EINFÜHRUNG
Der Wunsch, Licht ins Dunkel der Erkenntnis zu bringen, ist so alt wie die Menschheit. Erkenntnis nämlich, was passiert mit mir, wenn ich gestorben bin. Solange unsere Sinnwelt noch nicht erforscht war, solange es noch keine Naturwissenschaft und Technik gab, lag die übersinnliche Welt vor dem Auge des Menschen offen, war der Himmel hell und klar. Dementsprechend gab es zu der Zeit auch keine Zweifel an der Tatsache eines Lebens nach dem Tode. Seit sich aber die Erkenntnissicht grundlegend geändert hat, seit die Erde bis ins letzte Atom erforscht und aufgeklärt werden konnte, hat sich der „geistige“ Horizont verdunkelt: In dem Maße, wie das Diesseits aufgehellt wurde, verschloß sich das Jenseits. Dementsprechend sind auch die Antworten auf die Frage nach Wesen und Sinn des Todes und des Jenseits verschieden ausgefallen.
Die Antwort der Naturwissenschaft ist die einfachste: Der Tod ist das letztgültige Ende eines Lebewesens, das Erreichen der äußersten Grenze, an der alle Vitalfunktionen erlöschen. Ein Danach gibt es nicht, ebenso wie es ein Leben vor dem Leben nicht geben kann. Man spürt das Unzureichende dieser Aussage. So allgemein gefaßt, gibt es keinen Unterschied zwischen Pflanzen-, Tier- und Menschentod. Ihrem Wesen nach sind sie aber höchst unterschiedlich. Wenn im Herbst die Blätter der Bäume zu Boden fallen und die Pflanzen vermodern und erfrieren, so mag man vom Sterben der Natur sprechen. Doch in Wirklichkeit ist hier der Tod – nach Goethe – „der Kunstgriff der Natur, viel Leben zu haben“, denn kein Blatt löst sich vom Zweig eines Baumes, das nicht zuvor eine Knospe gebildet – und damit die Garantie für das Leben im Frühling geschaffen hat.
Der Tod des Menschen dagegen ist ein einmaliges Ereignis. Wenn alle Bemühungen um Heilung einer Krankheit, alle heute möglichen Versuche der Wiederbelebung aufgegeben werden mußten, also der „klinische Tod“ eingetreten ist, dann ist die Grenze des Lebens eines Menschen unwiderruflich erreicht. Der Körper wird in Kürze zerfallen, in der Erde verwesen oder vom Feuer verbrannt werden. Die Existenz jedes stofflichen Moleküls oder Atoms ist dem Prinzip nach weiter verfolgbar im Sinne der an den Gräbern gesprochenen Worte: „Erde zu Erde, Asche zu Asche“.
Das ist die Außenseite vom Sterben und Tod des Menschen. – Die eigentliche Frage gilt aber dem Schicksal der Seele. Auch sie hat eine Grenze erreicht und überschritten. Ihr Erdenleben ist eindeutig beendet. Was folgt? Jede Grenze hat ein Diesseits und Jenseits. Dies gilt im physischen wie im geistigseelischen Bereich. Wir sprechen von Grenzen in allen uns vertrauten Daseinsschichten. Kennt ein Mensch seine Grenzen nicht, sei es die Grenze zum Nachbarsgarten, sei es die Grenze der eigenen Kraft, wird er die Folgen zu spüren bekommen.
Grenzübertritte unterliegen besonderen Gesetzen. Wer sie nicht genügend beachtet, begibt sich in Gefahr. Der heutige Mensch ist in der Regel zufrieden, wenn er sein Leben innerhalb der Grenzen von Geburt und Tod begreift. Die naheliegenden Fragen: Was war vorher? Was wird nachher sein? – tauchen zwar auf, werden aber im allgemeinen als unbeantwortbar verdrängt oder nur oberflächlich beantwortet. Entweder weist man darauf hin, daß schließlich niemand wissen könne, was vor der Geburt gewesen sei und nach dem Tod sein wird, oder man spricht von den natürlichen Gegebenheiten, vor der Geburt seien die Eltern dagewesen, und nach dem Tode werde die Verwesung des Leibes eintreten.
Zudem vermutet man, daß alle anderen Aussagen sowieso nur Wunschphantasien seien, mit deren Hilfe der Mensch gegenüber der Unerbittlichkeit des Todes Trost suche.
So möchte ich mit diesem Buch mich nicht auf den Irrweg begeben, zu beweisen, daß es ein Leben außerhalb des Lebens gebe, sondern ich möchte vielmehr konstruktiv versuchen, die Fragen zu vertiefen, indem ich dort ansetze, wo man gewöhnlich aufhört zu fragen.
Wir finden im Buddhismus, wie überhaupt in den indischen Religionen eine bedeutsame Gegensatzsymbolik von Unwissenheit oder Nichtwissen und Wissen oder Weisheitserkenntnis. Unwissenheit ist das Nichtwissen von den wahren Hintergründen der seelischen Beziehungen, der triebhaften Bedingungen und Abhängigkeiten, unter denen der „Nichtwissende“ lebt und leidet. Wissen ist in diesem Zusammenhang Aufhellung aller der Seele begegnenden tragischen Manifestierungen. Wo Aufhellung und bewußte Klärung ist, schwinden Hindernisse, die einer innerlichen Befreiung im Wege stehen.
Je mehr an Nichtwissen oder dem noch nicht vorhandenen Wissen aus der Gesamtheit von Bewußtsein zu Erkenntnis und Wissen gewandelt werden kann, umso mehr konkretisiert sich Wissen, Bewußtheit und gegenwärtiges Bewußtsein. Aus dieser Sicht sind sogenannte Reinkarnationserlebnisse ohne Bedeutung, solange damit bewiesen werden soll, ob es eine Existenz vor dem Leben gegeben hat oder nicht. Bedeutsam werden derartige Erlebnisse für den einzelnen nur, wenn sie ihm eine Form von Bewußtseinserweiterung dahingehend vermitteln, zu erkennen, was in seine Seele eingelagert ist, was ihn behindert hat, der Mensch zu sein, der er immer sein wollte und sollte.
Den Spuren dieser inneren Einlagerungen zu folgen, ist Sinn dieses Buches, ist der tiefe Sinn meiner Arbeit. Das Ziel ist somit klar. Es geht darum, dem Menschen zur Befreiung über einen ungewöhnlichen Weg zu verhelfen. Über Selbsterkenntnis, auch über die Grenzen des gegenwärtigen Lebens hinaus. Wir machen diese Grenzüberschreitung ganz bewußt, aus der Erfahrung heraus, daß Grenzen etwas naturgemäß sehr Einengendes sein können.
Der Mensch ist von seiner Wesensstruktur und Physis her zuerst einmal ein irdisches und daher durch ein natürliches Triebverhalten gebundenes Wesen. Die gesamte Körperlichkeit ist in den Ablauf biologischer und naturhafter Vorgänge eingeflochten. Aber der Mensch als ein zugleich sich seiner selbst bewußtes und geistiges Wesen erkannte noch eine andere Ebene des Seins, mit der er sich außerhalb und jenseits aller natürlichen Gegebenheiten stellen kann. Daß der Mensch in den Rhythmus der Natur eingebunden ist, ist nicht das Problem. Es beginnt erst dann, wenn die geistige Natur des Menschen autark wird und sich in einem Gegensatz zu seiner irdischen Natur stellt. Das ist der Ansatzpunkt für eine Lehre vom Leiden, welches sich als Leiden an der Welt darstellt und sich in Form von körperlichem und seelischem Schmerz äußert. Der Geist tut sich oft schwer daran, irdische physiologische Gegebenheiten hinzunehmen wie Krankheit, materielle Verluste, Naturkatastrophen oder den Verlust eines geliebten Menschen. Durch das Leid wird ihm bewußt, daß er sich nicht in Einklang mit dem äußeren Geschehen befindet, daß ihm das tiefere Verständnis und der Einblick in die Notwendigkeit dieser Schicksalsvorgänge fehlen. Hier ahnt der Mensch, daß ihn das Leben auf verschlüsselte Weise dazu auffordern will, sich mit seinen eigenen Grenzen und Mängeln auseinanderzusetzen und sie zu überwinden.
Folgen wir diesen Gedankengängen im Hinblick auf mögliche Reinkarnationen, dann ergibt sich zwangsläufig auch der Umstand, sich mit dem Begriff Karma auseinanderzusetzen. Karma ist die persönliche Erfahrung der Früchte des eigenen Denkens, der Absichten und des Handelns. Es ist das Erleiden der Auswirkungen des früheren Handelns und der Einstellungen, die dazu geführt haben; der Mensch ist sozusagen die Summe und die Folge seiner bisherigen Taten und Entschlüsse.
Gewiß ist für den Abendländer der Begriff Karma schwer greifbar, auch wenn er versucht, sich die unglaublich strenge Konsequenz vorzustellen.
Der Buddhismus lehrt als Folgegesetz die Auswirkungen des eigenen Handelns und setzt dieses in den Bereich des Absoluten, das heißt, es ist ein über alle Grenzen des individuellen und einmaligen Lebens hinaus wirksames Gesetz. Es ist das kausale Weltgesetz an sich. Nur aus dieser Überzeitlichkeit heraus ist die buddhistische Theorie zu begreifen, daß der Mensch auch jene für ihn nicht faßbaren „Schicksalsereignisse“ zu tragen hat, von denen er selbst nicht glaubt, daß er sie einst verursacht haben könnte. Die Ereignisse und Leiden dieses Lebens gehen nach buddhistischer Vorstellung also nicht nur auf ein derzeitiges, sondern auf viel früheres Handeln und dessen Ursachen in einem sogenannten früheren Leben zurück. Natürlich setzt diese Theorie voraus, daß auch die Zukunft einschließlich jener eines späteren irdischen Daseins durch entsprechendes Verhalten positiv oder negativ beeinflußt werden kann. Dabei geht es nicht um moralische Wertungen an sich, sondern um Verhalten in bezug auf das Wohlergehen und die Entfaltung des Menschen, und nur in diesem Sinne gibt es gutes und schlechtes Karma: In bezug auf den Zustand des menschlichen Bewußtseins spricht der Buddhismus von einem heilsamen und einem karmisch unheilsamen Verhalten. Das eine fördert die Bewußtwerdung und Befreiung, das andere führt zu Bindung und Unwissenheit.
Wenn es ein früheres Leben gibt, wenn...