Um ein einheitliches Verständnis bezüglich des Konstrukts der Preisfairness zu erlangen wird im folgenden Abschnitt ein theoretischer Bezugsrahmen festgelegt. Dabei wird zunächst kurz auf die historische Entwicklung des Forschungsbereichs eingegangen, bevor eine begriffliche Definition sowie die Abgrenzung zu den verwandten Konzepten der Preiszufriedenheit, des Preisvertrauens und der Preisehrlichkeit erfolgt. In einem weiteren Schritt werden dann die theoretischen Erklärungsansätze zur Bildung von Preisfairnessurteilen aufgezeigt.
Ging die Preistheorie lange Zeit vom Prinzip des Homo oeconomicus aus, der u.a. auf die Maximierung des eigenen Nutzens fokussiert ist, findet mit der Berücksichtigung des Fairnessmotivs eine neue soziale Komponente Beachtung in der Ökonomie.[5] Fehr und Schmidt postulieren hierzu:
"Almost all economic models assume that all people are exclusively pursuing their material self-interest and do not care about “social” goals per se. This may be true for some (maybe many) people, but it is certainly not true for everybody." [6]
Ihren Ausführungen zufolge lässt sich eine Abkehr von der klassischen Preistheorie und der Annahme eines rein rational handelnden Individuums hin zur verhaltenswissenschaftlichen Preisforschung und der Berücksichtigung sozialer Präferenzen erkennen. Im Mittelpunkt des Forschungsansatzes des Behavioral-Pricing steht dabei die Beantwortung der Fragestellung wie Konsumenten Preise aufnehmen, verarbeiten und in ihren Kaufentscheidungen darauf reagieren.[7]
Die Preisfairnessforschung stellt ein Themenfeld der Behavioral-Pricing-Forschung dar. In der Marketingliteratur gewinnt sie in den 70er Jahren vor dem Hintergrund der Studie "Psychophysics of prices" von Kamen und Toman[8] an Bedeutung. Die Autoren befassen sich dabei erstmals mit dem Zusammenhang zwischen den Konstrukten Fairness und Preisbeurteilung und legen somit den Grundstein für die weitere Preisfairnessforschung. Aus der von ihnen entwickelten "fair-price" Theorie geht hervor:
"(…) consumers have some preconceived ideas about what is a fair price for a given item, and are willing to pay this price or below." [9]
Die Theorie von Kamen und Toman basiert demnach auf der Überlegung, dass ein Nachfrager aufgrund seiner Kauferfahrungen für jedes relevante Erzeugnis einen Preis festlegt und nicht bereit ist einen höheren als diesen Betrag dafür aufzuwenden.[10] Zu einer vergleichbaren Aussage gelangt auch Thaler[11] in seinen Ausführungen hinsichtlich der von ihm entwickelten Transaction-Utility-Theorie, wonach gilt: "The most important factor in determining p* is fairness."[12] Dabei entspricht p* dem Referenzpreis, auf den sich ein Konsument bei der Beurteilung des Preises bezieht.
Ausgehend von den oben aufgeführten allgemeinen Theorien eines fairen Preises kann im Marketing eine Entwicklung hin zu detaillierteren Arbeiten beobachtet werden. Mit steigender Zahl an Publikationen in diesem Forschungsbereich, vor allem in den letzten Jahren liegt dabei der Schwerpunkt der Studien auf den Einflussfaktoren der Preisfairnesswahrnehmung, daneben werden jedoch auch die Komponenten und Konsequenzen der wahrgenommenen Preisfairness untersucht (Kap. 4).[13]
Als Antrieb dieses Forschungstrends im Marketing erweisen sich dabei vor allem die Erkenntnisse des Psychologen Kahneman und der Ökonomen Knetsch und Thaler[14], die Mitte der 80er Jahre das theoretische Konstrukt der Preisfairness erstmals auch empirisch untersuchen. In ihren Arbeiten weisen die Autoren unter anderem darauf hin, dass Konsumenten im Falle einer subjektiv empfundenen unfairen Preisstellung der Unternehmen nicht davor zurückscheuen würden den Anbieter zu wechseln.[15] Auf diese Weise entwickelten sich zahlreiche weitere Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet, welche in Kapitel 3 näher dargestellt und erörtert werden. Zunächst wird jedoch der Begriff der Preisfairness definiert.
Wie bereits Fehr, Kirchsteiger und Riedl[16] festhalten handelt es sich bei der Bezeichnung „Fairness“ um einen schwer fassbaren Begriff, der aus dem Englischen ins Deutsche übertragen wurde und sich daher einer direkten Übersetzung in die deutsche Sprache entzieht.[17] Schlägt man die Bedeutung nach, so lässt sich der Begriff „fair“ semantisch mit den Bezeichnungen gerecht, anständig, den Regeln entsprechend sowie ehrlich beschreiben.
Seit vielen Jahren und in unterschiedlichen Zusammenhängen beschäftigen sich Wissenschaftler mit den Facetten der Fairness, die Antwort auf die Frage „Was ist Fairness?“ hängt jedoch von dem speziellen Kontext ab in dem der Terminus verwendet wird. In der Marketingliteratur liegt der Schwerpunkt der Fairnessforschung auf der Preisfairness, für die bis heute keine allgemeingültige Definition aufgestellt wurde. Vielmehr entstanden im Laufe der Jahre von Seiten der Wissenschaft und Forschung heterogene Konzeptionalisierungen, die je nach Intention, Sichtweise oder Schwerpunkt differieren.[18] Einen Überblick bestehender Definitionen und Abgrenzungen liefert Tabelle 1 (s. S. 6).
Tab. 1: Auswahl von Definitionen zur Preisfairness
Quelle: Eigene Darstellung.
Eine Konzeptionalisierung zur Preisfairness, die Tabelle 1 entnommen werden kann, liefern die Autoren Martins und Monroe[19], die die Preisfairness wie folgt erläutern:
"(...) perceptions of price fairness, like perceptions of exchange fairness, depend on the gain-loss ratio of exchange partners, where the gain, from the consumer’s perspective, may be defined as the product to be received, and the loss, as the price to be paid." [20]
Im Kern geht es hierbei um einen Vergleichsprozess im Sinne der Equity-Theorie[21], in dem ein Nachfrager seinen eigenen Einsatz und das Ergebnis einer Austauschbeziehung mit den Anstrengungen und dem Resultat seines Austauschpartners vergleicht.[22] Von einem fairen Austausch erwartet sich der Kunde, dass er das gleiche Einsatz-Ergebnis-Verhältnis erzielt wie der Verkäufer.
Dagegen betrachten andere Autoren wie Campbell[23] die Preisfairness vor dem Hintergrund des attributionsorientierten Ansatzes[24] und deuten diese wie folgt:
"(...) consumers sometimes make inferences about a firm’s motive for a price change and that these inferences influence perceptions of price fairness." [25]
Im Mittelpunkt dieser Überlegung steht das Bemühen des Individuums, Ursachen und Wirkungen von Ereignissen (wie bspw. eine Preiserhöhung) zu verstehen. Entsprechend wird die Preisfairnesswahrnehmung bei einem vermuteten negativen Motiv nachteilig beeinflusst und im Falle eines positiven Motivs von einem vorteilhaften Effekt auf die Preisfairness ausgegangen.[26]
In der deutschsprachigen Literatur wird das Konzept der Preisfairness selten explizit definiert. Diller[27] fasst darunter:
„(...) die bewußt oder unbewußt von Gerechtigkeitsüberlegungen geprägten Wahrnehmung(en, Anm. d. Verf.) der Transaktionsbedingungen und Abläufe.“ [28]
Er sieht in der Preisfairness vor allem ein Instrument zur Gewinnung und Stärkung des Preisvertrauens der Konsumenten und kommt zu der Erkenntnis, dass der Preisfairness vor allem im Zusammenhang mit Preisverhandlungen eine bedeutende Rolle zukommt.[29]
Neben diesen drei alternativen Definitionen der Preisfairness eignet sich auch der Konzeptionalisierungsansatz der Autoren Xia, Monroe und Cox[30]. Dieser stellt einen umfassenderen Erklärungsansatz für das Verständnis der Preisfairness dar, da er sich auf verschiedene Komponenten der Wahrnehmung bezieht. Sie definieren die Preisfairness als:
"(...) judgments (that, Anm. des Verf.) involve a comparison of a price or procedure with a pertinent standard, reference or norm." [31]
Demnach stellt die Preisfairness das Ergebnis der Evaluation des Preises bzw. der Transaktionsbedingungen dar. Aufbauend auf diesen Überlegungen, ermitteln die Autoren vier Komponenten, die der...