Der Begriff des Web 2.0 hat in den letzten Jahren für große Aufmerksamkeit und viele Diskussionen in den Medien und insb. in der Marketing- und Werbewelt gesorgt (vgl. Burgold et al., 2009, S. 9). Das folgende Kapitel definiert den Begriff Web 2.0 und ordnet ihn in den historischen Zusammenhang der Entwicklung des WWW ein. Darauf folgt eine Operationalisierung des Begriffs Social Web, welcher häufig als Synonym für den Begriff Web 2.0 verwendet wird. Das Kapitel schließt mit einer Kategorisierung der bedeutendsten Anwendungen im Social Web und bildet so die Grundlage zum Verständnis der Wirkungsweisen von Kommunikation im Web 2.0. Diese Vorgehensweise ist unumgänglich, um ein ausgeprägtes Verständnis für die virale Verbreitung von (Marketing-) Botschaften im Social Web zu entwickeln.
Das WWW ist aus historischer und wirtschaftlicher Sicht eine der bedeutendsten Erfindungen unserer Zeit. Entwickelt durch Berners-Lee (1989), sollte es in erster Linie Forschungsgruppen aus aller Welt einen schnellen und unkomplizierten Informationsaustausch ermöglichen. Das WWW entwickelte sich daraufhin rasch zu einem Massenmedium (vgl. Schiele et al., 2008, S. 4f.). Allein in Deutschland nutzten im Jahr 2009 67,1% (43,5 Mio.) der Bevölkerung das WWW. Zehn Jahre zuvor waren lediglich 17,7% (11,2 Mio.) der Menschen in Deutschland online. Dies bedeutet ein Wachstum von 388% in nur zehn Jahren (vgl. ARD/ZDF Onlinestudie, 2010). Der Grundgedanke des WWW war es, Informationseinheiten und Verweise so miteinander zu vernetzen, dass eine einfache Navigation zwischen den Informationseinheiten über Hyperlinks ermöglicht wird. 1990 wurde der erste Webbrowser entwickelt, mit dem es möglich war einfache Textseiten aufzurufen. Ein integrierter Editor machte es möglich eigene Textseiten zu erstellen. Im selben Jahr wurde der erste Webserver eingerichtet und die erste Webseite ging online. Seit diesem Zeitpunkt schritt die Entwicklung des WWW stetig voran. 1991 entstanden weitere Webpräsenzen in verschiedenen Instituten in ganz Europa und den USA. 1992 gab es weltweit 26 Webserver. 1993 waren es bereits 200 Webserver (vgl. Schiele et al., 2008, S. 4f.). Im Dezember 2009 erreicht die Zahl der Webserver die 233 Mio. Marke (vgl. Netcraft, 2010). Großen Aufschwung erlebte das WWW neben der wissenschaftlichen Nutzung vor allem durch die private und wirtschaftliche Nutzung. Die Zahl der WWW-Nutzer betrug im September 2009 weltweit 1,73 Mrd. Menschen, welche rund 90 Billion E-Mails verschickten und denen 234 Mio. Websites zur Verfügung standen (vgl. pingdom, 2010).
Mit der Verbreitung und der stetigen Entwicklung des WWWs änderte sich auch das Nutzungsverhalten der WWW-Nutzer. Die Bereitstellung von Informationen lag zu Beginn ausschließlich in den Händen weniger Anbieter, die über eine ausreichende Infrastruktur und entsprechendes Wissen verfügten, um einen Webserver zu betreiben und eine WWW-Seite zu erstellen. Diese Informationen konnten dann passiv durch die WWW-Nutzer konsumiert und abgerufen werden (vgl. Schiele et al., 2008, S. 5).
Quelle: Schiele et al., 2008, S. 5.
Abb. 2: Informationsfluss im klassischen WWW
Nach der Jahrtausendwende entwickelte sich das WWW von einer starren und einseitigen Informationsquelle zu einem interaktiven ‚Mitmachmedium‘ (vgl. Schiele et al., 2008, S. 6ff.). Dieser Wandel wurde erstmals von O´Reilly (2005) beschrieben und unter dem Begriff Web 2.0 zusammengefasst. Er beschreibt das Web 2.0 wie folgt: „Like many important concepts, Web 2.0 doesn´t have any hard boundary, but rather, a gravitational core. You can visualize Web 2.0 as a set of principles and practices that tie together a veritable solar system of sites that demonstrate some or all of those principles, at a varying distance from that core.” Kaplan/Haenlein (2010, S. 62) hingegen wurden konkreter und definieren Web 2.0 als eine Plattform, auf der Inhalte und Applikationen nicht länger von Individuen, sondern kontinuierlich von allen Nutzern in einer partizipativen und kollaborativen Art und Weise erstellt werden. Hier wird deutlich, dass Web 2.0 keine reine Informationsquelle ist sondern durch seine Interaktivität und seine Netzeffekte mit anderen Nutzern einen wachsenden Mehrwert bietet.
Zu den von O´Reilly beschriebenen und von Kilian et al. (2008, S. 4f.) aufgegriffenen Prinzipien zählen die Kundenintegration bzw. Interaktivität, die Verteilung oder Dezentralität und die Offenheit bzw. Interoperabilität, welche im weiteren Verlauf dargestellt werden. Die Kundenintegration bzw. Interaktivität beschreibt das Web 2.0 im Kern als interaktives ‚Mitmachmedium‘. Die Nutzer werden in die Wertschöpfungskette integriert und produzieren Inhalte, wie bspw. Artikel, Bilder, Videos, Kommentare oder Bewertungen, welche auf einer WWW-Plattform veröffentlicht werden und die Plattform inhaltlich anreichern (vgl. Russell 2009, S. 1ff.). Die vom Nutzer selbst produzierten Inhalte werden unter dem Begriff des ‚User-Generated-Content‘ (UGC) zusammengefasst (ebd.). Die OECD (2007, S. 17) definiert den UGC als diverse Möglichkeiten von medialen Inhalten, welche durch den Endnutzer (im Gegensatz zu traditionellen Media-Produzenten wie Schriftsteller, Texter, Verleger, Journalisten, lizensierte Rundfunkanstalten and Produktions-Firmen) produziert werden.
Quelle: Schiele et al., 2008, S. 6.
Abb. 3: Informationsfluss im Web 2.0
Die Verteilung bzw. Dezentralität im Web 2.0 ist geprägt durch den UGC. Jeder Nutzer wird nun auch Anbieter von Informationen in vielfältiger Art. Diese Informationen sind dezentral gespeichert und werden durch Knoten miteinander verbunden. Dieses Konstrukt lässt sich am Beispiel des ‚Taggings‘ veranschaulichen. Der Nutzer entscheidet selbst, ob und unter welchen Begriffen eigene Inhalte im Netz gefunden werden können. Dies wird nicht zentral von einem Anbieter gesteuert sondern dezentral durch den Nutzer selbst. Weiterhin erfüllen private Blogs oder Social Networks wie bspw. Xing oder Facebook ähnliche Zwecke wie konventionelle Webseiten oder ersetzen diese gar ganz (ebd.). Das Prinzip der Offenheit bzw. Interoperabilität beschreibt die Möglichkeit einzelne Blogs oder Profile von Social Networks zu vernetzen und Inhalte in weitere Plattformen zu integrieren. Hierbei handelt es sich um sogenannte ‚Mash-Ups‘, welche Aggregationen von Inhalten verschiedener online Quellen darstellen (vgl. McKinsey, 2007, S. 6). Somit lassen sich bspw. YouTube Videos in die Social Network Seite Facebook oder Fotos von Flickr via geometrischer Daten in die interaktiven Weltkarte von Google Earth integrieren (ebd.). Auf Basis der oben beschriebenen Prinzipien definieren Kilian et al. (2008, S. 7) Web 2.0 wie folgt:
„Das Web 2.0 umfasst Internet –Anwendungen und –Plattformen, die Nutzer aktiv in die Wertschöpfung integrieren – sei es durch eigene Inhalte, Kommentare, Tags oder auch nur durch ihre virtuelle Präsenz. Wesentliche Merkmale sind somit Interaktivität, Dezentralität und Dynamik.“
Die Debatte über eine einheitliche und detaillierte Definition des Begriffs Web 2.0 ist noch nicht abgeschlossen, daher wird die Definition von Kilian et al. als Nominaldefinition beibehalten (vgl. Schiele et al., 2008, S. 4). Gegenwärtig gilt der Begriff Web 2.0 „[…] als Chiffre, um eine Reihe von Veränderungen zusammenzufassen, welche die Geschäftsmodelle, Prozesse der Softwareentwicklung und Nutzungspraktiken des Internets berühren (Schmidt, 2008, S. 18).“ Web 2.0 wird von Burgold et al. (2009, S. 9) als Auslöser einer neuen Ära in der WWW-Kommunikation und als das Leitmedium für die Kommunikation der Zukunft verstanden. Die bereits beschriebenen evolutionär entstandenen Veränderungen in der WWW-basierten Kommunikation führen zu einer radikalen Verschiebung der Kommunikationskultur. Burgold et al. (2009, S. 10) beschreiben dieses Phänomen als stille Revolution, da sich das „[…] bis dato stabile Paradigma der monoklassischen Kommunikationsvertikalität zugunsten einer omnikanaligen und reziproken Kommunikationsplattform mit beträchtlicher Horizontalität […]“ entwickelt hat. Somit ist der Begriff Web 2.0 nicht als abgeschlossenes Paradigma zu betrachten sondern als ein offenes Konzept. Dieses Konzept beschreibt die aktive Gestaltung des WWW durch die Nutzer und Software-Entwickler, welche das WWW durch ihren Beitrag, dem UGC, anreichern, aktiv gestalten und in seiner Ausprägung durch innovative Konzepte und Plattformen immer wieder neu erfinden. Das WWW wird nicht durch den Inhalt einzelner Individuen gestaltet sondern durch eine kontinuierliche Modifikation und Weiterentwicklung gemeinsam arbeitender Nutzer, welche sich durch eine partizipative und kollaborative Philosophie auszeichnet...