1949-1963
Markengeschichte: Vom Konstruktionsbüro zum Automobilhersteller
Der Ur-Typ
Ein sonorer Ton durchbrach nur allzu oft die Stille des Kärntner Frühsommers im Jahr 1948. Die Bewohner des idyllischen Fleckchens Karnerau bei Gmünd, die dem silbernen, offenen Zweisitzer nachblickten, an dessen Steuer der 39-jährige Ferry Porsche saß, konnten freilich nicht ahnen, dass sie die Geburt eines Mythos erlebten. Dem Versuchswagen unter der Projektnummer 356/1 hatten die britischen Militärbehörden am 15. Juni 1948 zusammen mit dem amtlichen Kennzeichen K-45286 eine Einzelgenehmigung für Testfahrten erteilt. Fortan war der erste Porsche ein vertrauter Anblick rund um das österreichische Dorf. Freilich: Dass vom Sägewerk Karnerau ein Impuls ausging, der noch mehr als 65 Jahre später die Herzen von Sportwagenfans in aller Welt höher schlagen lassen würde, dass der Name „Porsche“ zum Synonym für den alltagstauglichen Sportwagen überhaupt werden sollte, hätte sich wohl auch Ferry Porsche am Steuer des 356/1 nicht vorstellen können – obwohl er sich als erster am knackigen Handling des zweisitzigen Roadsters erfreuen durfte.
Den Ur-Typ mit heutigen Sportwagen-Maßstäben zu messen, wäre allerdings unfair. Die Eckdaten lesen sich mehr als 60 Jahre später reichlich unspektakulär. Der luftgekühlte Vierzylinder-Boxermotor mit 1,1 Litern Hubraum hatte es zwar mit nur 585 Kilogramm Leergewicht zu tun, brachte aber auch nur 35 PS mit – was schon 1948 keinesfalls übermotorisiert war. Immerhin errechnete sich daraus ein Leistungsgewicht von 16,7 Kilogramm pro PS. Beim VW Käfer jener Tage musste sich eine Pferdestärke mit knapp 30 Kilogramm plagen. Neben der Agilität des leichten Autos überzeugte die Aerodynamik: Immerhin 135 km/h ließen sich mit dem Porsche 356/1 erzielen, bei abgedecktem Beifahrersitz waren sogar 140 km/h möglich. Ein hohes Maß an Effizienz prägte also den ersten Porsche, und das sollte zum Markenzeichen aller seiner Nachfolger werden.
Wenn der Vater mit dem Sohne: Mit dem Ur-Typ hatten Ferdinand und Ferry Porsche ihren Traum vom eigenen Sportwagen verwirklicht.
Noch wichtiger als die Technik scheint die Idee, der Charakter, der in dem Ur-Typ steckte: Die Idee vom Porsche-Fahren. Schon der 356/1 muss genau jenen Genuss vermittelt haben, den Millionen und Generationen von Porsche-Fahrern erlebt haben und erleben: Fahren in seiner schönsten Form. Hinter diesem von Porsche später als Markenclaim verwendeten Satz steckt ein Lebensgefühl, das Porsche-Chef Matthias Müller im September 2011 in der Porsche-Kundenzeitschrift „Christophorus“ so beschrieb: „Es geht darum, dass die Technik wirklich spürbar und erlebbar ist. Nicht Technik um der Technik willen, nein, Technik für das Gefühl, einen Porsche zu fahren. Gang einlegen, pure Mechanik und dann ein Kraftausbruch, wenn Motor und Getriebe zusammenwachsen, wenn die Energie sich entfaltet und sich auch im Sound ausdrückt. Da bekomme ich eine Gänsehaut.“ Ferry Porsche muss im Sommer 1948 genau diese Gänsehaut gehabt haben. Und jeder echte Porsche wird seither genau an dieser Frage gemessen: Ob er das Porsche-Gefühl vermittelt oder nicht.
Schon in den 1930er Jahren hatten der „Vater des Käfers“, Ferdinand Porsche, und sein Sohn Ferry intensiv die Möglichkeiten einer sportlichen Variante des Volkswagens diskutiert. Kaum aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, ließ Ferry Porsche diesen Gedanken wieder aufleben. Die finanziellen Möglichkeiten und die Materialknappheit jener Tage hätten zur Realisierung auch gar keine andere Möglichkeit gelassen. Bei der Entwicklung des 356/1 galt die Maxime, so viele Teile aus dem Regal der gerade angelaufenen Käfer-Fertigung zu übernehmen wie möglich.
Und tatsächlich war frappierend, wie viele Organe der Käfer dem Versuchsträger – und später auch den Serienfahrzeugen – spendete. Der Motorblock wurde 1:1 übernommen, allerdings mit modifiziertem Innenleben, erhöhter Verdichtung und Solex-Doppelvergasern von 25 PS auf 35 PS gebracht. Das Chassis wurde ebenfalls übernommen, genau wie Lenkung, Bremsanlage, Radaufhängung und Getriebe. Eine komplette Neuentwicklung war dagegen die auf einen Gitterrohrrahmen montierte Aluminium-Karosserie nach dem Design von Erwin Komenda, der auch den VW Käfer entworfen hatte. Binnen zwei Monaten war das Aluminium-Kleid über einem Holzmodell in Handarbeit gedengelt worden. Die Einbaulage des Vierzylinder-Boxers war freilich geändert worden: Das Aggregat des 356/1 war vor der Hinterachse angeordnet – als klassischer Mittelmotor.
Kein Wunder, dass Ferry Porsche auf seinen Testfahrten bereits von einer Kleinserie von 500 Fahrzeugen träumte – womit der Name „Porsche“ erstmals auf der Karosserie eines Fahrzeugs zu lesen war. Im August konnte bei einem Straßenrennen in Innsbruck der erste Sieg eines Porsche-Sportwagens verzeichnet werden. Die Leistungsfähigkeit des Konzepts war eindrücklich unter Beweis gestellt worden. Doch bis zu einer Serienfertigung sollte es noch eine Weile dauern – und zahlreicher Änderungen bedürfen. Der Erfolg sollte dafür weit über alles hinausgehen, was Vater und Sohn sich am Anfang dieser Geschichte hätten vorstellen können.
Der offene Ur-Typ verfügte noch über einen Mittelmotor und Leichtmetallkarosserie.
Vom Prototypen zur Serie
Der Plan, eine Produktion für einen Sportwagen aufzubauen, erschien 1948 reichlich verwegen. Von einer geregelten PKW-Fertigung konnte im Nachkriegs-Europa nirgendwo gesprochen werden. Selbst Länder, deren Produktionseinrichtungen vom Krieg unversehrt geblieben waren – etwa Schweden mit Volvo – litten unter erheblichen Materialengpässen, sodass die Produktion von Fahrzeugen, die zumeist auf Vorkriegs-Konstruktionen basierten, nur sehr zögerlich anlief. Aber die Begeisterung für das Sportwagenprojekt ließ sich von schwierigen Rahmenbedingungen nicht bremsen. Zielstrebig wurde der Bau des ersten Porsche-Sportwagens in Angriff genommen.
Die ersten Kostenanalysen zeigten jedoch, dass der Gitterrohrrahmen viel zu aufwändig in der Herstellung war. Ein zweiter Prototyp wurde aufgebaut, dessen Aluminium-Karosserie mit dem Käfer-Plattformrahmen verbunden war. Statt vor der Hinterachse wurde der Motor nun außerdem dahinter platziert, um Platz für Gepäck und Passagiere hinter den Vordersitzen zu schaffen. Alltagstauglichkeit war schon 1948 eine wichtige Maxime für Porsche bei der Entwicklung eines Sportwagens.
Im Zürcher Seefeld eröffnete schließlich Bernhard Blank 1949 den weltweit ersten Porsche-Verkaufsraum – im Foyer seines Hotels! Der Hotelier organisierte im selben Jahr auch den ersten Auftritt der jungen Marke beim Genfer Automobilsalon. Auf dem Porsche-Stand wurden im März 1949 das 356/2-Coupé und das Cabrio der Weltöffentlichkeit präsentiert. Beide erregten sofort großes Interesse. Die Leistung war bei unverändertem Hubraum um 5 auf 40 PS gewachsen. Dass nahezu jede Modelländerung zugleich mit einer Erhöhung der Leistung verbunden war, sollte sich später auch zu einer guten Tradition des Hauses Porsche entwickeln. Die Resonanz auf dem Genfer Salon war so ermutigend, dass das Ziel von 500 Fahrzeugen nicht mehr utopisch, sondern in greifbare Nähe gerückt erschien.
Die Porsche-Mannschaft hatte inzwischen die Kärntner Provinz verlassen und wieder die heimatlichen Büros in Stuttgart-Zuffenhausen bezogen. In angemieteten Produktionshallen der Firma Reutter sollte endlich die angestrebte Serienfertigung beginnen. Vorher musste allerdings noch ein schmerzlicher Abschied vollzogen werden. Denn die Aluminiumkarosserie – in Kärnten in aufwändiger Handarbeit entstanden – hatte sich als nicht brauchbar für eine Serienlösung herausgestellt und musste durch eine Stahlkarosserie ersetzt werden. Das Mehrgewicht von 100 Kilogramm schmerzte, war aber unausweichlich. Dafür blieb der Verkaufspreis mit 9950 Mark unter der magischen 10.000er-Grenze.
Der 356/2 war ein Coupé und der Motor – aus Platzgründen – hinter die Hinterachse gewandert.
Auf dem Genfer Salon 1949 wurden Coupé und Cabriolet der Öffentlichkeit präsentiert.
Erfolgsstory und Aufrüstung
Von nun an ging alles unfassbar schnell: Schon 1950 wurden fast 400 Fahrzeuge an ungeduldige Kunden ausgeliefert. Ab April 1951 war auf Wunsch ein 1,3 Liter-Motor lieferbar, der 44 PS mobilisierte. Über 1200 Porsche 356 verließen im gleichen Jahr die Zuffenhausener Werkshallen. Schon im zweiten Jahr war das ursprüngliche Produktionsziel mehr als verdoppelt worden. Maßgeblichen Anteil an diesem Erfolg hatte der US-amerikanische Markt. Der aus Wien stammende Max „Maxie“ Edwin Hoffman war Anfang des Krieges nach New York emigriert und hatte 1946 begonnen, dort mit europäischen Autos zu handeln – ab 1950 auch mit Porsche. Aus den ursprünglich vorgesehenen...