ein klassisches Landschaftsbild, Motive mit Erkennungswert, Drittel-Regel/Goldener Schnitt, Führungslinien aus der linken unteren Ecke, Sommerhimmel mit freundlichen Wolken. Ein zeitloses Bild, das heute oder vor drei Jahrhunderten entstanden sein könnte.
1.2Dokumentierende Landschaftsfotografie
Jedes Landschaftsfoto ist definitionsgemäß eine Dokumentation, aber das Charakteristische der dokumentierenden Landschaftsfotografie besteht darin, dass sie mit einer Serie regelmäßig wiederholter Aufnahmen Unterschiede in Raum und Zeit registriert. Zweck und Umfang solcher Dokumentationen können sehr unterschiedlich sein. 2011 gab es beispielsweise das Projekt »NL in beeld«, bei dem viele Fotografen zusammen die Landschaft der Niederlande dokumentieren sollen. Das Ziel bestand darin, die in 36.000 Quadrate von einem Kilometer Kantenlänge eingeteilte Fläche der Niederlande – vollständig mit Wasser bedeckte Quadrate ausgenommen – von der Mitte des jeweiligen Quadrats aus in alle vier Windrichtungen zu fotografieren, und das vorzugsweise auch zu allen Jahreszeiten. Dabei ging es nicht um Ästhetik, sondern um die bloße standardisierte Dokumentation der Landschaft im heutigen Zustand. Wenn das Projekt in regelmäßigen Abständen wiederholt wird, erhalten wir ein detailliertes Bild von den Veränderungen in der niederländischen Landschaft.
Aber Sie können auch individuell in Eigeninitiative festlegen, wie sich eine Landschaft im Laufe des Tages, der Jahreszeiten und über die Jahre hinweg verändert. Das machen Sie schon mehr oder weniger von alleine, wenn Sie ein bestimmtes Gebiet regelmäßig besuchen und fotografieren. Aber wenn Sie dabei bewusst und systematisch vorgehen, bauen Sie nach und nach ein interessantes Fotoarchiv auf, mit dem Sie diese Landschaft und die Veränderungen in vielen Abstufungen dokumentieren können. So lernen Sie nicht nur das Gebiet besser kennen, sondern entdecken außerdem, welche Zeitpunkte, Jahreszeiten und Wetterverhältnisse gute Chancen für herausragende Fotos bieten. Wenn Sie so vorgehen, bildet die dokumentierende Landschaftsfotografie auch einen guten Nährboden für künstlerisch ästhetische Bilder.
Ihre Lieblingslandschaften und bevorzugten Orte, wie beispielsweise ein fotogener knorriger Baum oder eine beeindruckende Baumgruppe, eignen sich hervorragend für eine Fotoserie oder Reportage über die vier Jahreszeiten. Wenn Sie Ihr Motiv oft, zu allen Jahreszeiten und bei wechselnden Wetterverhältnissen vom selben Standort aus mit der Kamera festhalten, sammeln Sie eine breite und abwechslungsreiche Palette mit Fotos, die manchmal dramatische Unterschiede in ihrer Erscheinung und Stimmung aufweisen. Damit können Sie eventuell nicht nur die vier Jahreszeiten, sondern sogar die zwölf Monate des Jahres überraschend und packend darstellen. Einige Orte eignen sich sogar für einen derartigen Fotobericht an einem Tag – etwa ein Gezeitengebiet an der Küste, das trockenfällt, wodurch Sandbänke und Schlick auftauchen, auf denen vielleicht Vögel nach Futter suchen und die danach wieder vom glatten, plätschernden oder schäumenden Wasser überschwemmt werden.
Hoogezand-Sappemeer | Jaap Schelvis | Canon EOS 5D Mark II mit Canon EF 17–40 mm 1:4L USM auf 32 mm, ISO 200, von links nach rechts: 1/60 s, Blende 8, 1/200 s, Blende 8, 1/100 s, Blende 5,6 und 1/80 s, Blende 9
So wie Sie zeitliche Unterschiede in einer Landschaft festhalten können, ist es natürlich auch möglich, einer bestimmten Route durch die Landschaft zu folgen und alles, was Ihnen begegnet und lohnenswert erscheint, darzustellen. Solch eine Route können Sie ganz frei selber wählen oder aber sich diese von vorhandenen Strukturen mehr oder weniger »diktieren« lassen. Sie können beispielsweise entlang eines Nordseestrands bei jedem Kilometerpfahl die See oder die Dünen dokumentieren oder entlang des Oostvaardersdijk bei jedem Kilometerpfahl das Panorama fotografieren. Diese Art von dokumentierenden Fotoserien fällt in die Kategorie Konzeptfotografie mit der Landschaft als Motiv.
Eine besondere und beliebte Art der dokumentierenden Landschaftsfotografie ist der Reisebericht. Vielleicht wollen Sie dabei als Landschaftsfotograf vor allem »perfekte Bilder« machen, die Sie schon ungefähr in Ihrem Kopf haben, an Orten, die Sie schon kennen oder über die Sie Informationen gesammelt haben. Dann wollen Sie vielleicht keine Zeit verschwenden mit dem Fotografieren von Motiven, die zufällig am Wegesrand auftauchen. Aber Sie können auch ohne akribische Vorbereitung auf die Reise gehen und spontan so kreativ und ansprechend wie möglich Zufälliges festhalten.
Unter den Aufnahmen aus solch einer Serie werden sich vielleicht weniger Spitzenfotos befinden, aber die Serie als Ganzes kann schon eine packende Bildgeschichte erzählen.
Selbstverständlich ist es bei der dokumentierenden Landschaftsfotografie wichtig, dass Sie Ihre Aufnahmen gut archivieren. Ein Teil der Aufnahmedaten wird glücklicherweise »von selbst« mit den Exif-Daten, die Ihre Kamera speichert, festgehalten. Aber nur Sie selbst können bestimmte Parameter festlegen, wie beispielsweise die Richtung, in der ein Foto gemacht wurde. Immer mehr Kameras können den exakten Standort, an dem ein Foto gemacht wurde, mittels GPS-Koordinaten festhalten. Wenn Ihre Kamera diese Möglichkeit nicht bietet, können Sie Ihre Aufnahmen auch noch nachträglich mit GPS-Koordinaten versehen. Mithilfe des sogenannten Geocodings können Sie beispielsweise in Adobe Photoshop Lightroom problemlos selektierte Fotos vom Filmstreifen zu dem präzisen Ort auf eine Karte ziehen. Lightroom versieht dann das Foto mit den GPS-Koordinaten und füllt sogar in Ihren Metadaten automatisch die Felder Stadt, Bundesland/Kanton, Land und ISO-Ländercode aus.
Farben und Nebel machen dieses Bild aus. Die Tatsache, dass es sich bei dem Baum um eine Birke handelt, ist hier irrelevant. | Birke auf der Doorwertsche Heide | Bendiks Westerink | Nikon D300 mit AF-S Nikkor 70–300 mm 1:4,5–5,6G IF-ED VR auf 180 mm, 1/1000 s, Blende 7,1, ISO 200
1.3Abstrakte Landschaftsfotografie
Das Gegenstück zur klassischen ist die abstrakte Landschaftsfotografie. Im Grunde genommen dominieren Form und/oder Farbe den Inhalt in der abstrakten Kunst in einem solchen Ausmaß, dass man oft nicht mehr erkennt, »was es ist«. Aber in der Praxis der abstrakten Landschaftsfotografie handelt es sich, wie die Fotos in diesem Abschnitt demonstrieren, eigentlich oft um einen nur halbabstrakten Ansatz. Dabei sind Form und/oder Farbe entscheidender als der Inhalt, aber die inhaltliche Darstellung des Fotos bleibt noch erkennbar. Auf jeden Fall sind die Bilder bei dieser Art von Fotografie alles andere als vorhersehbar. Die Perspektive kann beispielsweise verfremdet werden und die Farben oder der Kontrast können unnatürlich wirken. Trotzdem entsteht ein (halb-)abstraktes Landschaftsbild nicht durch eine einfache Abweichung von der Norm. Es beginnt damit, dass man lernt, anders zu sehen, und die Landschaft in ihre Elemente zerlegt. Gibt es beispielsweise charakteristische Höhenunterschiede? Welche Vegetation ist vorherrschend? Kurzum: Sie versuchen festzustellen, welche Formen, Farben und Strukturen die Landschaft charakterisieren. Danach überprüfen Sie, ob Sie ein oder mehrere prägnante Elemente kreativ selektieren und in einem abstrakteren Landschaftsbild herausstellen können. Sie müssen natürlich nicht unbedingt von den charakteristischsten Eigenschaften ausgehen. In der abstrakten Landschaftsfotografie können Sie – zur Abwechslung – auch einmal versuchen, ein Bild zu verstärken, indem Sie etwas Abweichendes hervorheben. Auf jeden Fall isolieren Sie in Ihrem Bild sozusagen das auserwählte Merkmal der Landschaft und betonen es auf Kosten der anderen Eigenschaften.
Wie Sie das machen, hängt sehr von dem Merkmal ab, das Sie ausgewählt haben, wobei die Grenzen Ihrer eigenen Kreativität die einzige Beschränkung darstellen. Alles ist erlaubt: Doppelbelichtungen, extreme Perspektiven, Unschärfe, ein schiefer Horizont … Solange es zu einem Bild führt, das Ihnen gefällt.
Die Verwendung eines Fisheye-Objektivs kann Ihnen das Gefühl geben, dass Sie den fast eisfreien Gipfel der Welt sehen. Das verschwundene ewige Eis ist das Leitmotiv für dieses Landschaftsfoto. | Nördliches Eismeer | Arjen Drost | Canon EOS 5D Mark II mit Canon EF 8–15 mm 1:4L Fisheye USM auf 15 mm, 1/250 s, Blende 9, ISO 400
Sie können dafür alle möglichen Objektive verwenden, vom Fisheye bis zum Superteleobjektiv. Vielleicht wollen Sie einen geheimnisvollen Wald mit einem Zoomeffekt darstellen oder Sie rücken den faszinierenden Flechten auf dem Stamm des Waldriesen mit einem Makrobjektiv zu Leibe.
Was bei einer klassischen Landschaftsaufnahme möglicherweise als »Fehler« eingestuft wird, können Sie in einem abstrakten Bild ruhig betonen, wenn Sie einen...