Journalismus in der Gegenwartsgesellschaft – Ein soziales Feld, das sein Distinktionskriterium verloren hat?15
Ein Beitrag von Dimitri Prandner
Die sogenannte vierte Gewalt ist seit längerem mit einem Machtverlust konfrontiert (vgl. Hummel 2007). Unterliegen doch Nachrichtenkonsum und Nachrichtenproduktion in der westlichen Welt einem stark disruptiven Wandlungsprozess. Innerhalb weniger Jahre haben gesellschaftliche, technologische und ökonomische Rahmenbedingungen radikale Veränderungen erfahren (vgl. Kirchhoff & Prandner 2016). Existierende Publikationsformate wurden zuerst mit zunehmender Verbreitung von Internetzugängen um eine Vielzahl neuer Angebote ergänzt, bevor technischer Fortschritt Publikationsmöglichkeiten und -bedingungen veränderte. Zudem hat die zunehmende Verfügbarkeit und Angebotspalette von Mobilkommunikation die Informationskultur von Individuen nachhaltig (mit-)geprägt (vgl. Nielsen 2012). Eine Situation die dadurch verschärft wird, dass sich MedienanbieterInnen auf wirtschaftlicher Seite mit einem wegbrechenden Anzeigenmarkt und dem Versagen etablierter Geschäftsmodelle konfrontiert sehen. Und dies sind nur die unmittelbar wirksamen und sichtbaren Aspekte der aktuellen Veränderungen.
Vor diesem Hintergrund sind eine Vielzahl an nationalen und internationalen Studien entstanden, die sich mit den jeweiligen Strukturen des Journalismus beschäftigen und die Wandlungsprozesse in der Branche hinreichend dokumentieren (u.A.: Weischenberg et al. 2006, Kaltenbrunner et al. 2007, Anderson et al. 2012).
In Österreich kam es dabei im Zeitraum von 2006 bis 2016 zu einer Reihe an sozialwissenschaftlichen Studien, die sich dem Thema annahmen. Großteils von dem Medienhaus Wien und der Abteilung für Journalistik an der Universität Salzburg ausgeführt, wurden dabei eine umfangreiche Diskussion über das Selbstverständnis geführt und Fakten über die aktuellen Berufsrealitäten von JournalistInnen und MedienproduzentInnen dargelegt (vgl. u.A.: Hummel et al. 2012, Hummel et al. 2013, Hummel 2014, Kaltenbrunner et al. 2007, Kaltenbrunner et al. 2008, Kaltenbrunner et al. 2010).
15 Dieses kurze Essay entstand in der Reflexion der Diskussionen die im Rahmen des Forschungspraktikums geführt wurden, dem dieses Buch zu Grunde liegt.
Die Ergebnisse dieser Studien bestätigten aber in weiten Bereichen nur die traditionellen Erkenntnisse der Werteforschung (vgl. Rokeach, 1973): Trotz angeblich radikaler Veränderungen, die auch von den AkteurInnen wahrgenommen und erfahren werden, zeigt sich das allgemeine Werte- und Berufsbild im journalistischen Feld Österreichs als stabil und andauernd (vgl. u.A. Kaltenbrunner et al. 2007, Hummel et al 2013, Kirchhoff & Prandner 2016).16 Noch immer wird Journalismus als Talentberuf bezeichnet, dessen Kernaufgaben darin liegen, die Realität möglichst neutral und objektiv abzubilden, Wissen an Rezipientinnen zu vermitteln, komplexe Sachverhalte zu erklären und gesellschaftliche Entwicklungen kritisch zu hinterfragen (vgl. Hummel et al. 2013: 47ff. und Kirchhoff & Prandner 2016: 103). Es existiert also im Feld ein enger Kanon dessen was als Glaubensgrundsätze17 über die Aufgaben des Journalismus verstanden werden kann.
Ein wenig verwunderliches Ergebnis, definiert sich doch ein soziales Feld durch die Bereitschaft der FeldteilnehmerInnen geteilten Regeln, Ziele und eben Wertevorstellungen zu akzeptieren. Und, dass der Kern des das journalistische Felds in Österreich ist mit ca. 6000 Personen als klein zu bezeichnen ist (vgl. Hummel et al. 2012: 724), begünstigt dies. So formten die wenigen existierenden AnbieterInnen und handelnden AkteurInnen ein geschärftes und über Jahrzehnte gepflegtes Werteprofil (vgl. Kirchhoff & Prandner: 103f. und Rehbein & Saalmann 2009: 100). Obwohl also die technischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Produktion journalistischer Produkt einem Wandel durchlaufen haben (vgl. Kirchhoff & Prandner: 103f.), kann man davon ausgehen, dass durch die Homogenität der AkteureInnen im Feld weiter an etablierten Konzepten festgehalten werden kann und Handlungsweisen entwickelt werden können die zumindest in der Selbstwahrnehmung dem oben genannten Werteprofil entsprechen. Und dadurch wird wiederum die werteorientierte Stabilität des Feldes weitestgehend sichergestellt. Und dadurch auch dessen Stärke gegenüber anderen Feldern.
16 Der Feldbegriff wird hier in Anlehnung an Pierre Bourdieu genutzt. Eine Diskussion der Begrifflichkeit in Hinblick auf das journalistische Feld in Österreich findet in (Kirchhoff & Prandner 2016) statt. Im Rahmen dieser Publikation wir auch in Kapitel 4 des Hauptteils auf die Begrifflichkeiten eingegangen.
17 Der Begriff der Glaubensgrundsätze wird in Anlehnung an Pierre Bourdieus‘ Konzept der Doxa genutzt. Für eine genauere Diskussion kann Kirchhoff & Prandner (2016) herangezogen werden, bzw. wir in Kapitel 4 dieses Buches von Röser & Brandstätter nochmals darauf eingegangen.
Aber welche Konsequenzen hat dieses angeblich stabile Wertebild für das journalistische Feld und seine Wahrnehmung? Diese Frage möchte ich im Folgenden in drei Schritten diskutieren. Der erste Teil wird sich mit dem journalistischen Feld an sich beschäftigen. Sind die Werte tatsächlich so stabil? Oder greifen andere Mechanismen? Der zweite Abschnitt fragt, wie der Verlust des Informationsmonopols die relationale Position des journalistischen Felds zu anderen gesellschaftlichen Teilbereichen beeinflusst hat und welche Bedeutung dabei dem Wertebild das sich im Journalismus abbildet zukommt. Abschließend wird die Frage gestellt, welche Rolle das Wertebild des journalistischen Felds für die Bedeutung von Journalismus für die Öffentlichkeit einnimmt.
Kohäsionsverlust – Kernaufgaben und Handlungsmöglichkeiten im Feld
Ausgehend von den im letzten Abschnitt angesprochenen Studien kann argumentiert werden, dass sich die TeilnehmerInnen des journalistischen Felds über die Aufgaben des Felds einig sind - weitestgehend. Denn unabhängig von individuellen Ansichten von FeldteilnehmerInnen machen sich aktuell Generationsbrüche beobachtbar, die sich an der Trennlinie zwischen Wertebild und den entsprechenden Handlungsmöglichkeiten abbilden.
Untersucht man jüngere FeldteilnehmerInnen, wird augenscheinlich auffällig, dass diese Individuen zumindest in ihren Handlungsmöglichkeiten, wenn auch nicht in ihren Aussagen über den Journalismus, den idealtypischen Vorstellungen der Profession nicht mehr entsprechen können (vgl. Kirchhoff & Prandner 2016: 109ff.). Während ältere Feldteilnehmer oftmals Möglichkeiten finden diese Brüche in ihren individuellen Biographien zu glätten und alternative Erklärungen finden warum ihre Handlungen trotzdem den hehren Zielen des Journalismus folgen, gelingt dies jüngeren TeilnehmerInnen weniger häufig.
Kirchhoff und Prandner (2016: 111f.), illustrieren diese Veränderung beispielshaft an den Aussagen einer Lokaljournalistin. Dieser ist sehr wohl bewusst, dass sie aufgrund der lokalen Machtstrukturen nicht objektiv und aufrichtig über politische Geschehnisse im Ort berichten kann, sieht aber Objektivität zentrales Kriterium für Journalismus (ebd.). Sie gesteht ein, dass sie ihr Wertebild und die damit verbundenen Glaubensgrundsätze nicht mit den ihr zu Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten einher bringen kann.
Interessanterweise argumentieren erfahrenere bzw. etablierte JournalistInnen bzgl. ähnlichen Situationen differenzierter, wie Hummel et al. (2013) zeigen konnten. Obwohl aus der Außenperspektive die Fälle austauschbar erscheinen – mache ersetzen LokalpolitikerInnen durch lokale Wirtschaftstreibende oder Personen öffentlichen Interesses – wird eine andere Interpretation der Wertestrukturen und Handlungsmöglichkeiten präsentiert. So werden Punkte wie das Recht auf Gegendarstellungen genauso vorgebracht, wie auch die Begründung, dass es notwendig ist die Meinungen von Geldgebern oder Sponsoren zu beachten, da Kritik auch unerwünschte Folgen haben kann. Die Beispiele reichen vom Verlust von Arbeitsplätzen in der Region hin zur Gefährdung der Sicherheit von Individuen (ebd.: 69ff.). Für sie stellt dies keinen Bruch mit den Werten der Objektivität oder Neutralität dar.
Unabhängig davon, inwieweit sich die Beurteilung über die Aufgaben und Ziele des Journalismus im allgemeinen mit den tatsächlichen Handlungen der einzelnen JournalistInnenen jemals vereinbaren haben lassen zeigen diese Differenzen in Wahrnehmung und Argumentation jedoch, dass das Feld Risse hat und eindeutige Spuren schwindender Kohäsion aufweist. Oder radikaler ausgedrückt: Es ist das Feld an sich – also in Relation zu anderen Feldern –, das sich mit Machtverlust konfrontiert sieht (vgl. Hummel 2007). Innerhalb des Feldes wird dies dadurch sichtbar, dass zumindest Teile der FeldteilnehmerInnen Glaubensgrundsätze über die Aufgaben ihrer Profession nicht mehr mit ihren Handlungen vereinbaren können und dies auch mehr oder minder offen argumentieren (Kirchhoff & Prandner 2016: 110). Aktuell werden zwar noch nicht die Wertemuster hinterfragt, die im Feld gültig sind, aber es wird eine Dissonanz zwischen wertebasierenden Soll- und handlungsbasierenden...