Die praktische Umsetzung des risikobasierten PES-Modells wirft unweigerlich rechtliche Fragen auf. Diese sind im Folgenden zur aktuellen Rechtslage in Deutschland dargestellt. Dabei wurde der Weg gewählt, den PES-Prozess nach einer kurzen rechtlichen Einordnung, Schritt für Schritt aus juristischer Sicht zu beleuchten, um systematisch den im jeweiligen Prozessschritt „Prepare“, „Plan“, „Search“, „L↺↺p“ und „Decide“ auftretenden Rechtsfragen nachgehen zu können.
Das deutsche Arbeitsrecht als Sonderprivatrecht der Arbeitnehmer ist nicht kodifiziert. Das bedeutet, dass es kein einheitliches „Arbeitsgesetzbuch“ gibt, es ist auf eine Vielzahl von Gesetzen zurückzugreifen. Grundsätzlich lässt sich das Arbeitsrecht in drei große Bereiche einteilen:
Abbildung 5: Strukturelle Übersicht Arbeitsrecht
Schon die Aufnahme von (Arbeits-)vertragsverhandlungen begründet nach § 311 Abs. 2 BGB ein sogenanntes vorvertragliches Schuldverhältnis. Es entstehen schon jetzt für beide Seiten nach § 241 Abs. 2. BGB Pflichten. Insbesondere sind hier auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des jeweils anderen Teils Rücksicht zu nehmen. Bei einer Verletzung dieser Pflichten können Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden. Es ist gängige Rechtsprechung, dass die speziell arbeitsvertraglichen Schutzpflichten und die arbeitsrechtlichen Haftungsgrundsätze anwendbar sind.32 Gerade die Bewerbungsphase ist von gegenläufigen Interessen geprägt. Der Arbeitgeber hat ein virales Interesse daran, möglichst alles über den potentiellen Kandidaten zu erfahren, während der Bewerber seine Privatsphäre schützen will bzw. sich im besten Licht darstellen möchte. Die Arbeitsrechtsprechung hat hier ein gut austariertes System von zulässigen und unzulässigen Fragen entwickelt. Auf eine unzulässige Frage gibt es das „Recht auf Lüge“. Umgekehrt, auf eine zulässige Frage muss auch wahrheitsgemäß geantwortet werden. Gerade im Bereich des PES stellen sich besondere datenschutzrechtliche Fragen und Probleme, die im Folgenden anhand der einzelnen Phasen des PES dargestellt werden.
In der zu erstellenden Screeningdirektive müssen die rechtlichen Grundlagen, insbesondere die des Datenschutzes aber auch die Besonderheiten der Betriebsverfassung beachtet werden.
Das Ziel von PES ist es, das „menschliche“ Risiko für sensitive und verantwortungsvolle Positionen im Unternehmen zu minimieren. Im weitesten Sinne ist daher PES verantwortungsvolle Unternehmensführung. Es stellt sich damit die Frage, ob und inwieweit Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates existieren. Die Einführung von PES könnte als Unternehmensphilosophie ausgelegt werden. Nach gefestigter Literatur- und Rechtsprechungsmeinung unterliegen solche Richtlinien nicht der Mitbestimmung.33 Die Entscheidung PES einzuführen geht jedoch über die allgemeinen Unternehmensziele hinaus. Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen sind gemäß § 95 BetrVG mitbestimmungspflichtig.34 Solche abstrakt-generellen Bestimmungen dienen dazu, die fachlichen, persönlichen und sozialen Gesichtspunkte zu gewichten und so diejenigen Bewerber zu ermitteln, die eingestellt werden sollen. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber, dass eine Entscheidung, im konkreten Einzelfall PES durchzuführen, nicht mitbestimmungspflichtig ist.
Insbesondere sind hier die Eckpunkte der erforderlichen Einwilligung der Bewerber festzuschreiben. Nach § 4 Abs. 1 i. V. m. § 4 a BDSG ist eine Erhebung personenbezogener Daten dann zulässig, wenn der Betroffene einwilligt. Dies gilt auch bezüglich der besonderen Daten des § 3 Abs. 9 BDSG.
Einwilligung bedeutet vorherige Zustimmung. Dies hat bei einer Bewerbung zur Folge, dass bevor das PES durchgeführt werden kann, die Einwilligung einzuholen ist.
Allerdings ist Schriftform erforderlich. Bei einer Online-Bewerbung ist dieses Formerfordernis nicht gegeben. Das bedeutet, dass die Einwilligungserklärung zum Download bereitgestellt werden muss, die der Bewerber sodann unterschrieben übermittelt. Eine PDF-Datei oder Faxrücksendung reicht nicht aus.
Der Bewerber muss im Einzelnen wissen, in was er einwilligt. Daher müssen die vorhandenen Informationen ausreichend sein, um die Bewerber in die Lage zu versetzen, die verlangte Erklärung einordnen und deren Bedeutung überblicken zu können.35 Die Bewerber sind also auf den vorgesehenen Zweck der Erhebung, die Verarbeitung oder die Nutzung sowie – soweit nach den Umständen des Einzelfalles erforderlich oder auf Verlangen – auf die Folgen der Verweigerung der Einwilligung hinzuweisen. Es müssen also insbesondere Intensität und Reichweite einer Recherche in Social Media dargestellt und erläutert werden. Soweit besondere Arten personenbezogener Daten erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, muss sich die Einwilligung darüber hinaus ausdrücklich auf diese Daten beziehen. Hierunter fallen etwa Angaben über politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen, Gewerkschaftszugehörigkeit und die Gesundheit.36
In der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr wird unter Einwilligung jede Willensbekundung, die ohne Zwang für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage erfolgt, bezeichnet. Freiwilligkeit insoweit bedeutet damit eine Erklärung ohne Zwang.
Diese Interpretation ist jedoch zu eng. Hierzu gibt es verschiedene Stellungnahmen der deutschen und europäischen Datenschutzbehörden, wonach eine Einwilligungserklärung dann nicht freiwillig ist, wenn ein faktisches Ungleichgewicht besteht.37 Ob in einer Bewerbungssituation ein solches Ungleichgewicht besteht, ist durchaus denkbar. Gerade die Sorge des Bewerbers, bei einer Verweigerung der Einwilligung im weiteren Bewerbungsverfahren nicht berücksichtigt zu werden, darf bei der Abwägung nicht außen vor bleiben. Das Ergebnis einer solchen Auslegung würde aber dazu führen, die Wirksamkeit einer Einwilligung in PES zu verneinen. Dies lässt die Interessen des Arbeitgebers unberücksichtigt und geht an der Wirklichkeit vorbei. Mithin ist zu dem Schluss zu gelangen, dass zumindest an der Freiwilligkeit die Wirksamkeit der Einwilligung in PES nicht scheitert.
Im Schritt „Plan“ wird ein Risikoprofil der zu besetzenden Positionen erstellt. Aus diesem Risikoprofil werden die Breite und die Tiefe des Screenings abgeleitet. Zudem werden Red Flags festgelegt. Daher ist die Kenntnis, welche „Lebensbereiche“ (Risikodimensionen) durchleuchtet werden dürfen unabdingbar.
Das nach den Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) umfasst den Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre, also die Privat- und Intimsphäre.38 Die Grundrechte, konzipiert als Abwehrrechte gegen den Staat, entfalten gerade im Arbeitsrecht eine mittelbare Drittwirkung.39 Das bedeutet, dass sich arbeitsrechtlicher und verfassungsrechtlicher Persönlichkeitsschutz gegenseitig ergänzen und nicht strikt voneinander getrennt werden können.40 Dies zwingt den Arbeitgeber zu einer Abwägung kollidierender Grundrechte der Bewerber.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist eine besondere Ausformung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Es handelt sich hierbei um ein Selbstbestimmungsrecht über personenbezogene Informationen.41 Jedem Menschen steht hiernach die Befugnis zu, grundsätzlich selbst über Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Da der Grundrechtsschutz, wie ausgeführt, nur gegen Eingriffe des Staates gerichtet ist, stellt sich die Frage, inwieweit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber Privaten gilt. Zudem ist die Sammlung von Informationen durch Private ja ebenfalls grundrechtlich geschützt.42 Um dieses Dilemma aufzulösen, hat der Gesetzgeber das BDSG erlassen.
In § 1 Abs. 1 BDSG heißt es:
„Zweck dieses Gesetzes ist es, den Einzelnen davor zu schützen, dass er durch den Umgang mit seinen personenbezogenen Daten in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird.“
Es gibt weder für die Nutzung von Social Media noch für PES spezielle datenschutzrechtliche Bestimmungen. Es gab zwar Bestrebungen für ein Beschäftigtendatenschutzgesetz, das jedoch nicht in Kraft getreten ist. Damit müssen auf PES die allgemeinen...