Anwendung von System Dynamics in Simulation und Planspiel
Christian K. Karl
Dieser Beitrag stellt die Entwicklung und praktische Erprobung eines synergetischen, bausteinorientierten Modellierungsansatzes dar, welcher sowohl zur Simulation als auch in Planspielen Anwendung finden kann. Die praktische Umsetzung wurde sowohl beim Einsatz des Simulationsprogramms Vensim als auch innerhalb von selbstentwickelten Planspielen nachgewiesen. Ebenso wird die Übertragbarkeit der Erkenntnisse aus der Simulation in Planspiele und umgekehrt vorgestellt. Für den Bereich der Planspiele ergibt sich somit zusätzlich zur klassischen Anwendung als Lehr-/ Lernmethode eine Anwendung als erfahrungsbasierte Forschungsmethode. In diesem Kontext musste die Definition des Planspielbegriffs erweitert werden.
This article presents the development and practical testing of a synergistic, module-oriented modeling approach that can be used for both simulations and educational games. The practical implementation of the modeling approach was demonstrated within the simulation program Vensim as well as within self-developed simulation games. The transferability of the findings from the simulation to the game and vice versa is also presented. In addition to the classical application as a teaching/ learning method, educational games can also be a meaningful research method based on experience. Therefore, it was necessary to expand the known definition of simulation games.
1. Einleitung
Dieser Beitrag basiert auf Karl (2014) (Deutscher Planspielpreis für Dissertationen 2015). Er erhebt nicht den Anspruch, ein umfassendes und möglichst detailliertes Bild der im Rahmen dieser Forschungsarbeit betrachteten Gebiete und Ergebnisse abzubilden. Vielmehr soll Einblick gegeben werden in den Hintergrund der Arbeit, die verschiedenen einbezogenen Domänen, ihre Beziehungen zueinander wie auch grundlegende Ergebnisse in Bezug auf das Themengebiet der Planspiele.
Motivation und Ziel
Simulationsmodelle stellen komplexe Beschreibungen von Realitäten dar zum Zwecke der Erforschung von multikausalen Vorgängen innerhalb eines Systems. Im Gegensatz dazu zeichnen sich Planspielmodelle insbesondere dahingehend aus, dass sie die Realitäten in stark verkürzter Form abbilden. Dieser Reduktionismus ist für Lehrzwecke notwendig und sinnvoll, doch liegt es in der Natur der Sache, dass solche Planspielmodelle kaum zur validen Simulation derselben Realität adaptiert werden können. Insofern steht bisher die Entwicklung eines auf reine Simulation ausgerichteten Modells, das auf Grund der umfangreichen Strukturbeziehungen detaillierter zu fassen ist, neben dem Planspielmodell, welches neben den einzelnen Elementen der ausgeschnittenen Realität vielfältige didaktische Gesichtspunkte berücksichtigen muss.
Da die personellen wie auch die finanziellen Aufwendungen zur Entwicklung und Umsetzung sowohl von Simulationen als auch von Planspielen nicht unerheblich sein können, bietet es sich an, zumindest eine der aufwendigsten Phasen – die Modellierung – zusammenzufassen. Somit ergibt sich für diese Forschungsarbeit das folgende zentrale Ziel:
Ziel der diesem Artikel zugrunde liegenden Arbeit ist die Entwicklung und praktische Erprobung eines bausteinorientierten Modellierungsansatzes, welcher sowohl zur Simulation der multikausalen und dynamischen Zusammenhänge in verschiedenen Ebenen der Bauindustrie als auch in Planspielen zur akademischen Aus- und Weiterbildung Anwendung finden kann.
2. Konzeption
Im Folgenden wird ein Ansatz zur Entwicklung von bausteinorientierten Modellen vorgestellt, welcher einerseits in Simulationen als auch bei Planspielen eingesetzt werden kann. Aufbauend auf einzelnen Bausteinen wird eine Bibliothek entwickelt, in welcher sich zukünftig neue Elemente einbinden lassen bzw. bereits bestehende angepasst oder erweitert werden können. Basis des bausteinorientierten Modellansatzes ist die System Dynamics-Methode.
2.1 System Dynamics
System Dynamics (SD) ist ein systemorientierter und computergestützter Problemlösungsansatz für explizite, mathematische Modelle (vgl. Milling 1996), welcher der Analyse und Gestaltung von Entscheidungsregeln (policies) dient. Als Begründer des System Dynamics-Ansatzes gilt Jay W. Forrester, welcher Ende der 1950er Jahre am Massachusetts Institute of Technology (MIT) die Feedback Control Theory (Details in Doyle et al. 1992) mit den Computer und Management Wissenschaften verknüpfte (vgl. Hafeez et al. 2004). Anwendung findet dieser Ansatz bei dynamischen Problemen, welche durch Veränderung über die Zeit, wechselseitige Abhängigkeiten der Systemelemente, Informationsrückkopplung sowie zyklische Kausalitäten charakterisiert sind und in jedem komplexen sozialen, betrieblichen, ökonomischen oder auch ökologischen System vorkommen (vgl. Richardson 1991). Für eine ausführliche Darstellung des System Dynamics wird auf die Standardliteratur von Forrester und Sterman verwiesen (vgl. Forrester 1961/1968/1969/1971/1972, Sterman 2004).
2.2 Domänenspezifische Simulations-Bausteinbibliotheken
Der SD-Ansatz ist zwar innerhalb vieler Fachwissenschaften bekannt, doch für eine umfassende Auseinandersetzung bzw. um selbstständig valide und funktionsfähige Modelle und Simulationen entwickeln zu können, ist für gewöhnlich ein vertieftes Studium der theoretischen Zusammenhänge oder eine ausgiebige Recherche nach bereits vorhandenen, im avisierten Modell integrierbaren Modellen notwendig. Hinzu kommt, dass bereits entwickelte SD-Modelle oftmals nur innerhalb eines spezifischen Bereichs einer einzigen Fachdomäne Bekanntheit erlangen. Offenkundig ist es aktuell unmöglich, dass bereits existierende Modelle (unabhängig welcher Fachdisziplin sie zuzuordnen sind) wie auch die darin enthaltenen Elemente in neue Modelle integriert werden.
Als wesentliche Ursache kann hier der Umstand genannt werden, dass bislang keine praxistaugliche Möglichkeit existiert, SD-Modelle sowohl innerhalb einer Domäne als auch darüber hinaus auszutauschen. Insofern erscheint es sinnvoll und notwendig, eine praxistaugliche allgemeine Methode zu entwickeln, mit welcher sich SD-Modelle wie auch die darin enthaltenen Einheiten klassifizieren lassen, um diese für andere Modellierer verfügbar zu machen. Eine Möglichkeit ist die Entwicklung von domänenspezifischen Simulations-Bausteinbibliotheken, im Folgenden System Dynamics Libraries genannt.
System Dynamics Libraries
In Anlehnung an die Nomenklatur der Chemie basiert eine System Dynamics Library (SDL) auf einem Atom-Molekül-Komponenten-Ansatz (kurz:AMCA= Atome-Molecule-Component-Approach). Daher besteht eine solche Bibliothek aus den folgenden drei grundlegenden Einheiten (Entities (E)): (1) Atome (a), (2) Moleküle (m) und (3) Komponenten (c). Abweichend zur Nomenklatur der Chemie wird hier nicht der Begriff der Molekülsubstanz verwendet.
Ein Atom ist das kleinste noch charakterisierbare Teilchen (vgl. Nic et al. 2006) innerhalb eines Modells. Dazu gehören alle Einzeleinheiten, welche innerhalb eines Modells selbständig und ohne externe Beeinflussung existieren. In Anlehnung an die allgemeine Modelltheorie haben Atome definierte Attribute und Eigenschaften (vgl. Stachowiak 1973). Atome können für sich allein keine Systemveränderungen hervorrufen, jedoch verknüpft mit anderen im Modell existierenden Einheiten. Insofern zählen alle für sich stehenden Einheiten zu den Atomen wie z. B. Bestands- und Flussgrößen, (Hilfs-)variablen und Konstanten. Eine Koppelung von Atomen bildet ein Molekül (vgl. Nic et al. 2006), welches aus der Interaktion der Atome seine Eigenschaft erlangt. Durch die Verknüpfung von Molekülen miteinander entsteht schließlich eine Komponente bzw. ein Baustein, welcher eine problembezogene eigene interne Ablauflogik besitzt. Durch die Zusammenführung von Atomen, Molekülen und Komponenten entsteht somit ein Gesamtmodell.
Da die Anwendung von System Dynamics-Modellen zu fundierten Entscheidungen und Entscheidungsregeln führen soll (vgl. Forrester 1961), wird innerhalb des hier vorgestellten Ansatzes ebenfalls die Entscheidungsebene (Decision-making level (D)) berücksichtigt. Daher werden die operative, die taktische und die strategische Entscheidungsebene gleichermaßen einbezogen. Innerhalb der operativen Ebene wird vorwiegend die physische Umsetzung und Ausführung von z. B. Projekten berücksichtigt. Auf der taktischen Ebene spielen insbesondere Prozesse und die Organisation innerhalb eines Unternehmens eine zentrale Rolle, wohingegen auf der strategischen Ebene die Positionierung und Ziele des Unternehmens innerhalb des Markts im Fokus stehen.
Um aus einer ganzheitlichen Systemanalyse von komplexen dynamischen Problemen wirksame Entscheidungsregeln für verschiedene Funktionsbereiche (Functional areas (F)) innerhalb eines Unternehmens ableiten zu können, erscheint es sinnvoll, auch die Bereiche Strategie und Organisation (Strategy & Organization (SO)), Forschung und Entwicklung (Research & Development (RD)), Finanzen und Betriebsführung (Finance & Governance (FG)), Marketing und Absatz (Marketing & Sales (MS)), Personalwesen und Mitarbeiterführung (Human...