Vom Lösungsmittel zum Heilmittel
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Löns Jakob Berzelius (1779–1848)
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Die Geschichte von DMSO (Dimethylsulfoxid) beginnt eigentlich bereits bei Löns Jakob Berzelius (1779–1848). Der Professor für Chemie und Pharmazie am chirurgischen Institut in Stockholm (seit 1810 Karolinska-Institut) beschrieb in seinem Lehrbuch der Chemie erstmals die Verbindung Schwefelmethyl, einen der Bestandteile des späteren »Dimethylis sulfoxidum«. 1840 stellte Henri Victor Regnault (1810–1878) Schwefelmethyl mit der Summenformel S(CH3)2 dar und beschrieb die Substanz im Pharmazeutischen Central Blatt als Synonym für Schwefelwasserstoff-Holzäther. Sowohl Berzelius als auch Regnault erwähnten den äußerst unangenehmen Geruch der Verbindung. Im Jahr 1866 synthetisierte der russische Wissenschaftler Alexander Michailowitsch Saizew (1841–1910) aus Schwefelmethyl und Salpetersäure die Substanz mit der chemischen Formel (CH3)2SO. Saizew und seine Mitarbeiter stellten fest, dass sich das farblose, nach Knoblauch riechende ölige DMSO im Labor sehr gut mit nahezu allen anderen Chemikalien kombinieren ließ. Diese Erkenntnisse, auch über die Verwendung als Lösungsmittel, Fettlöser, Farbverdünner und Frostschutzmittel, veröffentlichten Saizew und seine Mitarbeiter ein Jahr später unter dem Titel »Ueber die Einwirkung von Salpetersäuren auf Schwefelmethyl und Schwefeläthyl« in einem deutschen Chemiejournal. Für fast 100 Jahre war dies die einzige Publikation zu DMSO. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg rückte die Substanz wieder in den Fokus der Chemiker, und zwar als Lösungsmittel.
Henri Victor Regnault (1810–1878)
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Alexander Michailowitsch Saizew (1841–1910)
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James Ephraim Lovelock (geb. 1919)
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1959 erschien in The Lancet, einer der ältesten medizinischen Fachzeitschriften, ein Artikel, in dem der Engländer James Ephraim Lovelock (geb. 1919) rund ein Dutzend Lösungen beschrieb, die sich mit Wasser verbinden sowie Schäden an tiefgefroren gelagerten roten Blutzellen minimieren. Zu diesen Substanzen gehörte auch DMSO.
DMSO als Heilmittel – ein Zufallsfund
Der therapeutische Nutzen von DMSO wurde erst 1961 erkannt, und zwar von Dr. Stanley W. Jacob, Professor für Chirurgie an der Oregon Health & Science University in Portland, USA. Eigentlich war er auf der Suche nach einem Konservierungsmittel für Organe, die zur Transplantation vorgesehen waren, als er auf die Publikation von Lovelock stieß. Er testete alle beschriebenen Lösungen und fand auf der Suche nach einer Quelle gleich auch einen günstigen DMSO-Produzenten. Dass er auf die pharmakologischen Effekte von DMSO stieß, war purer Zufall: Versehentlich schüttete er sich die Substanz über die Hand. Schon kurz nach dem Hautkontakt verspürte er einen eigenartigen Geschmack auf der Zunge, der ihn zuerst an Austern erinnerte. Aus diesem »Selbstversuch« zog er die Schlussfolgerung, dass diese klare und leicht nach Knoblauch riechende Flüssigkeit rasch und tief in die menschliche Haut einzieht. Dr. Jacob begann, mit der Substanz zu experimentieren. Schon bald fand er heraus, dass es sich bei DMSO um einen vielseitigen Wirkstoff handelt.
Der amerikanische Chemiker Dr. Robert Herschler machte eine ähnliche Erfahrung. Bei Versuchen zur Löslichkeit von Pflanzenschutzmitteln in DMSO kam die Haut des Leiters der Forschungsabteilung der Crown Zellerbach Corporation, einer großen amerikanischen Papierfabrik, mit einer DMSO-Lösung in Kontakt, in der eine hochgiftige Substanz gelöst war. Innerhalb weniger Minuten traten bei ihm gesundheitliche Probleme wie Atemnot und Bewusstseinsstörungen auf. Diese veranlassten ihn zu der Annahme, dass DMSO das Gift sehr schnell über die Haut in den Körper transportierte und so die beschriebenen gesundheitlichen Probleme ausgelöst wurden.
Dr. Jacob und Dr. Herschler tauschten ihre Erfahrungen mit DMSO aus und arbeiteten seitdem zusammen. Sie erforschten DMSO zunächst an Pflanzen und Tieren. Später dehnten sie ihre Forschungen auch auf den Menschen aus, da DMSO bei ihnen selbst Brandwunden gelindert hatte. In anschließenden Tests stellten sie fest, dass DMSO Kopfschmerzen, Schnupfen, Nebenhöhlenentzündungen, rheumatische Beschwerden und Verstauchungen linderte, nachdem sie die entsprechenden Bereiche mit der Substanz eingerieben hatten. Außerdem stellten sie fest, dass DMSO keine ernsten Nebenwirkungen verursachte – mit Ausnahme von Hautausschlägen, die aber schnell abklangen.
In den folgenden Jahren verschrieben sich die beiden Wissenschaftler der intensiven Erforschung weiterer medizinischer Indikationen für DMSO. Sie zeigten, dass DMSO Schmerzen lindern, Schwellungen reduzieren, die Blutversorgung verbessern, das Bakterienwachstum verlangsamen, Narbengewebe erweichen sowie die Wirksamkeit anderer pharmakologischer Substanzen erhöhen kann.
Schwefel macht aus DMSO eine besondere Flüssigkeit
Trotz des sehr nach purer Chemie klingenden Namens Dimethylsulfoxid handelt es sich bei DMSO um eine in der Natur vorkommende kleinmolekulare, organische Schwefelverbindung mit der chemischen Summenformel (CH3)2SO.
Früher wurde DMSO hauptsächlich aus Holzbestandteilen im Rahmen der Zellstoff- und Papierherstellung gewonnen. Heute wird DMSO synthetisch hergestellt, wodurch die Substanz in einer höheren Reinheit vorliegt.
Chemische Formel von Dimethylsulfoxid
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Es ist der Schwefel, der DMSO so interessant macht, denn Schwefel ist ein wichtiger Mineralstoff, der den Aufbau und die Stabilität von Muskeln, Haaren und Hautzellen unterstützt. Unser Körper braucht also Schwefel für viele lebenswichtige Funktionen.
Schwefelkristalle mit verschiedenen Kristallflächen auf Muttergestein
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Heutzutage leiden jedoch viele Menschen, ohne es zu wissen, unter einem Schwefelmangel. Denn der Schwefel, der eigentlich in vielen natürlichen Nahrungsmitteln enthalten ist, wird im Rahmen der Lebensmittelverarbeitung zerstört. Ein Schwefelmangel zeigt sich beispielsweise in einer verzögerten Wundheilung, Narbenwülsten, brüchigen Nägeln, sprödem Haar, Magen-Darm-Problemen, häufigen Entzündungen, einem beeinträchtigten Immunsystem, Akne und anderen Hautproblemen, ja sogar in Depressionen oder Gedächtnisverlust.
Wenn wir also unserem Körper DMSO zuführen – egal ob äußerlich oder innerlich –, dann versorgen wir ihn auch mit Schwefel und wirken so einem Schwefeldefizit entgegen.
Zu einem Überschuss an Schwefel kann es kommen, wenn große Mengen an schwefelhaltigen Speisen gegessen werden. Die Folgen können Übelkeit, Völlegefühl oder Durchfall sein. Auch allergische Reaktionen bis hin zu Asthmaanfällen sind dann möglich.
Aus DMSO wird im Körper MSM
DMSO wird im Körper zum größten Teil in eine weitere organische Schwefelverbindung umgewandelt, die auch als MSM bekannt ist. Nur ein sehr kleiner Teil, unter 1 Prozent, wird zu Dimethylsulfid (DMS) verstoffwechselt. Und genau diese geringe Menge ist auch für den über die Atemluft und die Haut ausgeschiedenen Geruch verantwortlich, der von manchen Menschen als unangenehm empfunden wird. Mit DMSO verhält es sich ähnlich wie mit Knoblauch: Nach dem Essen beziehungsweise der Anwendung dünstet der Körper diesen Geruch aus.
MSM ist heute bekannter als DMSO. Es ist in Pulverform erhältlich, weshalb MSM auch als trockene Form von DMSO bezeichnet wird.
Die Kontroverse um DMSO: Teufelswerk oder Gottes Segen?
1963 wurde der erste Antrag auf Erhalt eines IND-Status (Investigational New Drug, dt. Prüfstatus) bei der US-amerikanischen Zulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) eingereicht. Damit wollte man klinische Studien zur Wirkung von DMSO initiieren. Übrigens zeigten nicht nur US-Firmen großes Interesse daran, DMSO als Medikament zu vermarkten, sondern auch deutsche Firmen wie die Schering AG, Heinrich Mack oder Grünenthal. Doch schon relativ schnell nach der Entdeckung seiner Heilkraft wurde der medizinische Einsatz von DMSO 1965 von der FDA gestoppt. Der Grund: DMSO hatte in hohen Dosen bei Kaninchen, Hunden und Schweinen die Augenlinse geschädigt und so zu Kurzsichtigkeit geführt.
Dies war die einzige Nebenwirkung, und wie sich später herausstellte, war sie auf diese drei Tierarten beschränkt. Weder bei Menschen noch anderen Tierspezies trat dieser unerwünschte Nebeneffekt jemals auf.
Zu diesem Zeitpunkt lagen der FDA bereits über 100000 Patientenakten und Berichte von ungefähr 1500 Ärzten über die Ungefährlichkeit und Wirksamkeit von DMSO vor. Grund für die rigide Haltung der FDA war wohl der Contergan-Skandal: Erst 4 Jahre zuvor war das vermeintliche Wundermittel Thalidomid (Contergan) wegen der Missbildung von Neugeborenen aus dem Verkehr gezogen worden. Daher war man zu dieser Zeit besonders sensibilisiert, denn niemand wollte, dass so etwas noch einmal passierte.
Zitat des Dachverbands der US-Pharmaindustrie
»Wir wissen, dass DMSO ein Jahrhundertmittel ist, doch es hat für uns keinen Wert.«
In den folgenden 15 Jahren lockerte die FDA ihre Restriktionen gegenüber DMSO etwas. Sie genehmigte ab 1966 klinische Untersuchungen bei Patienten mit Sklerodermie, Herpes Zoster (Gürtelrose) oder schwerem Gelenkrheuma, allerdings nur dann, wenn keine anderen geeigneten Therapieformen zur Verfügung...