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PONS Kurzkrimi Deutsch als Fremdsprache: Unter der Erde

Mörderische Kurzkrimis zum Deutschlernen (B1)

AutorDominic Butler
VerlagMarcial Pons Ediciones de Historia
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783120501183
Altersgruppe14 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Deutsch lernen mit mörderischen Kurzgeschichten - Spannende Kurzkrimis zum Sprachenlernen - Schwierige Wörter werden extra erklärt. Für Fortgeschrittene (B1).

Der Autor Dominic Butler, Sprachlehrer und Schriftsteller, stammt aus Nordengland. Nach seiner Schulzeit studierte er Film und Literatur und während seiner Studienzeit arbeitete er in Teilzeit als Gerichtsschreiber am Strafgericht. Dort erwachte sein Interesse für Kriminalfälle, die von nun an Thema vieler seiner Kurzgeschichten wurden. Dominic lebt und arbeitet in Italien, wo er gerade seinen ersten Roman beendet, einen düsteren, jedoch humorvollen Krimi.

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Leseprobe

3. GOTT STECKT IM DETAIL


Die Gassen der Innenstadt sind ruhig: Es ist Sonntag, kurz nach achtzehn Uhr, die Leute kommen von ihren Sonntagsausflügen und -besuchen zurück, wollen endlich zu Hause ankommen, vielleicht einen Krimi anschauen und vor allem nicht daran denken, dass morgen Montag ist. Es ist Ende September und die Sonne fängt an, am Horizont unterzugehen. Daniel Huber steht an der Tür eines geschlossenen Ladens in der Residenzstraße und wartet. Er raucht eine Zigarette nach der anderen und genießt zutiefst1 den Geschmack jedes Zuges. Es gibt auch einen weiteren Geschmack, den er gerade auskostet2: den der Freiheit. Aber er muss vorsichtig sein: Die Polizei ist überall und sucht nach ihm. Wenn er seine kostbare Freiheit behalten will, muss er wachsam sein.

Er schaut auf die Straße mit ihren geschlossenen Läden. Aber vor allem schaut er auf den Dom. Als Kind ist er immer zur Messe hierhergekommen. Samstags hat er mit seinem Bruder bei seinem Onkel in der Innenstadt übernachtet und sonntags sind sie immer zur Messe gegangen. Er war sogar bei den Domspatzen3 dabei. Er hat so viel Zeit innerhalb dieser Kirche verbracht. Und jetzt … Wie lange hat er die Kirche nicht mehr betreten? Es sind wohl um die 15 Jahre. Aber das ist jetzt nicht so wichtig. Was wichtig ist, ist der Unterschlupf4, den ihm die Kirche bieten kann. Jetzt sind sicherlich nur noch ein paar Leute in der Kirche, es ist kurz vor der Schließzeit. Er muss jetzt rein, das ist der perfekte Zeitpunkt. Er zieht den Kragen5 seiner gestohlenen Jacke hoch, damit die Gefängnisuniform, die er darunter trägt, nicht zu sehen ist. Er wirft den Zigarettenstummel auf den Boden und hält kurz inne, denn er hört eine Sirene aus der Ferne. Sie wird aber leiser. Er überquert langsam den Domplatz und schaut sich lässig6 um, scheinbar ruhig. Als er vor der hölzernen Seitentür steht, atmet er ein. Dann zieht er sie auf und tritt ein. Der Geruch hat sich kein bisschen verändert. Er wird sofort in die alten Zeiten zurückversetzt. Ihm wird klar, dass er die Kirche noch in- und auswendig kennt7. Er kennt noch ganz genau das Lichtspiel der farbigen Fenster und den Gesichtsausdruck der Steinfiguren. Und er weiß, dass er unterhalb der neuen Orgel hineingelaufen ist, obwohl er sie noch nicht gesehen hat. Sie ist eingebaut worden, während er im Gefängnis war, aber er hat in der Zeitung davon gelesen. Er rechnet kurz die Zeit zusammen, die er in dieser Umgebung verbracht hat, während Pfarrer Antoni seine Predigten gehalten und die ganze Kirchengemeinde zusammengebrüllt8 hat – vielleicht 20 volle Tage seines Lebens? Pfarrer Antoni ist schon immer ein cholerischer9 Mann gewesen. Er war aber auch herzlich und Daniel hofft, dass er es immer noch ist.

Mit seiner Vermutung hatte er Recht: Es sitzen nur noch zwei ältere Damen auf den Kirchenbänken. Sie sitzen ganz vorne, nicht so weit voneinander entfernt und murmeln ihre Gebete vor sich hin. Vor einem Kerzenständer steht noch ein Mann Mitte fünfzig. Niemand scheint Interesse an ihm zu haben, niemand schaut auf oder dreht sich um. Wunderbar, denkt sich Daniel. Dann sieht er das, wonach er gesucht hat und läuft hinüber zum Beichtstuhl10. Als er sich nähert, geht eine Seitentür der Kirche auf und eine Frau tritt herein. Er will nicht, dass sein Gesicht aus der Nähe gesehen wird, also macht er die Tür des Beichtstuhls schnell auf und hinter sich wieder zu. Sobald er drinnen sitzt, hasst er die hölzernen Wände und das Gitter zwischen den beiden Räumen jetzt genauso, wie er sie damals gehasst hat. Er musste wöchentlich beichten, sein Onkel wollte es so und er hat immer viel erfunden, denn er war viel zu brav für die Beichte. Was für eine Wendung die Dinge nehmen11 können. Und außerdem ist er durch die Freiheitsstrafe ziemlich allergisch gegen kleine Räume geworden. Die Zukunft kann er sich nicht so richtig vorstellen, aber eines steht fest: Er braucht Natur und viel Platz um sich.

„Herr Pfarrer, sind Sie da?“

Niemand antwortet und er kann hinter dem Gitter auch keine Bewegungen sehen. Er versucht, eine bequeme Stellung zu finden und stellt sich auf Warten ein. Nach ein paar Minuten fängt er an, eine Müdigkeit zu spüren, die wie eine warme Dusche auf ihn herunterfällt. Er hat letzte Nacht nicht geschlafen und lange gelaufen ist er auch. Er kann sich gegen die Müdigkeit nicht wehren. Er beschließt, die Augen kurz zuzumachen und lehnt den Kopf gegen das Gitter. Er darf allerdings nicht einschlafen, er darf nicht … Und dann schläft er doch ein.

Er träumt von dem Koffer, der in der Garage seines Bruders vergraben liegt, aber wenn er den Koffer aufmacht, sind da keine Geldscheine, sondern alte Zeitschriften und schmutzige Klamotten. Er wird wütend und will seinen Bruder zur Rede stellen12, als plötzlich sein Handy klingelt. Der Anrufer sagt immer wieder „Hallo?“. Als ihm das Handy aus der Hand herunterfällt, schreckt er aus dem Schlaf auf. Eine Sekunde lang weiß er nicht mehr, wo er ist, aber es kommt alles schnell wieder. Auf der anderen Seite des Gitters sitzt jemand: „Hallo? Hallo, ist jemand da?“

„Ja, ich bin da“, sagt Daniel und für einen Augenblick ist zwischen den beiden Stille. Dann fährt er fort: „Vergib mir, Vater, denn ich habe gesündigt.“

Wieder eine lange Stille. Daniel versucht, das Gesicht des Pfarrers durch das Gitter hindurch zu sehen, aber er kann nur seinen Umriss sehen. Nach einigen langen Augenblicken antwortet der Pfarrer.

„Ich höre, mein Sohn.“

„Zuerst müssen Sie mir etwas versichern. Alles, was ich hier sage, fällt unter die Schweigepflicht13, oder?“

„Das stimmt, so ist es“, sagt der Pfarrer. Daniel denkt, dass er eine ruhige, ehrliche Stimme hat.

„Sind Sie das, Pfarrer Antoni?“

„Antoni? Nein. Mein Name ist Knut. Pfarrer Antoni ist vor über zehn Jahren verstorben.“

Daniel nickt im Dunkeln.

„Können Sie trotzdem zuhören, auch wenn Sie nicht mein Pfarrer sind?“

„Jeder kann zuhören“, sagt Pfarrer Knut ruhig.

„Aber versprechen Sie, niemandem irgendwas von dem zu erzählen, was ich Ihnen gleich sagen werde?“

„Ich verspreche es, ich werde es keiner Seele erzählen.“

Daniel nickt noch einmal mit dem Kopf und holt Luft.

„Herr Pfarrer, ich muss Sie um etwas bitten. Ich brauche einen Unterschlupf.“

„Unterschlupf?“

„Ja. Ich muss ein paar Tage untertauchen14, höchstens eine Woche. Können Sie mich aufnehmen, können Sie das tun?“

„Vielleicht. Aber warum brauchen Sie einen Unterschlupf? Ich kann Ihnen nur dann helfen, wenn Sie mir sagen, warum. Wenn Sie Gottes Vergebung15 haben wollen, müssen Sie offen reden.“

„Einverstanden, aber Sie haben es versprochen: Sie sagen niemandem was.“

„Ja, machen Sie sich keine Sorgen, ich stehe zu meinem Wort16.“

„Ok. Ich heiße Daniel Huber – kommt Ihnen der Name bekannt vor?“

„Ja, das tut er. Ihr Name wird in jeder Nachrichtensendung erwähnt. Sie sind der Ausbrecher, Sie sind vor zwei Tagen aus dem Gefängnis geflohen. Sie sollten sich der Polizei stellen.“

„Nein! Sie haben es versprochen! Niemand darf erfahren, dass ich hier bin.“

„Dann sollen Sie mir alles erzählen.“

„Es gibt nicht so viel zu erzählen. Ich bin aus dem Wagen geflohen, mit dem sie mich zum Krankenhaus fahren wollten. Ich habe gesagt, dass ich Magenschmerzen habe. Fieber hatte ich mir auch „organisiert“. Der Arzt dachte, dass es eine Blinddarmentzündung17 sein könnte. Aus dem Wagen auszubrechen, war dann relativ einfach.“

„Gott wird dafür über Sie urteilen18. Aber wieso sind Sie in Regensburg geblieben?“

„Die Sache ist die: Ich muss noch etwas holen, bevor ich verschwinde. Und das ist der Grund, warum Sie mir helfen sollen. Ich muss ein paar Tage abwarten, bis die Polizei denkt, dass ich weit weg bin. Dann kann ich diesen … diese Sache holen und endlich gehen. Und ich verspreche Ihnen hoch und heilig19: Ich werde nie wieder in meinem Leben etwas Illegales tun. Ich werde ein ehrliches Leben führen.“

„Ich verstehe“, sagt Pfarrer Knut. „Ich will Ihnen helfen. Und wenn Sie alles beichten, werde ich dies auch tun. Aber Sie sind nicht ganz ehrlich gewesen. Wie ich immer sage, Gott steckt im Detail. Also sagen Sie ruhig: Was ist dieses ‚Ding‘, das Sie holen wollen?“

Daniel zögert. Er fragt sich, ob er den Pfarrer belügen soll. Aber wieso sollte er? Pfarrer sind anders als herkömmliche Menschen.

„Es ist ein Koffer. Und in dem Koffer sind eine halbe Million Euro. Und ja, das Geld ist gestohlen, aber ich habe es vorhin ernst gemeint: Ich werde ab jetzt nichts mehr machen, mit dem Sie nicht auch einverstanden wären. Das ist vor vielen Jahren gewesen, damals habe ich einen Geldtransporter überfallen. Er ist für eine Bank gefahren. Banken haben Versicherungen über Versicherungen. Im Grunde hat also niemand das Geld verloren. Nur … ich habe es sozusagen gewonnen. Und selbstverständlich habe ich bei der Aktion damals niemanden...

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