ich fürchte, nicht mehr reinzukommen. Nun bietet man mir an, mein Gepäck in den Sackgang zu den Toiletten zu stellen, wo sich ein paar junge Männer offensichtlich ein wenig Platz freigehalten haben. Hier weht mir zwar ein ziemliches Düftchen entgegen, doch endlich raus aus dieser Enge. Nur – hier staut sich die Wärme und es dauert noch lang, bis der Zug abfährt … auch meine Aussichten auf die Zugfahrt sind ziemlich desillusionierend. Wie es aussieht, werde ich die gesamte Zugfahrt in dem Loch stehen müssen, denn auch hier stehen wir inzwischen wie die Sardinen, weil immer noch Leute zusteigen wollen. Das Wasser läuft mir herunter und ich greife immer öfter zur Wasserflasche. Wenn hier einer unter Klaustrophobie leidet, dann hält er es nicht aus, denke ich, und stell mir kurz vor, wie es wäre, wenn ich hier mal zu rasen begänne. Gott sei Dank ist hier wenigstens einer, der zumindest bruchstückhaft Englisch spricht. Er sagt, er wolle mit diesem Zug bis nach Kolkata reisen, das dauere 30 Stunden und er habe sich darauf eingestellt, so lange zu stehen. Das sind ja schöne Aussichten. Ich packe erst mal meinen Kindle aus, um wenigstens etwas Sinnvolles zu tun. Doch das Licht ist schlecht und ich greife zum Netbook (und hoffe nur, dass mein Gepäck nicht zum Objekt der Begierde wird) sinke vor der Toilettentür zu Boden und schreibe mal ein wenig. Der Zug steht noch, doch es kommen schon die ersten, die auf die Toiletten wollen. Eine befindet sich links eine rechts. Ich stehe jeweils auf und öffne und schließe die Türen. Nun rollt der Zug an, viel Luft kommt in unserer Ecke jedoch auch nicht an. Sobald jemand zur Toilette geht, sehe ich mit meinem Netbook auf. Das Problem ist: Einige derjenigen, die auf die Toilette gehen, machen sich nicht mehr die Mühe, sich bis zu ihrem Platz zurückzudrängen und bei uns wird es enger und enger. Da kommt einer auf die (wahrscheinlich geplante) Idee, eine der Toiletten zu besetzen. Und hier offenbart sich der wahre Vorteil der Hockklos. Die Fensterverhängung abgenommen und über die Klofläche gelegt und es sind 5 neue Plätze geschaffen. Es dauert nicht lange, da biete ich mich an, am Fensterplatz zu sitzen, an dem man sich mit einer Wasserleitung arrangieren muss. Das wird mir gestattet. Und so hab ich wieder den „fast idealen“ Platz, mit Blick aus dem Fenster, kühler Luft und Möglichkeit einigermaßen gut mit meinem Netbook zu schreiben. Mein Rucksack wird von einem Kleinkind bewacht, das darauf schläft.
Die Sonne geht leider schon bald unter, dem Netbook geht schön langsam der Saft aus und ich mache mir Gedanken, wie das in der Nacht werden soll. Ich fahre hier mit einem so genannten Super-Fast-Express und hatte mir ausgerechnet, dass ich mein Ziel unter optimalen Umständen um 2 Uhr nachts erreichen könnte. Das würde ich aushalten. Gott sei Dank findet sich jemand, der sich mit dem Fahrplan gut auskennt. Mit Mühe bekomme ich heraus, dass ich in Bhubaneswar erst am nächsten Nachmittag um 2 Uhr ankommen würde … Da dauert es nicht lange, bis ich mich entschlossen habe, das Experiment vorzeitig abzubrechen. Um 20:30 Uhr verlasse ich die hinteren Quetschwagons, wo an jeder Haltestelle doppelt so viele zusteigen wollen wie aussteigen und steig mal in die Wagons mit Reservierungen ein. Da kann man, wenn man reserviert hat, die Nacht einigermaßen bequem verbringen, ungefähr so, wie ich letzte Nacht. Doch zum Hinlegen und Meditieren finde ich dort auch keinen Platz.
An der nächsten Haltestelle Vijayawada (4 1/2 Stunden für rund 300 km) steige ich dann ganz aus und nehme ein Zimmer für 250 Rupien, das meine inzwischen noch weiter reduzierten Ansprüche (wenn ich daran denke, dass meine freundlichen Reisegefährten, die mir den schönen kühlen Platz am Fenster überließen, während sie im Innern des Zuges schwitzten und eine Tüte Wasser nach der anderen kauften, noch immer und inzwischen sicher noch enger eingepfercht sind – da halten nur die Stärksten durch) vollkommen zufriedenstellt. Hier mache ich auch Bekanntschaft mit einer großen Käferart (Kakerlake?), wohl der Hüterin der Toilette und habe endlich Gelegenheit, mein Moskitonetz sinnvoll zu testen. Habe sogar einen Balkon auf die Hauptstraße, es gibt kein Fenster, die Tür lasse ich tunlichst offen, denn...